Der Bundestag hat am Donnerstag in erster Lesung die Regierungsentwürfe zum Digitalgesetz und zum Datennutzungsgesetz beraten. Beide Gesetze zielen darauf ab, den im internationalen Vergleich massiven Rückstand Deutschlands bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens in den kommenden Jahren zügig aufzuholen. Mit dem Digitalgesetz wird die ePA ab 2025 verbindlich, Patienten haben die Möglichkeit, die Nutzung abzulehnen (OptOut). Bereits ab 2024 soll das eRezept verbindlich werden. Ferner sollen Mengenbeschränkungen für die Telemedizin aufgehoben werden. Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz erlaubt die Nutzung pseudonymisierter Daten der ePA durch staatliche und industrielle/gewerbliche Gesundheitsforschung, also auch bei der Entwicklung von Arzneimitteln oder etwa bei gezielteren Präventionskampagnen von Krankenkassen. Sowohl Vertreter der Koalitionsfraktionen als auch der CDU/CSU-Fraktion begrüßten die Gesetze, mahnten allerdings auch eine enge Einbindung der Ärzteschaft in den Digitalisierungsprozess an.
Nach einer Umfrage im Auftrag des Zentralverbandes der Elektro- und Digitalindustrie bewerten 71 Prozent der repräsentativ Befragten die ePA als hilfreich, nur 17 Prozent sehen keinen Nutzen daran. Jeweils rund drei Viertel sprachen sich dafür aus, dass Ärzte und ärztliches Personal möglichst schon vor der Konsultation Einsicht in die ePA nehmen und dass medizinische Daten nach einer Untersuchung auch automatisch und unaufgefordert in die ePA eingetragen werden
Unterdessen macht die Digitalisierung auch in der Realität Fortschritte. So meldet die Charité, dass sie als eine der ersten Universitätskliniken mit der standardisierten Nutzung der ePA begonnen hat. Darin enthalten sind insbesondere auch Arzt- und Entlassbriefe für die Weiterbehandlung. Voraussetzung für die Nutzung ist allerdings, dass Patienten bereits eine ePA haben und ihrer Nutzung zustimmen.
Das Bundesgesundheitsministerium hat einen umfangreichen Katalog zur Entbürokratisierung des Gesundheitswesens erarbeitet, mit dem auch Arztpraxen entlastet werden sollen. Geplant sind unter anderem die Erhöhung der Bagatellgrenze für Wirtschaftlichkeitsprüfungen im Bereich von Arznei- und Heilmitteln, eine Verminderung der Formulare und Vordrucke, die Vereinfachung von Konsiliarberichten bei Überweisungen an Psychotherapeuten, möglicherweise sogar der Verzicht und Wegfall des zweistufigen Antragsverfahrens bei psychotherapeutischen Kurzzeittherapien. Eine erhebliche Entlastung verspricht sich das BMG bei der Digitalisierung vertragsärztlicher Überweisungen – mit rund 195 Millionen Vorgängen jährlich ein Massengeschäft. Das könne sechs Millionen Arbeitsstunden sparen. Da dies an Digitalisierungsvoraussetzungen gebunden ist, wird die Zeitersparnis nur schrittweise erschlossen.
Als "besorgniserregend" bewertet der Vorsitzende des Verbandes der Kinder- und Jugendärzte, Dr. Thomas Fischbach, den starken Rückgang der Erstimpfungsquoten bei Kindern und Jugendlichen in den vergangenen Jahren. Forscher der Universität Bielefeld und des gesundheitsökonomischen Forschungsinstituts Vandage (Bielefeld) ermittelten auf Basis von Abrechnungsdaten der DAK Gesundheit zwischen 2019 und 2022 einen Rückgang bei 9- bis 17-jährigen Jugendlichen von 25 Prozent. Bei Jungen war dies mit 31 Prozent deutlich stärker rückläufig als bei Mädchen (minus 21 Prozent). Als mögliche Ursache nennen die Forscher weniger Arztbesuche, zurückgehende Aufmerksamkeit und rückläufige Impfbereitschaft. Insgesamt lag die Erstimpfungsquote im vergangenen Jahr bei 7,4 Prozent.
Diese Entwicklung sei "alarmierend und ein schlechtes Zeichen für die Gesundheitsvorsorge unserer Kinder. Ein erhoffter Nachholeffekt nach der Corona-Pandemie ist leider ausgeblieben", resümiert der Vorstandsvorsitzende der DAK, Andreas Storm. Notwendig sei eine Impf-Offensive, bei der vor allem Eltern für die Vorteile der HPV-Impfung sensibilisiert werde. Positiv bewertet Fischbach, dass der Anteil impfender Pädiater gestiegen sei. Auch er befürwortet eine Informationskampagne und sieht neben den Krankenkassen insbesondere die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in der Verantwortung. Die HPV-Impfung ist seit 2007 für Mädchen und seit 2018 auch für Jungen von der STKO empfohlen.
