Es ist ein Wettlauf mit der Zeit: Bei Schlaganfall-Patienten zählt jede Minute. Wie Telemedizin wertvolle Minuten sparen kann, das wurde auf einem Symposium bei der Neurowoche in Berlin deutlich. Schlaganfall-Patienten schneller erkennen und behandeln: Das ist das Ziel des Stroke-Angel-Projekts, das Prof. Dr. Bernd Griewing, Bad Neustadt, vorstellte.
Stroke Angel dient dem prästationären Anamnese-Management. Begonnen hatte das Ganze 2005 in Bad Neustadt mit einer Pilotstudie. Weil die Ergebnisse sehr positiv waren, wurde Stroke Angel 2007 in den Regelbetrieb übernommen, 2008 folgte die Cardio-Angel-Variante.
Für die Voranmeldung des Patienten an die Stroke Unit gibt der Rettungsassistent zunächst in der Eingabemaske "Stroke" die Messwerte des Patienten, Verletzungen, Symptombeginn, Antikoagulanzien, Krampfanfall u.a. Merkmale ein, anhand derer ermittelt werden soll, ob ein Schlaganfall vorliegt. Auf der 3-Item Stroke Scale (3I-SS) wird die Vigilanz (Wach, bedingt ansprechbar), die Wendung (Keine Blickwendung, nur Blickwendung, Kopf- und Blickwendung) und eine mögliche Hemiparese (keine, leicht, schwer) erfasst.
In der Summe wird ein Wert von 0 bis 6 erreicht. Je höher der Wert, desto höher der mögliche Schweregrad. Die 3I-SS weist zwar eine hohe Spezifität aber eine zu niedrige Sensitivität auf, verknüpft wird sie deshalb mit einer Sprach-Sprech-Störung (=4I-SS), das steigert Sensitivität und Spezifität und ist ein valider Score für die prähospitale Anmeldung der Schlaganfallpatienten.
Dann werden die Daten über Mobilfunk aus dem RTW an die Klinik übertragen. In der Notaufnahme werden dann die Daten des Rettungsdienstes auf dem NIDAtracker angezeigt. Ein neuer Datensatz wird mittels visuellem Alarm angezeigt. Über Stroke Angel und den NIDAtracker lassen sich die Prozesse bei der Übergabe und der Weiterversorgung der Patienten in der Klinik optimieren.
Im Zeitraum 1. Januar 2015 bis 30. Mai 2018 waren 1.400 Voranmeldungen im Primäreinsatz zur Stroke Unit am Campus Bad Neustadt auswertbar. 70% der Patienten wurden mit Stroke Angel, 30% ohne Stroke Angel in die Klinik eingeliefert. Das Ziel ist, so Griewing, 90% der Patienten per Stroke Angel in die Klinik zu bringen. Die Lyserate mit dem Stroke Angel lag 2017 bei 26%. Im Vergleich zu allen bayrischen Krankenhäusern zeigt sich, dass der Einsatz von Stroke Angel eine höhere Lyserate ermöglicht. Die Gesamtdauer der präklinischen Rettungskette betrug 56 Minuten und damit genau 22 Minuten weniger, als ohne den Einsatz des Stroke-Angel-Konzeptes.
Griewing hebt hervor, dass der Einsatz der Telemedizin zusätzliche Perspektiven bietet. So lassen sich die Optimierungsprozesse auf andere Krankheitsbilder übertragen. Beispielsweise auf den Pehospital Epilepys Emergency Score (PEES). Der eine Comptergestützte Fremdanamese, eine Differenzierung zwischen Synkope und Epilepsie und eine Validierung auf Spezifität und Sensitivität bei Cut-off > -5 ermöglicht (Ergebnis aus der PEES-Studie, einer Vorstudie). Griewing erinnert aber auch daran, dass die Telemedizin Zeit braucht, bis sie akzeptiert wird.
Welche Vorteile die Videoübertragung direkt aus dem RTW in die Klinik haben kann, erläuterte Dr. Hassan Soda, Bad Neustadt. Soda berichtet, dass anfänglich erwogen worden sei, den RTW mit einer Kamera auszustatten, doch das traf auf wenig Akzeptanz unter den Rettern und erwies sich als wenig praktikabel. Also entschied man sich für eine Video- und Fotoübertragung via NIDApad im Rahmen der Tele-Stroke-Studie.
2016 wurde der Projektantrage gestellt, Installation und technische Entwicklung, 2017 das Datenschutzkonzept. 2018 erhielt das Projekt die Freigabe des Datenschutzbeauftragten, Schulungen und Support der Mitarbeiter folgten. Nach einem positiven Ethikvotum begann die Testphase. Die Rekrutierungsphase läuft bis dato.
Zur Voranmeldung eines Schlaganfall-Verdachts wird in der Tele-Stroke-Studie eine dem Stroke Angel ähnliche Maske genutzt. Eingegeben wird etwa, ob es sich um eine Blutung handelt, ein Krampfanfall aufgetreten ist. Die Messwerte des Patienten, Alter, Antikoagulantien, Verletzungen, Beginn der Symptome, Priorität u.a. werden eingegeben und genutzt wird ebenfalls der 4I-SS.
Studienziel der Tele Stroke ist, die Frage zu klären, welchen Effekt eine asynchrone Videokommunikation zwischen Rettungsdienst und Kliniken auf die akute Schlaganfallversorgung hat.
Überprüft werden dazu folgende primäre Hypothesen:
Für die Videoübertragung gibt es ebenfalls standardisierte Fragen:
Soda berichtet exemplarisch von zwei Schlaganfall-Patienten, deren Schweregrad mithilfe der Videoübertragung eingeschätzt werden konnte:
Bei einer 65 Jahre alten Patientin zeigte sich neurologisch eine leichte zentrale Fazialisparese rechts, eine leichte Pronation im Armhalteversuch rechts und eine leichte motorische Aphasie mit Wortfindungsstörungen. In der nativen CT des Neurokraniums konnte eine frische Ischämie und eine akute intrazerebrale Blutung ausgeschlossen werden. Nach ausführlicher Aufklärung erhielt die Patientin eine systemische rtPA-Lysetherapie mit 67 rtPA im Lysezeitfenster.
Bei einer 93 Jahre alten Patientin wurde eine Fazialismundastschwäche links per Video diagnostiziert, eine schlaffe, beinbetonte Hemiparese links, rechts am Arm vom KG 3-4/5 und am Bein vom KG 2/5, eine Dysarthrie und ein Neglect. In der nativen CT des Neurokraniums konnte eine frische Ischämie und eine akute intrazerebrale Blutung ausgeschlossen werden. Behandelt wurde die Patientin mittels systemischer rtPA Lysetherapie. Soda wies darauf hin, dass international diverse TeleStroke Ambulanzen, zB. New Jersey, Manchester, University of Texas (Houston), das Alberta Hospital in Kanada und die Universitätsklinik Brüssel mit Videoübertragung arbeiten.
Referenzen:
Neurowoche 2018, 91. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, 44. Jahrestagung der Gesellschaft für Neuropädiatrie, 68. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie, 30. Oktober bis 3. November 2018.