Kopfschmerz und Migräne: Wo steht Deutschland?
Vor allem in der Hausarztpraxis häufig gesehen: Kopfschmerz und Migräne. Wo Deutschland momentan hinsichtlich dieses Themas steht, wurde auf dem DMKG Kongress umfassend beleuchtet.
Kopfschmerz: Auch immer auf die Psyche achten
Bei Kopfschmerzen und Migräne war schon immer ein multimodaler Ansatz in der Therapie gefragt, weswegen Psychologie auch seit jeher eine Rolle im Kontext von Kopfschmerz gespielt hat, so Prof. Dr. Kropp auf dem Kongress. Da die Psyche und Kopfschmerz miteinander verbunden sind, wirkt auch Verhaltenstherapie signifikant bei der Behandlung von Kopfschmerzen. Denn: Durch Psychologie – also Hirnwellenveränderung – kann das motivational-affektive System heruntergeregelt und so der Schmerz kontrolliert werden. Durch eine Aktivierung des PAGs durch schmerzablenkende Instruktionen mit Entspannungsübungen kommt es zu einer geringeren Schmerzwahrnehmung bzw. zu einer höheren kortikalen Schmerzmodulation.
Bereits in den späten 1970, fand die Psychologie Einzug in die Kopfschmerztherapie, hält Kropp fest. Die stets zunehmende Etablierung der psychischen Faktoren führt dazu, dass das Thema "Psyche" mittlerweile in die Leitlinien zur Kopfschmerz- und Migränetherapie eingegangen ist. Früher ureigene psychologische Konzepte, wie die Wirkungserwartung oder Überzeugung, Psychologische Verfahren erweisen sich dabei als sehr effektiv in der Prophylaxe.
"Die multimodale Schmerztherapie ist zentral bei jeder kompetenten Behandlung."
- Prof. Dr. Peter Kropp
Kopfschmerzregister der DMKG
Um die Kopfschmerzforschung voranzutreiben und Betroffene bei der Dokumentation ihrer Kopfschmerzen digital zu unterstützen, wurde das Kopfschmerzregister der DMKG ins Leben gerufen. Hier können Betroffene entweder auf Einladung ihrer Arztpraxis / eines Kopfschmerzzentrums oder unabhängig davon ihre Kopfschmerzen dokumentieren.
Durch den Aufbau einer Kopfschmerz-Datenbank sollen wissenschaftliche Fragestellungen, z. B. aus der Versorgungsforschung, bearbeitet werden können. Zudem können durch die digitale Erfassung der Kopfschmerzen Praxisabläufe vereinfacht und die Daten von Betroffenen digital abgerufen werden. Nach einer Freigabe durch den Patienten kann sich der Arzt die Daten ansehen und ggf. ergänzen. Momentan sind 31 Kopfschmerzzentren deutschlandweit an das Register angeschlossen und umfasst die Daten von mehr als 2.400 Patienten.
Sie wollen mitmachen und Ihre Patientinnen und Patienten auch dazu motivieren, ihre Kopfschmerzen digital zu dokumentieren? Mehr Informationen finden Sie auf der Seite des Kopfschmerzregisters der DMKG.
Digitalisierung in der Kopfschmerztherapie
Neben der Datensammlung, die die Forschung und damit Therapie in Hinblick auf Kopfschmerz und Migräne verbessern kann, kann auch die Auswertung dieser Daten mittels künstlicher Intelligenz die Therapieentwicklung verändern. Aus den Datenmengen lassen sich mithilfe von Algorithmen nämlich beispielsweise Prädiktoren für ein erhöhtes Migränerisiko oder eine anstehende Migräneattacke ableiten.
PD Dr. Lars Neeb verwies dabei unter anderem auf die App "sinCephalea", die bei einer personalisierten Ernährungstherapie zur Migräneprophylaxe unterstützt. Durch eine Reduktion von Blutzuckerschwankungen nach dem Essen werden Migräneattacken seltener und schwächer. Diesem Prinzip folgt die digitale Gesundheitsanwendung: Ein Blutzuckersensor misst konstant den Blutzuckerspiegel und sendet diese Daten an die App. Hierüber erfahren die Nutzer und Nutzerinnen, nach welchen Mahlzeiten der Blutzucker in die Höhe schießt. Darauf aufbauend werden personalisierte Ernährungsvorschläge in der App vorgestellt. Lelleck et al. führten 2022 eine Studie zur Wirksamkeit der App durch und konnten zeigen: 47% der Teilnehmenden erreichten eine 50-prozentige Reduktion der Migränetage.
