Die Corona-Krise hat seltsame Auswirkungen auf Deutschlands Krankenhäuser – leere Betten lohnen sich, nicht aber die Behandlung von COVID-19-Erkrankten. Die Folge: neue Rufe nach Reformen in der Krankenhausfinanzierung.
Krankenhäuser und KommunalpolitikerInnen beklagen seltsame Folgen der Corona-Pandemie für die Finanzen der deutschen Krankenhäuser: Leerstand zahlt sich aus, nicht aber die Behandlung von COVID-19-Erkrankten. Das befeuert die Rufe nach einer Reform der Krankenhausfinanzierung. Am 16.09. will die Deutsche Krankenhausgesellschaft bei einem "Krankenhausgipfel" mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) über die Zukunft der fast 2.000 deutschen Kliniken diskutieren.
Die derzeitige Lage beschreibt der bayerische Landkreispräsident Christian Bernreiter: "Die Häuser, die sehr wenige oder gar keine COVID-19-Patienten hatten, haben mit den Ausgleichszahlungen des Bundes für leerstehende Betten oft sogar Gewinn gemacht", sagt der CSU-Politiker. "Die Krankenhäuser, die für die Behandlung von COVID-19-Patienten ausgewählt wurden, haben brutal drauf gezahlt. Die DRG-Fallpauschalen decken nicht die Behandlungskosten."
Das verhält sich auch außerhalb der bayerischen Landesgrenzen so und wird daher bundesweit diskutiert. Der Krankenhausgipfel wird nicht die letzte Veranstaltung zum Thema sein, am 23. September sind Bernreiter und andere prominente ReferentInnen bei einem Seminar der im Gesundheitswesen bekannten Beratungsfirma RS Medical Consult in München eingeplant.
Die Corona-Krise hatte im Frühjahr zunächst den Effekt, dass sehr vielen Krankenhäusern bundesweit die PatientInnen ausgingen. Um die Einnahmeverluste auszugleichen, zahlt der Bund bis Ende September einen Ausgleich für leere Betten. Da sich bald herausstellte, dass die ursprünglich gezahlten 560 Euro pro Tag und leerem Bett für manche Häuser mehr als einträglich waren, werden die Zuschüsse mittlerweile gestaffelt.
Die Behandlung von COVID-Erkrankten wird nach dem üblichen System der Pauschalzahlungen abgerechnet, das von Bernreiter genannte Kürzel DRG steht für "diagnosis related groups". Vor allem schwer und schwerst erkrankte Corona-Infizierte verbringen zum Teil mehrere Wochen auf der Intensivstation. Dies hat zur Folge, dass die Pauschalen die Behandlungskosten nicht decken, wie von vielen Fachleuten zu hören.
"Das heißt, dass die Häuser, die in der Krise die Arbeit gemacht haben, jetzt besonders schlecht dastehen", sagt Bernreiter dazu. "Da muss man nachsteuern."
Aus Sicht der Krankenhäuser und ihrer Träger wirft die Corona-Krise ein Schlaglicht auf die grundlegende Strukturschwäche der Krankenhausfinanzierung: Aufgabe der Kliniken ist eine existenzielle öffentliche Dienstleistung. Doch anders als Polizei oder Feuerwehr werden Krankenhäuser als Wirtschaftsbetriebe geführt. Eine Klinik verdient nur Geld, wenn sie möglichst viele PatientInnen behandelt.
"Es würde niemand auf die Idee kommen, die Feuerwehr ausschließlich nach der Zahl ihrer Einsätze zu finanzieren", sagt Siegfried Hasenbein, der Chef der Bayerischen Krankenhausgesellschaft. "Wir müssen unbedingt unser Vergütungssystem unter die Lupe nehmen und reformieren."
Das jetzige System ist nach Auffassung vieler KritikerInnen nicht nur in finanzieller Hinsicht schwierig: "Das setzt den Anreiz, so viele Patienten wie möglich zu behandeln, nur so kann ein Krankenhaus seine Erlöse optimieren", sagt Hasenbein. Krankenkassen-Managements klagen seit Jahren über überflüssige Therapien und Operationen, ein Vorwurf, den ÄrztInnen zurückweisen. Doch übertragen auf das Feuerwehr-Beispiel: Eine nur nach Einsätzen bezahlte Löschtruppe hätte ein natürliches Interesse an möglichst vielen und möglichst großen Bränden, um finanziell über die Runden kommen.
"Wir haben deutlich über 50 Prozent der Häuser, die rote Zahlen schreiben, teilweise tiefrote", sagt der bayerische Landkreispräsident Bernreiter. Nach einer im Sommer veröffentlichten Studie der Unternehmensberatung Roland Berger fürchten 57 Prozent der deutschen Kliniken in diesem Jahr ein Defizit. Die COVID-Epidemie habe die wirtschaftlichen Probleme verschärft, resümierte Studienautor Peter Magunia.
"Die Politik hat - das muss man anerkennen – relativ schnell und zielgenau versucht, die COVID-Effekte zu beheben", sagt Hasenbein. "Aber die strukturellen Defizite und Probleme im Vergütungssystem und in den Krankenhäusern bestehen nach wie vor, und werden auch nach COVID bestehen."
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft setzt sich daher für ein kombiniertes Vergütungssystem ein. Nach diesem Modell würden die "Vorhaltekosten" - beispielsweise Unterhalt der Gebäude - gesondert bezahlt. "Das ist insbesondere für kleinere Krankenhäuser wichtig, die mit wenigen Patienten und wenigen Behandlungserlösen ihre Infrastruktur und Personal nicht finanzieren können", sagt Hasenbein.
Eine ersten Schritt in diese Richtung gab es Anfang dieses Jahres: Seither werden die Pflegekosten nicht mehr aus dem Topf der DRG-Fallpauschalen bezahlt.