Es ist die bisher größte Übernahme in der Geschichte des Erlangener Unternehmens. Für weitere Geschäfte in der Krebsforschung und den geplanten Erwerb eines US-Spezialisten greift der Konzern tief in die Tasche - und wagt auch wieder eine Prognose für das Gesamtjahr.
Der Medizintechnikkonzern Siemens Healthineers will sein Geschäft mit der Krebsforschung und -therapie durch eine milliardenschwere Übernahme deutlich ausbauen. Dazu strebt das Erlangener MDax-Unternehmen den Kauf des US-Konzerns Varian für 16,4 Milliarden Dollar (14 Mrd Euro) an. Finanziert werden soll die Übernahme zum Teil über eine Kapitalerhöhung. Zudem stellt die Konzernmutter Siemens eine Brückenfinanzierung bereit. Es ist die bisher größte Übernahme in der Geschichte des Erlangener Unternehmens. Der Siemens-Tochter könnte zudem der Aufstieg in die erste Börsenliga Dax winken.
Mit Varian verbindet Siemens Healthineers seit 2012 eine strategische Partnerschaft. Der Vorstand des US-Konzerns stimmte dem Plan zu und empfiehlt den Anteilseignern, die Offerte anzunehmen. Die Übernahme soll voraussichtlich in der ersten Hälfte des Kalenderjahres 2021 abgeschlossen werden und steht unter Vorbehalt der Zustimmung der Regulierungsbehörden, wie Healthineers in Erlangen weiter mitteilte.
Healthineers mache damit einen erheblichen Sprung nach vorne, sagte Konzernchef Bernd Montag. Den Preis nannte er in einer Telefonkonferenz "vernünftig". Varian verfüge über ein stabiles Geschäft und eine hohe Innovationskraft.
Die Varian-AktionärInnen, die der Übernahme ebenfalls noch zustimmen müssen, sollen 177,50 Dollar je Aktie erhalten. Das ist in etwa ein Viertel mehr als die Anteile am Abend des 31.07. gekostet hatten. Varian setzte im vergangenen Geschäftsjahr rund 3,2 Milliarden Dollar um und erzielte dabei eine operative Marge von 17 Prozent.
Durch den Zukauf sieht Healthineers Synergien beim operativen Ergebnis (Ebit) von mindestens 300 Millionen Euro pro Jahr im Geschäftsjahr 2025. In den Jahren darauf dürften diese nochmals "signifikant" steigen, sagte Finanzvorstand Jochen Schmitz. Finanzieren will Siemens Healthineers die Übernahme in etwa zur Hälfte über Kredite und zur anderen Hälfte über neues Eigenkapital, das über die Ausgabe neuer Aktien beschafft werden soll.
Siemens begrüßte den angestrebten Ausbau des Geschäfts mit der Krebsforschung und -therapie. Durch die geplante Kapitalerhöhung von Siemens Healthineers, an der Siemens nicht teilnehmen werde, reduziere sich der Anteil der Münchener an der Tochter von 85 Prozent auf etwa 72 Prozent. Siemens Healthineers ist 2018 an die Börse gegangen. Dort kam das Unternehmen mit seinen 50.000 Mitarbeitenden bisher gut an. Zuletzt kostete die Aktie knapp 44 Euro und lag damit nur knapp unter ihrem Rekordhoch von etwas mehr als 47 Euro von Ende Mai. Die Bewertung liegt derzeit bei rund 44 Milliarden Euro.
Die Akquisition werde Healthineers "entscheidend voranbringen", sagte Siemens-Chef Joe Kaeser. "Ein derartiger transformatorischer Schritt wäre in der Konglomeratsstruktur der alten Siemens AG nicht möglich gewesen", fügte er hinzu. Siemens werde dabei als langfristiger Mehrheitsaktionär an Healthineers beteiligt bleiben, hieß es von Kaesers Stellvertreter und designiertem Konzernchef, Roland Busch.
Siemens Healthineers zog zudem die Veröffentlichung des Quartalsberichts um einen Tag vor. Demnach rechnet das Unternehmen in den letzten drei Monaten des Geschäftsjahres 2019/2020 nach der zuletzt coronabedingten Schwäche wieder mit deutlich besseren Geschäften und wagt jetzt auch wieder eine Prognose für das gesamte Geschäftsjahr. "Für das vierte Quartal erwarten wir eine deutliche Verbesserung unserer Geschäftsentwicklung im Vergleich zum dritten Quartal", sagte Siemens-Healthineers-Chef Montag. Die Test- und Untersuchungsvolumina hätten sich wieder weitgehend von ihren Tiefständen erholt, sagte Schmitz. Das Unternehmen habe die Talsohle hinter sich gelassen.
Healthineers rechnet der neuen Prognose zufolge im Ende September auslaufenden Geschäftsjahr 2020 mit einem stabilen Umsatz auf vergleichbarer Basis - also ohne Übernahme- und Währungseffekte. Der um Sondereffekte bereinigte Gewinn je Aktie soll zwischen 1,54 und 1,62 (Vorjahr: 1,70) Euro liegen. Ursprünglich hatte Healthineers bei beiden Werten mit einem Anstieg gerechnet, diese Prognose aber Anfang Mai wegen der coronabedingten Unsicherheiten zurückgezogen.
Im dritten Quartal ging der Umsatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 7,2 Prozent auf 3,31 Milliarden Euro zurück - auf vergleichbarer Basis habe der Rückgang 6,9 Prozent betragen. Dabei belastete die Corona-Krise insbesondere das Diagnostikgeschäft, da das Testaufkommen für Routine-Untersuchungen sank. In der Bildgebung und in der Sparte für personalisierte Medizin fielen die Rückgänge deutlich geringer aus.
Der um Sondereffekte bereinigte Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) fiel um 15 Prozent auf 461 Millionen Euro, das bereinigte Ergebnis je Aktie um etwa ein Fünftel auf 30 Cent. Nach Steuern verdiente Healthineers 271 Millionen Euro im Vergleich zu 353 Millionen Euro im Vorjahr. Damit erfüllte der Konzern beim Umsatz die Erwartungen der Experten und übertraf sie beim operativen Ergebnis.