Ob in der Corona-Pandemie eine zweite Welle in Deutschland kommt, ist ungewiss. Doch eine Umfrage zeigt: Krankenhäuser, Hausärzteschaft und Kommunen sehen sich vorbereitet. An anderen Stellen gibt es aber noch Handlungsbedarf.
Steigende Fallzahlen, unklare Infektionsketten und jede Menge kleinere Infektionsherde: Die Sorge vor einer zweiten Corona-Welle in Deutschland wächst. Geht es nach der Einschätzung des Ärzteverbandes Marburger Bund, ist sie sogar schon da. Noch sind die Infektionszahlen nicht mit denen von März und April vergleichbar – doch was ist, wenn sie weiter steigen?
"Darauf sind die Kommunen und die staatlichen Einrichtungen nach den Erfahrungen der ersten Infektionsfälle deutlich besser vorbereitet", sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg. Tatsächlich werden etwa Testkapazitäten noch immer ausgebaut, und es ist auch mehr Schutzmaterial verfügbar als noch zu Krisenbeginn. Sorge bereitet dagegen ein schwindendes Risikobewusstsein in der Bevölkerung. Ein Überblick:
Schutzmaterialien wie etwa Masken waren zu Beginn der Corona-Pandemie Mangelware. Die Städte und Gemeinden sehen sich nun besser vorbereitet. Zusammen mit dem Bund und den Ländern sind nach Angaben des Städte- und Gemeindebundes "in großem Umfang" Schutzausrüstungen und Masken beschafft worden. "Auch wenn der Beschaffungsmarkt natürlich weiter angespannt ist, sind Kommunen, Krankenhäuser und Arztpraxen wesentlich besser ausgestattet", hieß es von dem Verband. Der Landkreistag rechnet ebenfalls mit keinen Engpässen.
Und auch in den Praxen der niedergelassenen Haus- und FachärztInnen sei für den Bedarf an Schutzmaterialien vorgesorgt worden, teilte die Kassenärztliche Bundesvereinigung mit. Vorrangig sei das aber die Aufgabe der Länder und der Katastrophenschutzbehörden, betont der Vorsitzende Andreas Gassen. Der KBV-Chef verweist zudem auf die Erfahrungen, die während der ersten Phase der Pandemie etwa beim Aufbau von Testzentren und speziellen Corona-Praxen gemacht wurden. Diese könnten "jederzeit" wieder aktiviert werden.
Die Gesundheitsämter nehmen eine zentrale Rolle bei der Verfolgung von Infektionsketten ein. Nach einer Umfrage des Deutschen Städtetages haben die Gesundheitsämter ihr Personal in der Corona-Krise deutlich aufgestockt. Der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes schlägt dennoch Alarm: "Während der ersten Pandemie-Welle haben viele Gesundheitsämter ihr Personal fast verdoppelt. Doch das ist mittlerweile weitgehend wieder abgezogen worden", sagte die Vorsitzende Ute Teichert. Bei steigenden Zahlen sei wieder mehr Personal nötig, um Infektionen verfolgen zu können.
Die Kommunen zeigen sich optimistisch, dass sie bei Bedarf zeitnah nachsteuern können. "Dass dies den Landkreisen auch tatsächlich gelingt, haben die lokalen Ausbrüche und deren schnelle Eindämmung seit März 2020 gezeigt", sagte Jörg Freese vom Deutschen Landkreistag. Im Ernstfall brauche es zusätzliches Personal, ist sich auch Gerd Landsberg vom Städte- und Gemeindebund sicher. Daher sollte nun auch eine Personalreserve aufgebaut werden, so Landsberg weiter.
Sorge bereitet Fachleuten ein nachlassendes Gefahrenbewusstsein in der Bevölkerung. Viele Menschen fühlen sich heute sicherer als noch vor einem Vierteljahr – das belegen auch Umfragen. Das Robert Koch-Institut beklagte zuletzt Nachlässigkeit bei der Einhaltung der Verhaltensregeln. Pandemien seien eine "schleichende Krise", daher müsse das Krisenbewusstsein wachgehalten werden, auch wenn zwischenzeitlich nicht viel passiere, sagte der Direktor des Instituts für Krisenforschung in Kiel, Frank Roselieb. Menschen hielten sich weniger an Verhaltensregeln, wenn diese nicht auch nachhaltig sanktioniert würden. "Hier unterscheiden sich die AHA-Regeln einer Pandemie nicht von Verkehrsschildern, die ohne Radarkontrollen auch nicht funktionieren würden", erklärte Roselieb.
Die Krankenhäuser haben nach Angaben der Krankenhausgesellschaft in den vergangenen Monaten Erfahrungen sammeln können, die ihnen für eine mögliche zweite Welle zu Gute kommen. "Dies gilt für die Zusammenarbeit verschiedener Kliniken in regionalen Netzen, die Weiterbildung von Personal in der Beatmungsmedizin oder für die Ablauforganisation", sagte Hauptgeschäftsführer Georg Baum. Auch Isolierzimmer würden noch immer freigehalten. "Die Krankenhäuser sind gut auf eine mögliche zweite Welle vorbereitet", bilanzierte Baum.
Bei den Intensivbetten, die zur Behandlung von Corona-Erkrankten genutzt werden können, bestehen noch Kapazitäten. Das Register der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) meldete zuletzt etwa 9.000 freie Intensivbetten. Das entspricht einem Anteil von rund 42 Prozent gemessen an der Gesamtzahl von rund 21.300 registrierten Intensivbetten. Etwa 1.200 Klinikstandorte in Deutschland melden derzeit ihre Kapazitäten.
Eine akute Überlastung für das Gesundheitssystem sieht auch das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) derzeit nicht. Täglich berechnet das Institut vor dem Hintergrund des aktuellen Infektionsgeschehens, wie viel Zeit noch bliebe, bis die stationären Behandlungskapazitäten überschritten würden. Aktuell beträgt diese Vorwarnzeit 73 Tage. Zwar ist eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems damit noch weit entfernt, in den vergangenen Wochen war dieser Indikator aber leicht rückläufig.
Die Testkapazität für PCR-Tests wächst in Deutschland nach Angaben der Akkreditierten Labore in der Medizin (ALM) noch immer kontinuierlich. Die ALM-Labore führen rund 85% aller Corona-Tests durch. Wurden Anfang April noch rund 330.000 pro Woche ausgewertet, liegt die Testkapazität aktuell bei rund 985.000 Tests in Deutschland. Zwar wird nur gut die Hälfte der Kapazität (55%) aktuell auch in Anspruch genommen, die Auslastung stieg zuletzt aber an – wohl auch, weil vielerorts zuletzt kostenlose Testangebote für Reisende aus Risikoländern gestartet wurden. In vielen Bundesländern stehen zudem Lehrerschaft, Erziehenden und Kindertagespflegenden regelmäßige Tests ohne konkreten Anlass zu.
Die Corona-Warn-App war im März noch nicht verfügbar, nun sind große Hoffnungen mit ihr verbunden. Doch der Start war holprig, verschiedene Smartphones hatten mit technischen Problemen zu kämpfen. Mit der neuesten Version sollten technische Schwierigkeiten auf dem iPhone von Apple beseitigt werden. Die App soll helfen, Infektionsketten nachzuverfolgen und zu unterbrechen. Aktuell sind weitere Versionen in Planung, etwa in Arabisch und Russisch. Bislang gibt es die am 16. Juni in Deutschland gestartete App in Deutsch, Englisch und Türkisch. Sie wurde bisher rund 16,6 Millionen Mal heruntergeladen.