Influenza, RSV, COVID - Welche Impfung für Kinder ist jetzt wichtig?

Der Berliner Kinderarzt Dr. Martin Karsten macht sich naturgemäß viele Gedanken über die Gesundheit der Kinder. Aktuell steht die Impfsaison für Kinder an. Der erfahrene Pädiater gibt Tipps für die Praxis.

Die Infektsaison steht vor der Tür: Nachholeffekt bei Kindern

Die Infekte ziehen derzeit deutlich an. Und wir erwarten, dass die Zahl der erkrankten Kinder ähnlich hoch sein wird wie im letzten Jahr. Im frühen Herbst des letzten Jahres war die RSV-Welle extrem. Dann kam die Grippe-Welle extrem stark. Genauso erwarte ich es wieder. Dazu wird sich noch Corona einreihen, die Variante XBB 15. Darauf müssen wir uns jetzt sinnvoll vorbereiten.

Denn es ist immer noch mit der Nachwirkung der Corona-Jahre zu rechnen, in denen die RSV- und die Influenza-Infekte quasi ausgefallen sind. Der Nachholeffekt ist weiter wirksam, weil sich immer noch nicht alle Kinder angesteckt haben und weil es nur eine Teilimmunität gibt.

Wie können wir uns also vorbereiten? Natürlich mit den entsprechenden Impfungen! 

Kinder sind Grippe-Treiber

Ich rate dazu, kleine Kinder jetzt gegen Grippe zu impfen, denn hier sind Kinder eben eindeutig Treiber der Pandemie - im Gegensatz zur Corona-Infektion, wie wir nun wissen. Bei der echten Grippe kriegen die Kinder von jetzt auf gleich 40 Grad Fieber und starken Husten, und die Krankheit hält lange an. Es kann Komplikationen geben, wie Lungenentzündungen, Fieberkrämpfe, selten auch Hirnhautentzündungen. Auf jeden Fall sind die betroffenen Kinder schwer krank - und sie bringen die Infektion in die Familien, die dann eben gemeinsam flach liegen. Das Problem ist auch, dass Kinder nicht wie Erwachsene sieben Tage Viren ausscheiden, sondern bis zu vier Wochen, weil sie noch nicht so eine starke Schleimhautimmunität haben.

Dennoch lautet die allgemeine Empfehlung für die Influenza immer noch: Personen über 60 Jahren und alle chronisch kranken Kinder impfen. Letzteres ist natürlich Auslegungssache. Ich sage: Kleine Kinder und Kinder in Krippen und Kitas sind chronisch krank. Denn sie haben einen Infekt nach dem anderen. Das wissen alle Eltern, die Kinder in den Einrichtungen haben. Wenn man nachguckt, also Abstriche macht, stellt man fest, dass beinahe alle Kinder eines Jahrgangs, die neu in der Kita sind, die Grippe bekommen. Das sind mit Sicherheit 80 bis 90 Prozent.

Sollte man Kinder gegen Grippe impfen? 

Deshalb sage ich und nicht nur ich, sondern auch viele andere Experten: es ist sinnvoll, die kleinen Kindergartenkinder von eins bis fünf Jahren gegen Grippe zu impfen. Meine Sorge ist aber: Das wird nicht genug angenommen. Und es wird auch nicht genug gemacht. Das liegt auch daran, dass nicht genau nachgeguckt wird. Man könnte Influenza genauso mit Hilfe von Schnelltests und Antigen-Tests feststellen. Die Tests gibt es seit 15 Jahren. Aber virologische Diagnostik wird selten vorgenommen. Wenn Kinder Symptome haben, heißt es: Virus-Infekt und fertig. Aber ich finde es relevant, um welches Virus es geht. Eine Grippe ist viel ansteckender als beispielsweise Rhino-Viren. Wenn dann die Großeltern angesteckt werden, kann es unter Umständen gefährlich werden. Ich habe in den letzten fünf Jahren zweimal erlebt, dass eine Großmutter an Influenza gestorben ist, die ein Kind in die Familie gebracht hat.

Und man berät bei Influenza auch ganz anders. Wenn hinter den üblichen Symptomen Husten, Schnupfen und Heiserkeit Influenza steckt, weiß ich, das Kind wird bis zu sieben Tagen hohes Fieber haben. Und ich muss kein Antibiotikum geben. Die Eltern können sich weitere Arztbesuche sparen. Sie müssen Geduld haben und nicht weiter nach Hilfe suchen. Deshalb teste ich oft und viel. Die Schnellabstriche können alles auf einmal ausweisen: Influenza, RSV und Corona. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten nicht. Aber die Eltern zahlen die drei Euro meistens gern.

RSV- und Corona-Impfung: Wann sind sie für Kinder sinnvoll? 

Was rate ich in puncto Impfung grundsätzlich? Wer ein Neugeborenes zu Hause hat, sollte die größeren Geschwister auf jeden Fall gegen Grippe impfen. Denn die Haupttreiber der Grippe sind nun einmal die Kitas. Das andere wichtige Thema sind die RSV-Viren. Früher dachte man, die sind nur für Frühgeborene, Herzkranke und chronisch Lungenkranke gefährlich. Wir Kinderärzte haben aber schon lange gesehen, dass 70 bis 80 Prozent der Erkrankten Kinder ohne diese Risikofaktoren waren. Und auch die können sauerstoffpflichtig werden. Nun gibt es eine ganz neue passive Impfung mit Antikörpern. In Deutschland kosten sie 1400 Euro. Dieses Jahr wird es für Deutschland noch keine generelle Empfehlung dafür geben. In Spanien, in anderen europäischen Ländern und in den USA wird das übernommen. Dort kostet der Antikörper nur 400 Euro.

Ich fordere allerdings, dass die Kassen das übernehmen. Denn wir wissen, dass Kinder, die im ersten Lebensjahr diese Bronchitiden haben, oft jahrelang ein überempfindliches Bronchialsystem behalten. RSV-Viren erhöhen die Anfälligkeit für Asthma und Lungenprobleme in den ersten Lebensjahren erheblich. Zu uns kommen Eltern, die schon einmal ein kleines Kind sauerstoffpflichtig im Krankenhaus gehabt haben. Das wollen sie nicht noch einmal erleben, und die zahlen das dann. Derzeit prüft die STIKO und wird hoffentlich im nächsten Jahr eine Empfehlung aussprechen.

Zu guter Letzt gibt es einen neuen, monovalenten Corona-Impfstoff für Kinder. Aber da sage ich ganz klar: COVID hat die Kinderärzte nicht besonders stark beschäftigt, ganz im Gegensatz zu Influenza und RSV. Ich würde daher die Corona-Impfung Risikokindern vorbehalten, etwa adipösen Kindern oder Kindern mit Diabetes

Fazit:
Influenza-Impfung jetzt unbedingt für kleine Kinder. RSV–Antikörper im Einzelfall prüfen, weil sie noch extrem teuer sind. COVID-Impfung ist nur bei bestimmten Risikofaktoren angeraten.

Dr. med. Martin Karsten

Dr. Karsten ist Facharzt für Kinderheilkunde und seit 1990 niedergelassen in einer pädiatrischen Gemeinschaftspraxis mit Dr. Evelyn Rugo und Dr. Matthias Wagner in Berlin-Wilmersdorf.