Die Bestseller-Autorin Charlotte Link rechnete in einem kaum zu ertragenden Buch über den Krebstod ihrer Schwester mit den Ärzten ab. Sechs Jahre begleitete Link ihre todkranke Schwester durch Krankenhäuser. Ja, auch mit “großartigen Ärzten” hätten sie es immer wieder zu tun gehabt, sagt Link. “Wir sind aber auch Ärzten begegnet – und insgesamt zu vielen -, deren Verhalten mich fassungslos machte. Ärzte, die dramatische Diagnosen wie Krebs brutal überbrachten, diese zudem unter solchem Zeitdruck verkündeten, dass keine Möglichkeit für Rückfragen blieb.”
Diagnosen seien “auch ungeprüft in den Raum geworfen worden”. Sie habe Kliniken erlebt, in denen sie um Schmerzmittel für ihre Schwester habe “betteln müssen”. Ihre Schwester habe unter dem Verhalten etlicher Ärzte “mindestens ebenso gelitten” wie unter ihrer Krebserkrankung. Links Buch Sechs Jahre hat aufgerüttelt, “Wäschekörbe” mit Post von Patienten und Ärzten habe sie bekommen.
Die Ärztekammer Nordrhein hat sich des Themas schon länger angenommen und nun einen Praxisleitfaden für eine bessere “Kommunikation im medizinischen Alltag” vorgelegt. “Eine gelungene Kommunikation ist entscheidend für den Behandlungserfolg”, sagt Ärztekammer-Präsident Rudolf Henke. Aber auch die Ärzte, die am Dienstag mit ihm auf einem Podium in Düsseldorf sitzen, räumen ein, dass vieles bei der Kommunikation im Argen liegt.
Schon nach durchschnittlich 18 Sekunden unterbreche ein Arzt den Patienten, sagt Henke. Existenzielle Gespräche könnten oft nicht in der notwendigen Abgeschirmtheit geführt werden. Bei aller Überlastung und bei allem Budgetdruck fehlt es manchen Ärzten nach Ansicht Henkes auch an Reife. Sie hätten “Angst, dass die Krankheit einen selbst treffen könnte”. Manche hätten sich nicht mit der Frage des Todes und der Sterblichkeit auseinandergesetzt. Schnell würden Gespräche beendet, um der “quälenden Realität” nicht länger ausgesetzt zu sein.
In Deutschland seien “kurze und häufige” Arzt-Patienten-Kontakte die Regel, sagt Prof. Stefan Wilm, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin an der Uni-Klinik Düsseldorf. In der Schweiz etwa, von der die Ärztekammer den Leitfaden in angepasster Form übernommen hat, seien die Menschen weniger beim Arzt, dafür aber länger. Ganz oben auf der Wunschliste von Patienten in Deutschland stehe laut Umfragen, dass der Arzt sich mehr Zeit nehmen, zuhören und den Patienten ernst nehmen solle.
Der Leitfaden gibt nicht nur Tipps für Gesprächstechniken, sondern auch Ratschläge, wie man schlechte Nachrichten überbringt. Kurz und einfach soll der Arzt sie übermitteln, und vor allem eine Pause danach machen. “Für Ärzte ist dieser Moment oft schwer aushaltbar”, heißt es in dem Leitfaden. Orientierung bekommen die Ärzte auch für das Ansprechen heikler Themen wie Alkoholkonsum, für das Gespräch mit Eltern kranker Kinder oder mit Angehörigen von demenzkranken Patienten.
Bereits in der Aus- und Weiterbildung der Mediziner soll die Kommunikationsfähigkeit geschult werden. “Kommunikation kann man lernen”, sagte Wilm. “Das kann den Studenten vermittelt werden.”
Angehende Mediziner sollten sich nach Worten Henkes auch an Vorbildern orientieren. “Ich kenne Professoren, die in der Lage sind, sich völlig auf einen Patienten zu konzentrieren und ihm das Gefühl geben, nur ihm zuzuhören.”
Sollte also künftig nicht nur der Numerus clausus, sondern auch die Fähigkeit zur Empathie und Kommunikation Kriterium bei der Auswahl von Medizinstudenten sein? Das halten die Ärzte für kaum realisierbar. Denn es sei Rechtssicherheit bei der Vergabe der Studienplätze nötig. Bisher gebe es aber noch kein System zur Messung der “Empathie-Fähigkeit”.
Text: dpa /fw