Kopfschmerz: Großes Thema für die Primärversorgung
Die erste Anlaufstelle für Betroffene mit Kopfschmerzen sind in aller Regel Hausärztinnen und Hausärzte. Diese sind für die Grundversorgung aller Patienten verantwortlich und halten die Hauptkoordinationsfunktion inne, um so auch die Kontinuität der Versorgung sicherzustellen. Obwohl Kopfschmerzen in der Ausbildung zum Allgemeinmediziner recht spärlich behandelt werden, müssen Primärversorger dennoch in der Lage sein, gefährliche Verläufe abzuwenden und Red Flags zu erkennen, die einer fachärztlichen Abklärung bedürfen, so Dr. Sönke Freischmidt auf dem DMKG. Er plädiert für mehr Forschung, nicht nur an Unikliniken, um die Versorgungslage zu verbessern, denn:
"Allgemeinmedizinische Versorgung ist besonders bei chronischen Erkrankungen vorteilhaft, ein Versorgungsvorteil durch Spezialisten scheint bei seltenen Erkrankungen und bei einigen Akuterkrankungen zu bestehen."
- Sachverständigenrat Gesundheit
Doch auch in der neurologischen Niederlassung gibt es Probleme. Prof. Dr. Nelles kritisiert die pauschale Facharztvergütungspauschale, die dem hohen Beratungsbedarf, vor allem von Kopfschmerzpatienten, nicht gerecht werden kann. Deswegen spricht er sich für regelmäßige Informationsveranstaltungen für Betroffene außerhalb der Sprechstunden aus, plädiert aber gleichzeitig für ein Ende der Unterfinanzierung: Spätestens seit 2022 mit steigenden Kosten sei es zunehmend schwieriger, sich komplexer Erkrankungen und der vielfältigen Möglichkeiten zur Diagnose und Behandlung dieser anzunehmen.
Mehr Highlights vom DMKG finden Sie in unserer Kongressberichterstattung.
- Prof. Dr. Peter Kropp, "Kopfschmerz und Psyche im Wandel der Zeit", Session: "Kopfschmerz 2023 – Wo steht Deutschland?", DMKG Kongress 2023
- PD Dr. Ruth Ruscheweyh, "Kopfschmerzregister der DMKG: Daten aus der deutschen Real World", Session: "Kopfschmerz 2023 – Wo steht Deutschland?", DMKG Kongress 2023
- PD Dr. Lars Neeb, "Digitalisierung in der (Kopfschmerz)therapie", Session: "Kopfschmerz 2023 – Wo steht Deutschland?", DMKG Kongress 2023
- Lelleck VV, Schulz F, Witt O, Kühn G, Klein D, Gendolla A, Evers S, Gaul C, Thaçi D, Sina C, Schröder T. A Digital Therapeutic Allowing a Personalized Low-Glycemic Nutrition for the Prophylaxis of Migraine: Real World Data from Two Prospective Studies. Nutrients. 2022 Jul 17;14(14):2927. doi: 10.3390/nu14142927. PMID: 35889884; PMCID: PMC9315551.
- Dr. Sönke Freischmidt, "Impulse aus der Primärversorgung", Session: "Kopfschmerz 2023 – Wo steht Deutschland?", DMKG Kongress 2023
- Sachverständigenrat Gesundheit. Sondergutachten 2009 // Hausarztorientierte Versorgung. Charakteristika und Beitrag zur Gesundheit der Bevölkerung. Ein Evidenz-Report. Berlin 16.02.2009
- Prof. Dr. Gereon Nelles, "Impulse aus der neurologischen Niederlassung", Session: "Kopfschmerz 2023 – Wo steht Deutschland?", DMKG Kongress 2023