Viel ist zu lesen von der zunehmend stressigeren Arbeitswelt, von der steigenden Zahl psychischer Erkrankungen. Doch gibt es tatsächlich mehr Stressfaktoren als früher? Nein, sagt ein Mainzer Forscher.
Die Menschen sind nach Einschätzung eines Mainzer Stressforschers heutzutage nicht mehr Stressfaktoren ausgesetzt als früher. Vielmehr könnten sie nicht mehr so gut damit umgehen oder betrachteten sie als belastender. "Ich glaube nicht, dass die Stressoren steigen", sagte der Raffael Kalisch vom Deutschen Resilienz Zentrum an der Mainzer Universitätsmedizin der Deutschen Presse-Agentur. "Ich glaube, dass sich unsere Wahrnehmung, unsere Bewertung verändert hat. Wir sind ein bisschen anfälliger geworden."
Mit Stressoren und der sogenannten Resilienz beschäftigt sich eine internationale Tagung von Fachleuten von Mittwoch an in Mainz. Sie dauert bis Freitag. Resilienz ist eine Art der psychischen Widerstandskraft bei Menschen, schwierige Situationen im Leben ohne Krankheit und bleibende Beeinträchtigung zu überstehen.
"Wir hatten in den 80er Jahren den Kalten Krieg, Angst vor Waldsterben, Atomkatastrophen, wesentlich höhere Kriminalitätsraten, die medizinischen Methoden waren damals noch wesentlich schlechter und - anders als früher - studieren Sie heute an der Uni und wissen, dass sie auf jeden Fall einen Job bekommen", sagte Kalisch. "Heute haben wir eine Verdichtung, den Informationsüberfluss, die Wahlmöglichkeiten. Das heißt aber nicht, dass die Stressoren generell mehr werden, dass es schlimmer oder schlechter wird."
Gleichzeitig hätten jüngere Leute heute ein "höheres Stresserleben", höhere Raten an Depressionen und Angsterkrankungen. "Das hat damit zu tun, dass wir weniger resilient aufwachsen - etwas verwöhnt, stärker beschützt, oft gibt es weniger Gelegenheit, sich zu bewähren." Zudem würden vom Umfeld hohe Erwartungen gestellt. "Es ist erstaunlich, was Kinder zum Teil in der Schule schon an Angst eingeimpft bekommen zu ihrer Zukunft, obwohl die Zukunftsaussichten objektiv viel besser sind als früher", betonte der Humanbiologe Kalisch.
Früher sei Resilienz als unveränderlicher Wesenszug betrachtet worden, sagte Kalisch. Mittlerweile wisse man, dass sich Menschen in schwierigen Lebenssituationen veränderten – die, die gesund bleiben, und die, die krank werden. "Die Leute können Fähigkeiten entwickeln, mit solchen Situationen umzugehen." Wie das funktioniere, müsse noch genauer herausgefunden werden - was passiere im Hirn, Immunsystem, vielleicht auch im Darm und ermögliche Menschen, gesund zu bleiben.
Bei dem Symposium werde auch über die Besiedelung des Darms mit Bakterien geredet. "Es gibt schon seit einiger Zeit Hinweise, dass die was mit psychischer Gesundheit zu tun haben könnten." Die Hoffnung sei, dass daraus irgendwann Methoden entstehen, um Resilienz zu stärken - möglicherweise mit Blick auf Darmbakterien auch mit Hilfe bestimmter Ernährungspläne.
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