Die Sicherung der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung muss nach Auffassung der Bundesbürger oberste Priorität haben – noch vor der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und der Inneren Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung. Das geht aus der am Mittwoch vom AOK-Bundesverband veröffentlichten Repräsentativumfrage von Forsa im Dezember hervor. Die Prioritätensetzungen weichen dabei allerdings je nach Geschlecht erheblich voneinander ab: Bei Frauen steht die Gesundheitsversorgung weit an der Spitze (56 Prozent), gefolgt von Bildung (47 Prozent), wirtschaftlicher Lage und Innerer Sicherheit (je 35 Prozent). Für Männer steht die wirtschaftliche Lage eindeutig im Vordergrund (57 Prozent), gefolgt von Innerer Sicherheit (45 Prozent), Gesundheit (39 Prozent) und Bildung (32 Prozent).
Eine Mehrheit der Deutschen (insgesamt 55 Prozent) ist mit der Qualität der Gesundheitsversorgung (noch) sehr oder eher zufrieden. Langfristig ist der Grad der Zufriedenheit allerdings stark gesunken. Die Zukunftserwartungen sind eher schlecht: 60 Prozent haben gar kein oder eher wenig Vertrauen in die Versorgung der Zukunft. Die Erwartungen an die Krankenhausreform, das wichtigste gesundheitspolitische Reformprojekt der ablaufenden Legislaturperiode, sind pessimistisch: Nur 20 Prozent (Osten elf Prozent) erwarten Verbesserungen, 36 Prozent Verschlechterungen, 42 Prozent keine wesentlichen Veränderungen. Keine überragende Priorität hat inzwischen die freie Arztwahl. Dagegen wünscht sich eine Mehrheit (53 Prozent) lieber einen schnellen Termin beim Arzt als eine freie Wahl des Arztes.
Der Anteil der Krankenhäuser, die im abgelaufenen Jahr Verluste gemacht haben, könnte von 61 Prozent in 2023 auf 79 Prozent steigen. Dies geht aus einer Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts hervor, die von Mai bis August 2024 durchgeführt und nun von der Deutschen Krankenhausgesellschaft veröffentlicht wurde. Auch die Erwartungen an das neue Jahr sind negativ: eine gute wirtschaftliche Situation erwarten nur noch fünf Prozent der Kliniken – ein absoluter Tiefststand. Hauptursache der wirtschaftlichen Schieflage sind Kostensteigerungen insbesondere beim Personal, die sich nicht vollständig überwälzen lassen. Trotz eines Anstiegs der GKV-Ausgaben für Krankenhäuser von rund acht Prozent in den ersten drei Quartalen 2024 steigt das Risiko von Liquiditätsengpässen. Eine weitere Ursache ist die mangelhafte Investitionsfinanzierung durch die Länder. Die Repräsentativumfrage zeigt aber auch einen Strukturwandel: Drei Viertel aller Kliniken betreiben ein oder mehrere MVZ, meist fachgebietsübergreifend. Ferner stellen sich immer mehr Kliniken auf Leistungen ein, die nach Hybrid-DRGs sektorenübergreifend gleich vergütet werden.
Vor dem Hintergrund des Krankenstand-Rekords im vergangenen Jahr schlägt der Vorstandsvorsitzende der Allianz AG, Oliver Bäte, im “Handelsblatt” vor, wieder einen Karenztag einzuführen. Für den ersten Tag der Krankmeldung würden Arbeitnehmer danach keine Lohnfortzahlung mehr erhalten. Tatsächlich ist die Zahl der registrierten Fehltage bei GKV-Versicherten von 11,1 in 2021 auf 15,1 in 2023 gestiegen; allein in den ersten zehn Monaten 2024 lag bei der Techniker Krankenkasse die Zahl der Fehltage bei 17,7. Auch im OECD-Vergleich liegt Deutschland weit über dem Durchschnitt.
