RSV-Prophylaxe für Neugeborene: Wer bezahlt die Behandlung?

Der Berliner Kinderarzt Dr. Martin Karsten macht sich in seiner esanum-Kolumne Gedanken über die bevorstehende Erkältungs- und Grippesaison für seine kleinen Patienten.

Weniger Infektionen im Sommer, neue Herausforderungen im Herbst

Im zurückliegenden Sommer waren die Infektionszahlen etwas niedriger als in den Jahren zuvor. Es gab weniger Atemwegsinfektionen und vor allem weniger Magen-Darminfekte bei den Kindern. Die so genannten Aufhol-Infektionen nach der Corona-Zeit sind also durchlaufen. Das wirkt sich natürlich positiv auf unseren Praxisalltag aus. Was jetzt kommt, sind zu 15 bis 20 Prozent wieder Corona, am häufigsten aber Rhinoviren und Parainfluenzaviren. Interessanterweise kommen derzeit viele Mykoplasmen hinzu. Die lassen sich leicht mit einem Abstrich nachweisen und sind häufig selbstlimitierend, müssen also nicht unbedingt behandelt werden. Allerdings kann der Infekt unerkannt auch bis zur Lungenentzündung führen. Das ist kein neues Phänomen, aber es waren nach meiner Erinnerung noch nie so viele dieser Infektionen unterwegs. Ich wundere mich, dass die Medien das noch nicht aufgegriffen haben.  Rücksprachen mit dem Labor bestätigen den Eindruck auch aus anderen zuweisenden Praxen. Es ist denkbar, dass es sich hier ebenfalls um einen Nachholeffekt aus den letzten Jahren handelt.

Unklare Kostenübernahme der RSV-Prophylaxe

Problematisch ist zur Zeit die RSV-Prophylaxe, die ab Oktober auf den Markt kommt. Es handelt sich um Antikörper, die früher nur Risiko-Kindern vorbehalten waren - also Frühgeborenen vor der 35. Woche, Herzkranken und chronisch Kranken. Das wird nun neuerdings von der Stiko generell für alle Neugeborenen empfohlen. Alle, die von April bis Oktober geboren sind, sollten noch im Oktober die Prophylaxe bekommen. Und alle nach Oktober Geborenen sollten sie möglichst rasch nach der Geburt erhalten. Denn die RSV-Saison sind ja die Monate von Oktober bis März. Die Prophylaxe schützt in dieser Zeit dann sehr gut. 

Die Eltern sind inzwischen sehr aufgeklärt - und sie fragen nach. Das Problem ist nun, dass auch ein Vierteljahr nach der aktuellen Stiko-Empfehlung die Kostenfrage völlig ungeklärt ist. Offen ist: wer bezahlt die Medikamente?Und wie wird der Arzt vergütet?

Die Prophylaxe wird nicht als Impfung betrachtet  - es handelt sich ja um passive Antikörper. Daher läuft das Ganze nicht über den üblichen Impf-Ausschuss. Das Bundesministerium für Gesundheit wollte die Sache seit Monaten klären. Aber sie ist jetzt, kurz vor der Grippe-Saison, immer noch nicht geregelt. Ein Riesenproblem für die Eltern - und natürlich auch für uns in der Kinderarztpraxis. 

Steigender Druck durch Elternanfragen

Der Druck von den Eltern ist stark. RSV ging schließlich die letzten Jahre durch die Medien. Man sagt, dass jedes dritte Kind in den ersten drei Jahren eine RSV-Infektion durchmacht - und etwa fünf bis zehn Prozent davon sollen stationär behandelt werden. Auch wenn das vielleicht etwas hoch gegriffen ist - das sind die offiziellen Zahlen. Das macht natürlich Angst. Wenn man dann zugleich weiß, dass es eine gute Prophylaxe in Form einer einmaligen IM-Spritze gibt, dann wollen die Eltern das für ihr Kind. Und zwar sofort.

Das Medikament wird vom Großhandel für 350 Euro abgegeben. Der Apothekenpreis wird etwa 450 Euro betragen. Da sagen viele Eltern, egal, wir zahlen das. Aber das können sicher nicht alle. Und es bleibt unklar, ob die Krankenkasse die Kosten erstattet, wenn die Eltern in Vorleistung gehen.

Da wird es sicher noch einen Aufschrei geben. Es geht ja auch um die Logistik. Der Impfplan ist in den ersten zwei Lebensjahren sehr eng. Wir können das Medikament mit anderen kombinieren, aber wir müssen es trotzdem in den Impfplan einbauen - ein großer logischer Aufwand für unsere Praxis. Ich kann das Medikament auch nur dann auf Vorrat bestellen, wenn klar ist, wer die Kosten übernimmt. Ergo: uns sind die Hände gebunden. Wir müssen zusätzlich viel reden, erklären, beruhigen. Und derweil auf Klarheit aus dem Ministerium warten. Der Zeitdruck steigt.

Offene Fragen zur Grippe-Impfung

Hinzu kommt aktuell noch die Frage, wen man gegen Grippe impft. In den letzten Jahren waren die Impfstoffe nicht sehr überzeugend. Zum Teil wurde eine Wirksamkeit von 40 Prozent angegeben. Das ist nicht gerade toll. Allerdings weiß man heute, dass sowohl bei RSV als auch bei Influenza nicht nur die Risikokinder betroffen sind, sondern dass es jedes Kind treffen kann - auch mit schweren Komplikationen, auch mit Hospitalisierung. Trotzdem lautet die Stiko-Empfehlung weiterhin: nur chronisch Kranke gegen Influenza impfen. Ich halte es so, dass ich Kinder mit chronischer Bronchitis und kindlichem Asthma auch als chronisch krank betrachte, sodass ich sie impfen kann. Das ist dann eine Auslegungssache in der Praxis. Bei Influenza gibt es unter fünf Fachleuten fünf Meinungen - bis hin zu Kontroversen. Ich persönlich bin eher ein Befürworter der Influenza-Impfung, weil wir in der Praxis seit 20 Jahren gute Erfahrungen damit gemacht haben. 

Fazit

Die Grippesaison steht vor der Tür, wir gehen erfahrungsgemäß in eine angespannte Phase und wichtige Fragen sind leider ungeklärt. Etwas entlastend wirkt, dass wir Kinderärzte genau wie die Hausärzte entbudgetiert wurden. Das entspannt die Situation ein wenig. Ich kann ungefähr zwei, drei Prozent mehr Leistungen abrechnen - ein Tropfen auf den heißen Stein, die gestiegenen Personalkosten werden damit nicht aufgefangen. Und der begrenzende Faktor bleibt weiterhin das Zeitlimit. Das ist mit Bezahlung nicht wirklich zu lösen. Wir Kinderärzte haben schon immer sehr viel gearbeitet - ob mit oder ohne Budgetierung.

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