Viele türkische Regierungskritiker sind gegen den Militäreinsatz in Syrien. Ankara erwartet jedoch volle Unterstützung. Nun gehen die Behörden gegen Ärzte vor, die eine Erklärung gegen den Krieg veröffentlicht haben.
Mehr als eine Woche nach Beginn der türkischen Offensive in Nordwestsyrien wächst in der Türkei der Druck auf Kritiker des Einsatzes. Die Behörden ordneten die Festnahme von elf führenden Mitgliedern der Türkischen Ärztevereinigung (TTB) an, die sich gegen den Krieg ausgesprochen hatten, wie die Anwältin der Vereinigung, Ziynet Özcelik, der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag sagte. Ihnen werde "Propaganda für eine Terrororganisation" und "Aufwiegelung des Volks zu Hass und Feindseligkeit" vorgeworfen.
Bereits zehn Mitglieder seien in verschiedenen Städten in Gewahrsam genommen worden. Darunter sei der Vorsitzende Rasit Tükel. Die Anwältin bezeichnete die Vorwürfe gegen die Ärzte als "völlig rechtswidrig". Menschenrechtler und der Weltärztebund kritisierten die Festnahmen scharf.
Die TTB hatte in der vergangenen Woche eine Erklärung verbreitet, in der sie unter anderem vor "irreparablen Schäden" durch Krieg warnten und Krieg als ein "Problem der öffentlichen Gesundheit" bezeichneten. Zum Schluss der Erklärung hieß es: "Nein zum Krieg. Frieden, jetzt sofort!"
Die Ärzte kritisierten damit die Offensive "Olivenzweig", die die türkische Armee am 20. Januar gegen die kurdische Miliz YPG in Nordwestsyrien begonnen hatte. Die Türkei sieht die YPG als syrischen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und damit als Terrororganisation.
Kritik an dem Einsatz duldet die türkische Regierung nicht. Seit vergangener Woche wurden nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu mehr als 400 Menschen wegen "Terrorpropaganda" festgenommen, die sich zuvor in den sozialen Medien über den Militäreinsatz geäußert hatten. Die Behörden ermitteln zudem gegen zwei Abgeordnete der pro-kurdischen HDP und gegen die kurdische Journalistin und Aktivistin Nurcan Baysal wegen kritischer Twitter-Nachrichten.
Auch die Medien stehen stark unter Druck. Nach Angaben von Reportern ohne Grenzen (ROG) wurden türkische Journalisten einen Tag nach Beginn der Militäroperation zu einem Treffen mit Ministerpräsident Binali Yildirim eingeladen und erhielten eine Unterweisung in "patriotischem Journalismus". Sie erhielten demnach 15 "Empfehlungen", in denen sie unter anderem dazu angehalten wurden, in der Berichterstattung die nationalen Interessen der Türkei zu beachten und internationalen Medien zu misstrauen. ROG kritisierte, "Ziel der Leitlinien ist im Wesentlichen, die türkischen Medien in den Dienst der Regierung und ihrer Kriegsziele zu stellen."
Im Fall der nun festgenommenen Mediziner war es Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, der die Aufmerksamkeit auf die kritische Erklärung gelenkt hatte. Damit provozierte er nach Meinung von Kritikern die Festnahmen. Erdogan hatte die Mitglieder des Verbandes in den vergangenen Tagen in seinen Reden mehrmals attackiert. Er bezeichnete sie unter anderem als "Terroristenliebhaber", und "Lakaien" im Dienste des "Imperialismus". Die Staatsanwaltschaft in Ankara leitete daraufhin am Montag Ermittlungen ein. Nach Angaben von Amnesty International hatten die Ärzte nach Veröffentlichung der Erklärung zudem Drohungen erhalten.
Der Türkei-Experte von Amnesty, Andrew Gardner, schrieb auf Twitter: Aufgabe der Regierung sollte sein, die Ärztevereinigung vor Androhung von Gewalt zu schützen. "Stattdessen nimmt sie heute Morgen Ärzte unter falschen Vorwürfen der 'Terrorpropaganda' aus ihren Betten heraus fest." Der Weltärztebund (WMA) teilte mit, er stehe hinter der Erklärung der türkischen Mediziner und forderte deren sofortige Freilassung. Der türkische Gesundheitsminister Ahmet Demircan sagte nach Angaben von Anadolu zu den festgenommenen Ärzten: "Sie haben kein Recht, eine solche Erklärung abzugeben. Sie haben einen großen Fehler gemacht."