Der Vorstoß ist allerdings höchst umstritten: Er führte nicht nur bei Gewerkschaften und beispielsweise bei der Arbeitnehmervereinigung der CDU („inakzeptable Misstrauenskultur“) zur erwarteten Ablehnung, sondern auch zu Einwänden von Wirtschaftswissenschaftlern. Karenztage, so der Wirtschaftsweise Martin Werding (Uni Bochum) sehen das Risiko von Präsentismus und einem erhöhten Infektionsrisiko für andere Mitarbeiter. Erwogen werden könnte stattdessen eine Senkung der Lohnfortzahlung in der ersten Woche auf 80 Prozent angesichts der vergleichsweise arbeitnehmerfreundlichen Ausgestaltung in Deutschland. Der Chefökonom des Verbandes forschender Pharma-Unternehmen, Claus Michelsen, hält es für effektiver, die Prävention und insbesondere Schutzimpfungen stärker zu nutzen. Deren ökonomischer Effekt wird bislang überhaupt nicht betrachtet. Der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, sieht bei dem Thema keine spezifisch ärztlichen Gesichtspunkte, zu denen sich die BÄK positionieren müsse. Es sei ein gesellschaftspolitisches Thema.
Kommentar: Karenztage – eine Unsinnsdebatte
Hier spricht nicht der Blinde von der Farbe, sondern jemand, der 35 Jahre Personal- und Führungsverantwortung getragen hat. Und das bedeutet auch: Verantwortung für Gesundheit und Wohlergehen der Mitarbeiter am Arbeitsplatz als Beitrag zur Arbeitszufriedenheit, zum Schutz von Kollegen vor Infektionen und vor zusätzlichen Belastungen durch einen unnötig hohen Krankenstand.
In all diesen Jahren habe ich den Krankheitsstand meines Verantwortungsbereich stets – auch vergleichend – im Blick behalten, mit dem Ziel, ihn zu minimieren. Dabei helfen einige konsequent einzuhaltende Regeln: Erstens jede Form von Präsentismus konsequent vermeiden und unterbinden, und zwar schon bei den ersten Krankheitssymptomen. Zweitens: Stringente Förderung und Durchsetzung von Prävention. Dazu notwendig ist das Angebot des Arbeitsgebers, im Betrieb Schutzimpfungen anzubieten, aber auch andere arbeitsmedizinische Untersuchungen, etwa die Augen für Mitarbeiter, die regelmäßig am Bildschirm arbeiten. Es ist möglich, eine Kultur der Prävention und der gesundheitlichen Achtsamkeit zu implementieren und zu praktizieren.
Aber das ist kein deutscher Standard. Die zahllosen Publikationen der Krankenkassen zu Fehlzeiten weisen erhebliche berufs- und branchenspezifische Unterschiede auf, die nicht allein mit gefahrengeneigten Tätigkeiten (Verletzungsgefahren am Bau) oder äußeren Bedingungen (Witterung) erklärt werden können. Die weit überdurchschnittlichen Krankenstände in der öffentlichen Verwaltung, im Sozialwesen, aber auch bei den Pflegeberufen (am höchsten in der Altenpflege) haben ihre Hauptursache im Führungsversagen des Top- und mittleren Managements.
Dass man es besser machen kann, zeigen durchgängig niedergelassene Ärzte: Der Krankenstand ihrer MitarbeiterInnen, der MFA, liegt bei einem Bruchteil des Pflegepersonals in Krankenhäusern und Altenpflege. Den Praxisärzten scheint es zu gelingen, eine gesunde Verbindung zwischen eigenem ökonomischem Interesse und der Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu schaffen.
Angesichts der erwarteten Rückkehr eines Teils der in Deutschland arbeitenden syrischer Ärzte in ihre Heimat – sie stellen mit 5758 (Stand 31.12.2023) mit den größten Anteil ausländischer Ärzte – hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach einen Ausbau der Medizinstudienkapazitäten um 5000 Studienplätze gefordert. Das würde die Unikapazitäten in der Medizin um etwa acht Prozent erhöhen und pro Jahrgang gut 800 angehenden Medizinern ein Studium ermöglichen. Bei den Ländern besteht allerdings wenig Bereitschaft, die dafür notwendigen Investitions- und laufenden Kosten zu übernehmen. Die letzte Neugründung einer medizinischen Fakultät ist Cottbus, wo der Start für das erste Semester begonnen hat. Selbst bei einem zügigen Ausbau der Kapazitäten würden die zusätzlichen Ärzte angesichts der mindestens zwölfjährigen Aus- und Weiterbildung erst in der zweiten Hälfte der 2030er Jahre voll zur Verfügung stehen.
