Neue ASCO- und SSO-Leitlinie sorgt weltweit für Einigkeit

Bei der Behandlung und Prävention von erblich bedingtem Mamma- und Ovarialkarzinom spielen die Genmutationen BRCA1 und BRCA2 eine entscheidende Rolle. Doch die Identifikation geeigneter Patientinnen für eine Keimbahnanalyse war bisher schwierig.

Interview mit Dr. Prof. Dr. Siddhartha Yadav

Herausforderungen der Keimbahnanalyse bei Mammakarzinom

Bei erblich bedingtem Mamma- oder Ovarialkarzinom wird nach Mutationen in den Genen BRCA1 und BRCA2 gesucht. Die pathogenen Varianten dieser Tumorsuppressorgene sind für einen Großteil der hereditären Mammakarzinome verantwortlich. Mittels Gentest können - bei Vorliegen eines z.B. HER2-negativen Mammakarzinoms mit BRCA1/2-Keimbahnmutation - bei den betroffenen Personen zielgerichtete Therapieschemata zum Einsatz kommen. Auch für die Verwandten bzw. Nachfahren kann hier Klarheit bezüglich eines positiven BRCA1/2-Status geschaffen werden. Aktuell gibt es jedoch noch einige Herausforderungen bei der korrekten Patientenselektion für eine Keimbahnanalyse, wenn es um die Früherkennung bzw. Veranlagung für einen Tumor mit BRCA1/2-Keimbahnmutation geht.1

Bei der International Charité Mayo Conference 2024 sprach Prof. Dr. Siddhartha Yadav über die Auswahl und Identifikation geeigneter Patientinnen für eine Keimbahnanalyse. Er geht ein auf die Herausforderungen der zum Teil im Widerspruch zueinanderstehenden länderspezifischen Leitlinien zur Keimbahnanalyse und zeigt auf, dass ein Teil der betroffenen Patientinnen bei Leitlinien-konformen Vorgehen durch das Raster fallen kann.1

Herausforderungen bei der Keimbahnanalyse im klinischen Alltag

Abhängig von der angewandten Leitlinie gibt verschiedene Empfehlungen hinsichtlich der Indikation für eine Keimbahnanalyse. Die länderspezifischen Unterschiede der Leitlinien stellen global betrachtet eine Herausforderung da. Zu diesen zählt auch die 2022 erneuerte ASCO-Leitlinie zum HER2-negativen metastasierten Mammakarzinom. Die erst kürzlich aktualisierte Leitlinie des National Comprehensive Cancer Network (NCCN) gehört ebenso dazu. Die ESMO-Leitlinie für die klinische Praxis enthält wichtige Empfehlungen und Algorithmen für die Behandlung von metastasiertem Mammakarzinom und ist genau wie die von der American Society of Breast Surgeons (ASBrS) entwickelten Leitlinien auch von der Partie. Manche von ihnen stehen hinsichtlich der Empfehlungen zur Keimbahnanalyse im Widerspruch zueinander. Patientenspezifische Faktoren wie Ethnie, individuelle Therapieentscheidung sowie die unterschiedlichen Gesundheitssysteme erschweren zusätzlich länderübergreifende einheitliche Empfehlungen zur Keimbahnanalyse.1

Der NCCN-Leitlinie zufolge spielen folgende Faktoren für die Empfehlung einer Keimbahnanalyse bei Mammakarzinom eine Rolle:

Die ASBrS-Leitlinie hingegen empfiehlt eine Keimbahnanalyse für alle Frauen mit Mammakarzinom unabhängig von anderen Parametern.1

Einigkeit bei Mammakarzinom in der Welt

Neben diesen Unterschieden gibt es jedoch auch bereits Punkte, in denen sich Ärzte und Wissenschaftler weltweit einig sind. Bei hereditärem Mamma- und Ovarialkarzinom sollte eine Keimbahnanalyse bei folgenden Gesichtspunkten durchgeführt werden:

Spezifität und Sensitivität der NCCN-Kriterien bei Mammakarzinom lassen Wünsche offen

Das Leitlinien-konforme Vorgehen bei der Patientenauswahl für die Keimbahnanalyse hat zur Folge, dass ein Teil der Patientinnen mit Prädisposition für Mammakarzinom durch das Raster fallen. Prof. Yadav und sein Forschungsteam haben 2020 eine Studie zu dieser Problematik publiziert. Zwischen 2000 und 2016 wurden Patientinnen mit Mammakarzinom in ein Brustkrebsregister eines tertiären Krebszentrums aufgenommen. Bei dieser Kohorte wurde geprüft, ob pathogene Keimbahnvarianten in den 9 Brustkrebsprädisposition-Genen ATM, BRCA1, BRCA2, CDH1, CHEK2, NF1, PALB2, PTEN und TP53 vorhanden sind. Yadav und sein Team haben an dieser Kohorte die Spezifität und Sensitivität der Empfehlungen des National Comprehensive Cancer Network (NCCN) für erbliche Krebstests bewertet. 47,9 Prozent der betroffenen Frauen, die die NCCN-Kriterien erfüllten trugen mit größerer Wahrscheinlichkeit eine pathogene Variante in 9 Prädispositionsgenen in sich – verglichen mit den Frauen, die die Kriterien nicht erfüllten. 9 Prozent der Frauen erfüllten die NCCN-Kriterien nicht. Von diesen hatten 0,7 Prozent pathogene Varianten in BRCA1 oder BRCA2. Die Sensitivität der NCCN-Kriterien betrug damit 70 Prozent für 9 Prädispositionsgene und 87 Prozent für BRCA1 und BRCA2. Die Spezifität lag bei 53 Prozent. Yadav und sein Team schlussfolgerten hieraus, dass ein erheblicher Anteil der Frauen mit Mammakarzinom, die pathogene Keimbahnvarianten in Prädispositionsgenen tragen für einen Test nach den NCCN-Kriterien nicht in Frage kommen.1

Neue ASCO- und SSO-Leitlinie zur Keimbahnanalyse bei Mammakarzinom

ASCO und SSO veröffentlichen dieses Jahr eine neue Leitlinie zur Keimbahnanalyse bei Mammakarzinom. Der Leitlinie zufolge sollte ein Test zur Ermittlung einer BRCA1/2-Keimbahnmutation bei allen Frauen < 65 Jahre zum Zeitpunkt eines neu diagnostizierten Mammakarzinoms im Stadium I-III oder de novo im Stadium IV/Metastasierung angeboten werden. Frauen > 65 Jahren sollte ein Test zur Ermittlung einer BRCA1/2-Keimbahnmutation empfohlen werden, wenn sie für eine PARP-Inhibitor-Therapie in Frage kommen, ein triple-negatives Mammakarzinom haben oder eine positive onkologische familiäre Vorgeschichte haben.1
 

Quelle:

1. Yadav Siddharta, Prof. Dr., identification and selection of patients for genetic testing, Update in women´s cancer, CMC 2024 Distilled, Berlin, 13. April 2024.