Revolution bei Therapien für Hepatitis B und D

Bisher waren die Therapieoptionen für Hepatitis D begrenzt, doch das könnte sich bald ändern. Prof. Heiner Wedemeyer im Interview zu einer Substanz, die Leben retten wird.

Massive Fortschritte bei der Behandlung von Hepatitis B und D 

esanum: Prof. Wedemeyer, vor Kurzem konnte man lesen: Hepatitis B und D werden nun endlich behandelbar. Wo genau stehen wir gerade?

Prof. Wedemeyer: Wir erleben gerade durchaus eine Revolution. Vor fünf, sechs Jahren gab es noch den totalen Nihilismus auf dem Gebiet. Hepatitis D ist eine seltene Erkrankung mit einem sehr schweren Verlauf und es gab dafür außer Interferon fast nichts. Jetzt haben wir einen kompletten Paradigmenwechsel. Mit Bulevirtide verfügen wir nun über eine sehr gut verträgliche Therapie, die sehr vielen Patienten hilft. Diese Substanz wird Leben retten. Wir behandeln derzeit viele Patienten in Hannover. Ihnen geht es wirklich gut. 

Schön ist, dass auf diesem Gebiet die Grundlagenforschung durch Prof. Stephan Urban in Heidelberg und auch bei den klinisch Forschenden hier bei uns in Hannover besonders in Deutschland vorangetrieben wird. Wir sind hier tatsächlich weltweit führend. Aktuell forschen wir mit Fördergeldern der EU, des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung und dem MHH-Exzellenzcluster RESIST an einer personalisierten Therapie der Hepatitis D.

esanum: Wie funktionieren die neuen Therapien?

Prof. Wedemeyer: Wir reden von der Hepatitis D als Co-Infektion der Hepatitis B. Unlängst haben wir gerade eine große Datenbank aus der Medizinischen Hochschule Hannover publiziert. Diese konnte zeigen, dass Hepatitis D das Risiko für Leberdekompensation, die Notwendigkeit einer Transplantation und auch für Leberkrebs dramatisch steigert. Das heißt, wir brauchen dringend eine bessere Therapie. In zwei großen Studien mit der Deutschen Leberstiftung haben wir den Einsatz von PEG-Interferon alfa getestet, und wir haben gezeigt, dass hiermit bei 20 bis 25 Prozent der Patienten eine dauerhafte Virusunterdrückung erreicht werden kann – allerdings nur für ein ausgewähltes Patientenkollektiv, da es viele Kontraindikationen gibt. Doch seit September 2020 gibt es eine vorläufige Zulassung für den Eintrittshemmer Bulevirtide. Das ist ein Peptid, das man spritzen muss, welches dann den Rezeptor des Hülleiweißes HBsAg blockiert. Das Prinzip hat der Virologe Stephan Urban in Heidelberg entwickelt. Es funktioniert bei Hepatitis B und D. Das D-Virus ist als "Schmarotzervirus" allein nicht lebensfähig. Es nutzt das Hülleiweiß von Hepatitis B, um Zellen zu infizieren. Und dort kann es sich dann vermehren. Bulevirtide hilft prinzipiell gegen beide Viren, gegen B allein und gegen B und D zusammen. Zugelassen ist es aber nur für Koinfektionen Hepatitis B/D. Für Hepatitis B allein gibt es noch keine Studien.

esanum: Wie erfolgreich sind die Therapien?

Prof. Wedemeyer: Ich habe beide Studien, Phase 2 und Phase 3, die zur Zulassung führten, selbst geleitet. Sie wurden voriges Jahr publiziert. Der primäre Endpunkt der Phase-3-Studie war, wie viele Patienten nach einem Jahr Therapie einen Virus-Abfall um mindestens das 100-fache in Kombination mit einer Normalisierung der Leberwerte hatten. Das war bei knapp der Hälfte der Patienten der Fall.

Jetzt werden auf dem europäischen Leberkongress die Fortsetzungsdaten präsentiert. Im April habe ich bereits die Daten nach 96 Wochen veröffentlicht und jetzt stellen wir die Daten nach 144 Wochen Therapie vor. Diese sind ermutigend. Die Kurz-Botschaft lautet: Die Therapie wirkt weiter. Es gibt keine Virusdurchbrüche. Und von den Patienten, die zunächst nur teilweise angesprochen haben, haben noch zusätzlich einige nach drei Jahren ein Ansprechen erreicht. Aber von jenen mit deutlich erhöhten Leberwerten haben es nicht alle Patienten geschafft. Wir sind nicht bei 100 Prozent Ansprechrate. Und wir wissen noch nicht, ob man die Therapie auch abbrechen kann oder ob das eine Dauertherapie ist. Die Therapie wurde nach 144 Therapiewochen beendet. Wie es danach weitergeht, werden wir im November auf dem amerikanischen Leberkongress zeigen.

esanum: Wie sieht es mit Nebenwirkungen aus?

