Die beiden starben innerhalb derselben Woche. Loyce Maturu aus Simbabwe war zehn Jahre alt, als ihre Mutter und ihr Bruder an Aids starben. Dann, mit zwölf Jahren, bekam auch sie die Diagnose: Sie ist HIV-infiziert. “Es war der deprimierendste Moment für mich. Ich weinte und dachte, ich würde sterben”, erzählt Maturu vor der UN-Vollversammlung. Hunderte sind angereist, der Saal ist voll besetzt. Maturus Stimme zittert. “Ich versuchte, mich umzubringen, indem ich alle Medikamente auf einmal nahm.”
Wie hart das Leben für HIV-Infizierte und Aids-Kranke in manchen Entwicklungsländern sein muss, ist für Menschen in der westlichen Welt oft kaum vorstellbar. Schon das Stigma, die Diskriminierung, die Ausgrenzung können Betroffenen den Willen zum Überleben rauben.
36,7 Millionen Menschen leben nach Angaben der Vereinten Nationen weltweit mit dem Aids-Erreger HIV, davon infizierten sich allein 2,1 Millionen im vergangenen Jahr. Ist das diese Woche bekräftigte Ziel, die Epidemie bis zum Jahr 2030 auszumerzen, also Wunschdenken? Und hatten die UN diese Vision nicht schon Mitte 2014 erklärt, treten sie mit diesem politischen Bekenntnis also auf der Stelle?
Michel Sidibé, UNAIDS-Direktor und damit Leitfigur des ehrgeizigen Plans, zeigt sich hoffnungsvoll. Nur 26,2 statt der zuvor geschätzten 30 Milliarden Dollar (26,3 Mrd. Euro) müsse die Weltgemeinschaft etwa im Jahr 2020 aufbringen, um die gesetzten Ziele zu erreichen, hatte er im Vorfeld des dreitägigen Treffens in New York mitgeteilt. Nach dieser Spitze würden die benötigten Investitionen stetig sinken. Für das besonders stark betroffene Zentral- und Westafrika fürchtet die Organisation Ärzte ohne Grenzen allerdings, dass die Mittel nicht ausreichen werden – und fordert ausreichende Finanzierung von den UN.
Und es geht nicht nur um Geld. Die Mittel müssen verwandelt werden in schnellen und unkomplizierten Zugang zu HIV-Therapien – ob bei Drogenabhängigen in Russland, Prostituierten in China oder Schwulen in Lesotho. Unmittelbar nach einer HIV-Diagnose müssten Betroffene die Chance haben, eine Behandlung zu beginnen, sagt Deborah Birx, Sonderbotschafterin und Koordinatorin der US-Regierung im Kampf gegen Aids. “Jemand, der Drogen injiziert, schwule oder bisexuelle Männer oder Sexarbeiter” – Schlüssel sei die schnelle Behandlung, sagt Birx.
Fortschritte gibt es zweifellos. Die Zahl neuer Infektionen ist seit dem Jahr 2000 nach UN-Angaben weltweit um mehr als ein Drittel gesunken. Thailand löschte als erstes Land in Asien die Mutter-Kind-Übertragung des Aids-Erregers praktisch aus. “Heute werden 17 Millionen Menschen behandelt, was eine echte Erfolgsgeschichte ist”, lobt Michel Sidibé. Wissenschaftler, Vertreter der Zivilgesellschaft, Politiker – alle hätten an einem Strang gezogen, um einen Umgang mit der Epidemie zu bewirken, der vor 10, 20 Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Mit Blick auf Afrika spricht er von einem “Wendepunkt”: Erstmals würden auf dem Kontinent mehr HIV-Infizierte behandelt als sich neu ansteckten.
In den armen Dörfern dieser Welt, aber auch in Großstädten, wird der schwere Kampf gegen HIV und Aids andauern. Nach dem Willen der UN soll die Zahl der jährlich neu HIV-infizierten von derzeit 2,1 Millionen bis Jahr 2020 auf weniger als 500 000 Menschen sinken und die Zahl der derzeit jährlich 1,1 Millionen Menschen, die an den Folgen der Immunschwächekrankheit sterben, ebenfalls.
Wie wichtig auf diesem Weg die Unterstützung der Betroffenen ist, weiß auch Ndaba Mandela, Enkel des früheren südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela, der für einen offenen Umgang mit Aids warb. “Mein Großvater hatte keine Angst vor der Wahrheit”, sagt Ndaba Mandela, als er Loyce Maturu nach ihrer Rede in der Vollversammlung die Hand geschüttelt hat. “Bigotterie und Angst tun nichts weiter, als das Virus zu verbreiten.” Mandela rät jedem Menschen, immer zwei Kondome bei sich zu tragen: eins für den eigenen Gebrauch – und eins zum Verschenken an jemanden, der gerade keins bei sich hat.