Die Nettoausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für Arzneimittel haben im vergangenen Jahr einen Höchststand von 52,9 Milliarden Euro erreicht. Dies geht aus Daten des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen hervor. Der Anteil an den GKV-Arzneimittelausgaben beträgt 18 Prozent, etwas mehr als der für die vertragsärztliche Versorgung mit 17 Prozent. Als besonders kritisch bewertet der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes Jens Martin Hoyer den mittelfristigen Trend: Während die deutsche Wirtschaft seit 2013 um 38 Prozent gewachsen sei, nahmen die Arzneimittelausgaben um 88 Prozent, für patentgeschützte Arzneimittel sogar um 100 Prozent, zu. Dieses Jahr dürfte das Wachstum moderat ausfallen. Grund dafür ist ein mit dem GKVFinG von sieben auf zwölf Prozent erhöhter Rabatt, der vor allem patentgeschützte Arzneimittel betrifft. Diese Regelung läuft allerdings zum Jahresende aus. Kassen fordern daher eine Verlängerung.
Antibiotika-Rückstände, die aus Produktionsstätten in die Umwelt gelangen, sind ein ernstzunehmender Faktor bei der zunehmenden weltweiten Resistenzentwicklung gegen antibiotische Wirkstoffe. Das zeigt eine weltweit erstmals seit 2020 unter Federführung der AOK Baden-Württemberg mit dem IWW Rheinisch-Westfälischen Institut für Wasserforschung und mit Unterstützung des Umweltbundesamtes durchgeführte Studie, die jetzt wenige Tage vor der Internationalen "Woche der Antibiotikaresistenzen" von vier UN-Organisationen (20. bis 25. November) vorgestellt wurde.
Hintergrund: Die AOK Baden-Württemberg ist federführend für alle AOKen beim Abschluss von Arzneimittel-Rabattverträgen. Erstmals vor drei Jahren hat sie ein optionales Nachhaltigkeitskriterium beim Abschluss von Rabattverträgen eingeführt, um Anreize für eine umweltgerechte Produktion zu schaffen. Danach können Unternehmen einen Bonus erhalten, wenn sie sich verpflichten, wirkungsbasierte Maximalkonzentrationen im Produktions-Abwasser einzuhalten. Antibiotika-belastete Abwässer gelangen über die Nahrungskette von Mensch und Tier in den Kreislauf und sind eine wichtige Ursache für die Entwicklung von Resistenzen. Das sei ein globales Problem, so die Leiterin des Fachgebiets Arzneimittel beim Umweltbundesamt, Dr. Malgorzata Debiak.
Die Einhaltung der vertraglich vereinbarten Grenzwerte wird durch Entnahme und Analyse von Proben bei den Wirkstoffherstellern vor Ort durch Experten des IWW überprüft. Messungen wurden an zehn Standorten in Indien und Europa durchgeführt. Untersucht wurde dabei auch die Belastung der Umwelt durch die Antibiotika-Produktion. An 40 Prozent der Produktionsstätten wurden teils massive Überschreitungen der Grenzwerte im Abwasser und in der Umwelt festgestellt, so Tim aus der Beek vom IWW. Die höchste Überschreitung innerhalb der Produktionsanlagen wurde beim Antibiotikum Ciprofloxazin gemessen und erreichte 11.000 Prozent des Grenzwertes. Weitere Schwellenwertüberschreitungen lagen in ähnlicher Höhe. Auch die Effekte im Ökosystem sind erheblich: Die höchste Überschreitung wurde in einem Gewässer in Indien für Azytrhromyzin gemessen: Sie lag 1,6 Millionen Prozent über den ökotoxikologischen Schwellenwert. Dieses Problem beschränke sich nicht auf Indien, sondern sei auch in Europa zu beobachten. Die Pilotstudie zeige aber auch positive Effekte, so Tim aus der Beek vom IWW: Die Hersteller reagieren mit Verbesserungen ihrer Produktionsprozesse.
Das Resümee, so AOK-Vorstandsvorsitzender Johannes Bauernfeind: Die Bekämpfung von Antibiotikaüberschreitungen im Wasser erfordert einen globalen Health-in-All-Ansatz – ökonomisch, sozial und ökologisch. Handlungsempfehlungen haben die AOK, das IWW und dass Umweltbundesamt in einem Policy-Paper zusammengefasst. Eine Forderung: In der EU-Arzneigesetzgebung sollten für die Zulassung und die laufende Produktion verbindliche Umweltkriterien für ausgewählte Arzneimittel definiert werden, ebenso einheitliche Kontrollsysteme.
Judith Gerlach (38, CSU), bisherige Staatsministerin für Digitales, wird neue Gesundheitsministerin im dritten Kabinett des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. Die Juristin folgt auf Klaus Holetschek, der jetzt die CSU-Landtagsfraktion führt. Geplant ist im Gesundheitsministerium eine eigene Abteilung für Prävention.