Ein akuter Stressor kann in Form eines Antigens bzw. eines Entzündungserregers auftreten und bestimmte Mechanismen im Körper in Gang setzen. Über eine Erhöhung der sympathischen Aktivität kommt es zur Freisetzung von Katecholaminen. Über die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse) steigt das Kortisol im Körper an.1
Die Interaktion zwischen dem sympathischen Nervensystem und dem Immunsystem zeigt für verschiedene chronisch-entzündliche Krankheitsentitäten ähnliche Mechanismen. Typisch ist der biphasische Effekt des sympathischen Nervensystems auf das Immunsystem.
Zu Beginn einer Entzündung zeigt sich zunächst eine erhöhte Aktivität des Sympathikus im betroffenen Gebiet. In dieser Frühphase des Entzündungsprozesses besitzt das sympathische Nervensystem eine proinflammatorische Wirkung.
In der Spätphase der Immunaktivierung hingegen liegt eine inhibierende Wirkungsweise vor. In chronisch entzündeten Geweben fehlen die sympathischen Fasern weitgehend. Bei allen Krankheitsentitäten konnte dieser Rückzug sympathischer Nervenfasern aus entzündlichen Arealen beobachtet werden. Dies führt dazu, dass die Kommunikation zwischen Gehirn und Immunzellen unterbrochen wird. Die Feinabstimmung lokaler Entzündungsreaktionen verläuft als Folge dessen unabhängig vom Gehirn. Die Steuerung wird durch die Zellen vor Ort selbst übernommen: Die TH (Tyrosin-Hydroxylase)- positiven Zellen können Katecholamine unabhängig vom Sympathikus produzieren und so das Entzündungsgeschehen steuern.1,2
Neue Therapieansätze sollten den Körper als Ganzes betrachten
Pongratz stellte dem Auditorium das Konzept der Neuroendokrinoimmunologie vor. Dem zufolge wird das Immunsystem nicht als solitäres System im Körper angesehen – es ist vielmehr eingebettet in ein Netzwerk unterschiedlicher Körpersysteme. Zu diesen zählen neben dem autonomen Nervensystem das Endocannabinoid-System, das endokrine sowie das metabolische System.
Es gibt rege Interaktionen zwischen den unterschiedlichen Systemen. Auf systemischer Ebene kann ein Ungleichgewicht des autonomen Nervensystems in einer gesteigerten Aktivität des sympathischen Nervensystems resultieren. Bei Diabetes mellitus und arterieller Hypertonie kann diese Dysbalance mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko einhergehen.
Auf der Basis des vorgestellten Konzepts können Therapieansätze entwickelt werden, die diese ausgeprägten Wechselwirkungen berücksichtigen, statt sich primär auf die Modulation der Immunzellen zu konzentrieren. Ein Beispiel wäre eine Wiederherstellung des autonomen Gleichgewichts bzw. eine Vagus-Stimulation.1,2
Kommunikation zwischen dem sympathischen Nervensystem und dem Immunsystem
In Entzündungsarealen liegt eine dynamische Beziehung zwischen der sympathischen Innervation und dem Immunsystem vor. Der Sympathikus ist hier unmittelbar an der Regulierung der inflammatorischen Prozesse beteiligt. In lymphatischen Geweben liegen sympathische Nervenenden in direkter Nähe von Immunzellen. Die lymphatischen Zellen selbst sind mit Katecholamin-Rezeptoren ausgestattet. Über die Ausschüttung der Katecholamine Dopamin und Adrenalin kann die Aktivität der Immunzellen auf direktem Wege gesteuert werden. Eine Bestimmung der Nervenfaserdichte in den entzündeten Arealen kann daher Aufschluss über eine mögliche Dysregulation der Entzündungsprozesse geben.1
Fazit: Potential für neue therapeutische Optionen
- Auf eine Entzündung in der Peripherie reagiert das Gehirn über die HPA-Achse und den Sympathikus.
- Die Interaktion zwischen dem sympathischen Nervensystem und dem Immunsystem zeigt für verschiedene chronisch-entzündliche Krankheitsentitäten ähnliche Mechanismen.
- Der biphasische Effekt des sympathischen Nervensystems auf das Immunsystem beginnt mit einer proinflammatorischen Wirkung und endet in der chronischen Entzündungsphase mit einem Rückzug sympathischer Nervenfasern aus dem Entzündungsgebiet.
- Eine Dysbalance des autonomen Nervensystems kann über eine Aktivierung des Sympathikus das kardiovaskuläre Risiko bestimmter Krankheiten begünstigen.
- Es findet eine direkte Kommunikation zwischen dem Sympathikus und den Immunzellen über die Ausschüttung von Katecholaminen statt.
- Aus diesen Erkenntnissen ergeben sich sowohl neue diagnostische als auch therapeutische Möglichkeiten.
- Pongratz Georg, Prof. Dr. med., Rolle des sympathischen Nervensystems bei chronischen Entzündungen, Neuroimmunologie: Einfluss des Nervensystems auf rheumatische Erkrankungen, Deutscher Rheumatologiekongress 2023 in Leipzig, 10:50 - 11:10, 31. August 2023.
- Pongratz G. et al. (2023). Rolle des sympathischen Nervensystems bei chronischen Entzündungen. Z Rheumatol 82, 451–461 (2023).