Das Thema Kommunikation in der Medizin beschäftigt mich schon sehr lange. Wir haben geredet, Studien aufgesetzt, Seminare organisiert, gerade habe ich ein ganzes Buch darüber veröffentlicht (Von der Kunst, schlechte Nachrichten gut zu überbringen, Heyne Verlag, 2024). Geändert hat sich nicht viel.
Jetzt stellt sich die Frage: Brauchen wir eine Petition für eine bessere Finanzierung der Kommunikation zwischen Arzt und Patient, für eine Strukturänderung, um in der Medizin besser kommunizieren zu können? Ich denke: Ja! Genau das brauchen wir.
Es geht darum, dass Medizin im Rahmen der personalisierten Medizin immer komplizierter und kleinteiliger wird – das ist ja gut so. Ich denke da beispielsweise an die zielgerichteten Therapien. Das alles bringt einen viel höheren Erklärungsbedarf mit sich. Es ist sogar gesetzlich verankert, dass die Patientinnen und Patienten in die Therapieentscheidungen eingebunden werden. Wir reden hier wohlklingend vom partizipatorischen Entscheidungsprozess. Der nicht unerhebliche Schönheitsfehler ist aber: die Strukturen sind dafür nicht da. Ein Riesenproblem!
Wenn Kommunikation als selbstverständlich angesehen wird, aber nicht wirklich in sie investiert wird, dann fehlen die Rahmenbedingungen, es fehlt die entsprechende Ausbildung. Dann kann ich den derzeit ungenügenden Zustand in der Kommunikation nicht verändern. Es wird in digitale Lösungen investiert, Apps sollten kurzfristig das Allheilmittel sein. Von der Künstlichen Intelligenz werden Lösungen erhofft. Sie kann Prozesse unterstützen und optimieren, aber auch sie kann keine dialogische Intelligenz ersetzen. Und man sieht inzwischen, dass die Apps kaum genutzt werden, weil die Menschen nunmal nach menschlicher Nähe und Kommunikation suchen. Das heißt: Digitalisierung ist für vieles gut, aber sie allein kann nicht die Lösung sein.
Es kann nicht sein, dass die Kommunikation von Schwestern und Ärzten als selbstverständlich gesehen und nicht honoriert wird. Es geht nicht, dass Therapien unabhängig von der dazu notwendigen Kommunikation vergütet werden. Das ist so kontraproduktiv und für den medizinischen Fortschritt sinnfrei, dass ich es nicht mehr einsehe. Auf der einen Seite will man die Mündigkeit der Patienten stärken, auf der anderen Seite bleiben wir in alten Strukturen hängen, die vor 100 Jahren geschaffen wurden.
Wir haben vor einigen Wochen eine große Blindstudie (How to break bad news and how to learn this skill, DOI: 10.1136/ijgc-2023-004693) publiziert, bei der über 1500 Ärztinnen, Ärzte und Studierende befragt wurden, wie sie mit der Überbringung von schlechten Nachrichten umgehen. Und wir haben gesehen, dass sie immer noch schlecht ausgebildet sind und nicht strukturiert zu diesem Thema fort- und weitergebildet sind. Und wir haben auch gesehen: wenn mindestens 20 Stunden dazu in Aus- und Weiterbildung investiert werden, dann sinkt die Angst der Ärzte und Studierenden vor diesen Gesprächen signifikant. Diese Angst ist übrigens auch ein Grund, warum wir die eine oder andere Ärztin aus dem Berufsfeld verlieren – weil sie leiden, weil sie Burnout bekommen. Und wir gehen davon aus, dass bessere Kommunikation auch zu weniger ärztlichen Fehlern und mehr Patientensicherheit führt und damit in der Folge Kosten spart. Denn es kommt unter anderem auch zu weniger Über- und Untertherapie, wodurch wiederum die Patientenzufriedenheit steigt.
Deswegen wird meiner Meinung nach eine politische, parteiübergreifende und berufsübergreifende Allianz notwendig, um Rahmenbedingungen für eine bessere, zukunftsfeste Kommunikationsstruktur im Gesundheitswesen zu schaffen – und dann auch gesetzlich zu verankern, sodass die Krankenkassen dafür zahlen müssen.
Derzeit bin ich auf der Suche nach einer Struktur, um diese Idee einzubringen und den entscheidenden Gremien vorzulegen. Es geht die Gesellschaft als Ganzes an, die Berufsgruppen in der Medizin und drumherum, die Patienten. Ich kenne viele starke Mitstreiter, die sich dem anschließen werden. Wenn man vielleicht 50 000 Unterschriften zusammen hat, wird sich vielleicht jemand bewegen.
Das Schreiben an meinem Buch hat mir geholfen, aus all meinen Erfahrungen ein Destillat zu finden und ein Fazit zu ziehen: der sanfte Weg der moderaten Diskussion verändert nichts. Wir müssen jetzt ins Handeln kommen, Alarm schlagen, laut werden. Alle müssen aufwachen, die Krankenhausgesellschaft, die Krankenkassen, die Berufsverbände. Es geht so nicht weiter. Wir brauchen jetzt eine Aktion. Oder aber wir schließen das Thema Kommunikation – allerdings gebe ich zu bedenken: Medizin ist ohne Kommunikation nicht möglich! Wir brauchen jetzt eine Änderung, sonst ist es bald zu spät!
Mehr von Prof. Sehouli im Podcast WeissBunt.