Oft kommt die Diagnose erst, wenn es zu spät ist: nach Herzinfarkt, Schlaganfall oder plötzlichem Herztod. Mediziner:innen beklagen, dass die Dunkelziffer der Personen mit der genetisch vererbbaren und lebensbedrohlichen Stoffwechselkrankheit Familiäre Hypercholesterinämie (FH) sehr hoch ist. Nach Schätzungen sind in Deutschland bis zu 270.000 Menschen Träger des Gendefekts für eine FH, eine angeborene Störung des Lipidstoffwechsels.
"In Deutschland sind nur weniger als ein Prozent der Betroffenen mit dieser Erbkrankheit diagnostiziert, die zu massiv erhöhten LDL-Cholesterinspiegeln im Blut führt und unbehandelt noch vor Erreichen des 35. Lebensjahres zu Herzinfarkt und Schlaganfall führen kann", betont Professor Dr. med. Heribert Schunkert, Direktor der Klinik für Herz- und Kreislauf-Erkrankungen am Deutschen Herzzentrum München und Mitglied im Vorstand der Deutschen Herzstiftung. Das Tückische der FH ist, dass die enorm hohen LDL-Cholesterinwerte bereits im Kindesalter ihre gefäßschädigende Wirkung durch Ablagerungen an den Gefäßwänden (Arteriosklerose) entfalten können, dieser Vorgang aber meist über Jahre schleichend ohne Beschwerden verläuft. "Screenings zur frühzeitigen Erfassung von Risikopersonen noch bevor es zum vollständigen Gefäßverschluss in Form eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls kommt, sind daher unerlässlich", warnt Schunkert.
Mit der Vroni-Studie hat das Deutsche Herzzentrum München (DHM) im Rahmen des Leuchtturmprojekts DigiMed Bayern, das auch die Deutsche Herzstiftung unterstützt, ein Screening gestartet, um eben solche Risikopersonen für die lebensbedrohliche Erbkrankheit in der Bevölkerung frühzeitig zu identifizieren. Unter dem Motto "Herzinfarkt mit 35? Ohne mich!" können Eltern in Bayern ihre Kinder im Alter zwischen fünf bis vierzehn Jahren kostenfrei beim Kinder- und Jugendarzt auf erhöhte Cholesterinwerte (LDL) untersuchen lassen. "Die Familiäre Hypercholesterinämie erhöht das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis wie Schlaganfall und Herzinfarkt um das Fünf- bis Zwanzigfache. Bei früher Diagnose und konsequenter Behandlung lässt sich dieses Risiko auf das Normalmaß senken", so Schunkert.
Die Vroni-Studie startete Anfang 2021 in Zusammenarbeit mit dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte in Bayern. Mit der labortechnischen Etablierung der genetischen Analyse bei Verdachtsfällen konnten die ersten Kinder mit der Erberkrankung identifiziert und damit vor schweren Herzkreislauferkrankungen bewahrt werden. Die Untersuchung umfasst eine Blutentnahme (200 Mikroliter Kapillarblut) aus dem Finger der Proband:innen im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen U9 bis J1 oder bei jedem anderen Kinderarztbesuch.
Im DHM wird anschließend das LDL-Cholesterin bestimmt. Bei LDL-Werten über 135 mg/dl folgt eine genetische Untersuchung. Ein Kind mit FH wird dazu ermutigt, sich gesund zu ernähren und regelmäßig zu bewegen. Kindern über dem 8. Lebensjahr können darüber hinaus cholesterinsenkende Medikamente verschrieben werden. Aktuell unterstützen mehr als 300 Kinder- und Jugendärzte das Screening-Programm und bereits über 3.000 Kinder wurden auf außergewöhnlich hohe Cholesterin-Werte getestet. "Unser Ziel ist es, 60.000 bayerische Schulkinder zu testen, so dass wir auf dieser Basis künftig die Diagnostik und Therapiesituation für Betroffene aller Altersgruppen in ganz Deutschland verbessern können", erklärt Schunkert.