Kurz vor der flächendeckenden Einführung der elektronischen Patientenakte ist es dem Chaos Computer Club (CCC) gelungen, sich unbefugt Zugang zu dem System der ePA zu verschaffen. So habe man sich mit nur zwei Telefonaten eine Gesundheitskarte für jemand anderes schicken lassen. Die nötigen Daten ließen sich dann mittels Hackermethoden ermitteln. Um elektronisch in eine ganze Praxis einzudringen, boten sich die CCC-Spezialisten einer Praxis als IT-Dienstleister an. Darüber hinaus sind im Internet aus Praxisauflösungen funktionstüchtige Bauteile wie Konnektoren und Karten zu bekommen. Institutionsausweise besorgten sich die CCC-Spezialisten über Schadcodes bei ausstellenden Kartenheerausgebern.
Bundesgesundheitsminister Lauterbach versicherte, die ePA werde erst an den Start gehen, wenn alle Hackerangriffe technisch unmöglich gemacht würden. Die zuständige Gematik teilte mit, das Problem ernst zu nehmen, man halte aber eine praktische Durchführung eines Angriffs, wie vom CCC geschildert, für wenig realistisch. Die geschilderten Sicherheitslücken lägen nicht unbedingt an der Technik, sondern in strukturell-prozessualen Schwachstellen. Dafür müssten Nutzer sensibilisiert werden.
Nach Daten des Robert Koch-Instituts sind nur 21 Prozent der einjährigen Kinder in Deutschland vollständig geimpft. Zwar würden empfohlene Impfungen häufig nachgeholt, gleichwohl seien Kinder im Alter von zwei Jahren nur zu 77 Prozent vollständig geimpft. Bei Diphtherie lag die Quote der vollständigen Immunisierung bei Kindern im Alter von 15 Monaten zuletzt bei 64,5 Prozent, gegen Masern bei Zweijährigen bei 77 Prozent. Die vollständige Immunisierung wird regelmäßig oft erst bis Eintritt des Schulalters erreicht – das entspricht aber nicht den Empfehlungen, die die vollständige Immunisierung bis zum 15.Lebensmonat vorgesehen hat. Als wesentliches Problem sehen Experten, dass Krankheiten wie Diphtherie bei Eltern so gut wie unbekannt seien – 2023 wurden dem RKI 47 Erkrankungen gemeldet – und daher die Schwere der Krankheit unterschätzt.
Zunehmend werde auch das Risiko einer Corona-Infektion unterschätzt und der Nutzen einer zusätzlichen Impfung – der Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf – nicht mehr gesehen. In der Saison 2023/24 sind nur 16 Prozent der Menschen über 60 Jahren gegen Covid-19 geimpft worden.
In diesem Jahr werden wahrscheinlich mehr als 40 neue Arzneiwirkstoffe von der EU-Kommission zugelassen werden. Das geht aus einer Analyse des Verbandes forschender Pharma-Unternehmen hervor. Erwartet wird, dass erstmals seit 2002 wieder ein oder zwei neue Arzneimittel gegen Alzheimer-Demenz zugelassen werden. Laut vorliegender Studien können diese in einem sehr frühen Stadium den Krankheitsverlauf verlangsamen. Für eines der beiden Arzneimittel ist die Zulassung von der EMA bereits empfohlen. Erstmals könnten auch ein oder zwei Impfstoffe gegen das Chikungunya-Fieber auf den Markt kommen. Die vor allem in Tropen vorkommende durch Mücken übertragene Infektion breitet sich inzwischen auch in den USA und Südeuropa bis nach Frankreich aus; ursächlich ist der Klimawandel. Zum Schutz vor Covid-19 soll es neu angepasste mRNA-Impfstoffe sowie einen sa-mRNA-Impfstoff geben, der verstärkt ist. Für Menschen, bei denen krankheitsbedingt keine Immunisierung möglich ist, soll ein neues präventives Antikörper-Medikament angeboten werden. Rund ein Drittel der Innovationen sind zur Behandlung von Krebs vorgesehen, allein beim nicht kleinzelligen Lungen-Ca sechs neue Wirkstoffe. Die zunehmende Differenzierung in der Krebstherapie ist eine Reaktion auf immer bessere Bestimmungen der Gen-Mutationen, auf die eine individuelle Behandlung folgen kann.