Prof. Wedemeyer: Die Monotherapie mit Bulevirtide ist sehr gut verträglich, sie verbessert Leberwerte und reduziert das Virus. Lediglich die täglichen subkutanen Injektionen stellen eine Belastung dar. Aber ob das Virus komplett unterdrückt wird und ob man die Therapie absetzen kann, ist eben offen. Es gibt ein paar Hinweise dafür, dass es zu Rückfällen kommen kann.

esanum: Welche Therapie-Ansätze gibt es noch?

Prof. Wedemeyer: Es geht um eine zweite große Frage, die wir auf dem Kongress vorstellen: Was passiert, wenn wir Interferon und den Eintrittshemmer kombiniert geben? Die Studie dazu wird während des Kongresses in einem führenden Journal publiziert. Zusammengefasst kann man sagen: Es werden unter beiden Therapien zusammen mehr Patienten virusnegativ. In der Kombinationsstudie wurden 48 Wochen beide Substanzen gegeben und dann noch einmal 48 Wochen das Bulevirtide allein. Weit mehr als die Hälfte der Patienten hat eine dauerhafte Virusunterdrückung erreicht. Das heißt: Diese Kombination kann wirklich zu einer Ausheilung der Hepatitis D führen.

esanum: Welche Patientinnen und Patienten können profitieren?

Prof. Wedemeyer: Nicht alle Patienten können profitieren, weil es bei einem Teil Kontraindikationen für Interferon gibt. Real World Daten werden ebenfalls auf dem Kongress vorgestellt. Eine der bisher größten Kohorten ist aus Deutschland bereits letztes Jahr publiziert worden – und wir sehen, dass die Studienergebnisse auch im richtigen Leben stimmen. Weil wir auch Patienten mit dekompensierter Lebererkrankung eingeschlossen haben, können wir zeigen, dass auch Patienten mit fortgeschrittener Lebererkrankung profitieren können.

Aber ein Teil spricht weiterhin nicht gut an. Für diese Patienten brauchen wir weitere alternative Therapien. Ich stelle zum Beispiel auf dem EASL-Kongress ein Poster vor, das zeigt, wie wir bei Hepatitis-D-Patienten die Bildung von Hepatitis-B-Hülleiweiß hemmen können. Es gibt eine Reihe weiterer innovativer Ansätze, die wir auf dem EASL-Kongress sehen werden.

esanum: Was heißt das jetzt für den klinischen Alltag?

Prof. Wedemeyer: Es gibt drei verschiedene Patientengruppen. Einmal sind da die Patienten, die Interferon prinzipiell tolerieren. Mit diesen muss man die Kombinationstherapie mit Bulevirtide diskutieren. Eine zweite Gruppe, die wegen der Furcht vor Nebenwirkungen kein Interferon möchte oder für die Interferon nicht eingesetzt werden darf, bekommt die Bulevirtide-Monotherapie. Hier ist eine Dauertherapie die aktuelle Empfehlung. Die dritte Gruppe hat eine fortgeschrittene Lebererkrankung. Da die Substanz bislang nur für die kompensierte Lebererkrankung zugelassen ist, muss man bei ihnen die Bulevirtide-Dauertherapie off Label einsetzen. Aus ethischen Gründen können wir den Patienten diese Therapie, die ihnen wirklich helfen kann, nicht vorenthalten. Man muss dann eben mit den Kassen über eine Kostenübernahme sprechen.

Kurzbiographie von Prof. Dr. med. Heiner Wedemeyer

Prof. Dr. Heiner Wedemeyer ist Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie und Endokrinologie an der Medizinischen Hochschule Hannover.

Heiner Wedemeyer hat in Göttingen Medizin und Musikwissenschaften studiert. Seine klinischen Schwerpunkte umfassen das gesamte Gebiet der Gastroenterologie und Hepatologie sowie die Infektiologie und Transplantationsmedizin. 

Wissenschaftlich beschäftigt sich Heiner Wedemeyer schwerpunktmäßig mit entzündlichen und viralen Erkrankungen der Leber und des Gastrointestinaltrakts. Aktuell ist er Projektleiter im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung, in mehreren BMBF-geförderten Verbundprojekten sowie Sprecher des EU-Forschungsverbundes "D-SOLVE" zur Untersuchung neuer Strategien zur personalisierten Behandlung von Hepatitis D.