Auf dem diesjährigen SMHS ging es getreu dem Motto "Train the Brain" um die Auswirkungen von Bewegung auf die Psyche, auch bei psychiatrischen Erkrankungen. Zum Umgang mit psychiatrischen/psychischen Erkrankungen bei der Trainingsgestaltung referierte Dr. Michael Brinkers. Dabei setzte er einen besonderen Schwerpunkt auf die individuelle Ausgestaltung der Bewegungstherapie, abhängig von der Art der psychischen Erkrankung.
Sollten bereits seit einigen Jahren depressive Phasen wiederholt auftreten, entwickelt sich über die Zeit eine Antriebslosigkeit, die sich durch lange Dauer der Inaktivität wiederum in physischen Schmerzen äußern kann. Jedoch wird der körperlichen Symptomatik in der Psychiatrie häufig nicht ausreichend Aufmerksamkeit geschenkt.
Angststörungen:
Liegt bei Betroffenen eine Angststörung vor, kann durch aerobes Training ein anxiolytischer Effekt ausgelöst werden. Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge hat Sport bei Angststörungen keinen besseren Effekt als Psycho- oder Pharmakotherapie, im Gegenteil: Bewegung hat angstauslösendes Potential inne und kann körperliche Symptome bei Angstpatienten verstärken.
Kognitive Störungen:
Sollten im Alter kognitive Störungen wie Demenz auftreten, so Brinkers, kann eine Bewegungstherapie nicht viel ausrichten, wenn erst mit dem Eintreten der psychischen Degeneration begonnen wird, Sport zu treiben. Zwar kann der Verlauf einer beginnenden Demenz verzögert werden, auch kann die Kombination verschiedener Sportarten einen positiven Effekt auf die Kognition haben. Jedoch lautet der wissenschaftliche Tenor: Je früher Sport in den Alltag integriert wird, desto besser.
Das richtige Training bei psychischen Erkrankungen
Im Allgemeinen sollte im Rahmen der Bewegungstherapie bei jeglicher Art psychischer Erkrankung nicht das Maximum, sondern das Optimum angestrebt werden.
Zur Veranschaulichung stellte Brinkers ein Beispiel der Bewegungstherapie bei Depression aus der Universitätsklinik Magdeburg vor:
- landschaftlich schöne Rundstrecke, 5-6 km
- Walking
- Laufen bei geringer Geschwindigkeit mit vielen Gehpausen
- im weiteren Verlauf Anzahl und Dauer der Gehpausen reduziert
- Ziel nicht schnelles Tempo, sondern Ankommen
- davor und danach Dehnübungen
- Dauer ca. 1 Stunde
- zusätzlich zu Gruppenterminen sollten Patienten alleine 2 mal / Woche 6km laufen
Brinkers betont den wissenschaftlich untermauerten positiven Effekt von Sport bei Depressionen und kognitiven Störungen. Bridle et al. hielten in einer Metastudie 2012 (Effect of exercise on depression severity in older people: systematic review and meta-analysis of randomised controlled trials; DOI: 10.1192/bjp.bp.111.095174) fest, dass die positive Effektstärke von Bewegungstherapie für Depressionspatienten ab 60 Jahren denen von sowohl Psychotherapie als auch Medikamenten entsprachen. Daher schlussfolgerten sie den positiven Impact von Bewegung auf Depressionen, bestehend aus drei bis fünf 30-45 minütigen Trainingseinheiten pro Woche über einen Zeitraum von 3-4 Monaten.
Generell geht es um die ausreichende Dauer des Trainings, das ohne maximalen Kraftaufwand ausgeführt werden soll. Außerdem kann die motivationale Gesprächsführung dabei helfen, Patientinnen und Patienten langfristig und kontinuierlich zum Training zu bewegen.
Muskeltraining trotz chronifiziertem Schmerz?
Häufig gehen psychische Erkrankungen mit chronischen physischen Schmerzen einher. Schleicht sich aufgrund psychischer Krankheit Antriebslosigkeit ins Leben und infolgedessen Bewegungsentzug, führt dieser zu vegetativen Symptomen und Schmerz. Sobald eine Chronifizierung dieses Schmerzes eintritt, haben Betroffene oft eine geringe Eigenmotivation, die nicht selten aus Angst vor Bewegung eintritt. Negative oder geringe Bewegungsvorerfahrungen, eine geringe Körperwahrnehmung und kein Trainingswissen sind nur einige der Herausforderungen, mit denen chronische Schmerzpatienten konfrontiert sind.
Was ist also bei einer Bewegungstherapie bei Betroffenen von chronischem Schmerz zu beachten?
Dr. Kay Niemier betont die Wichtigkeit von Edukation, einer initialen Leistungsdiagnostik und einem langsamen Heranführen an Bewegungserfahrungen. Außerdem müssen benötigte Trainingsformen systematisiert und erklärt werden. Dabei sollten am besten kardiopulmonales Ausdauertraining, Krafttraining und Koordinationstraining bzw. sensomotorisches Training sinnvoll miteinander kombiniert werden. Unerlässlich sind der Spaßfaktor und der kontinuierliche Motivationsaufbau, idealerweise durch Tages- sowie Wochenpläne. Mittels Ambulanzterminen haben Patientinnen und Patienten eine Möglichkeit, über ihre Bewegungserfahrungen, inkl. Eigentraining, zu berichten. Das gilt auch für psychische Erkrankungen, denn auch wenn Ausdauer, Kraft oder Koordination trainiert werden, ist das Gehirn das zentrale Trainingsziel. Außerdem hilft Training bei der Minimierung chronischer Schmerzen, denn "was gut funktioniert, tut weniger weh".
Niemier hält abschließend fest:
"Training (trotz Schmerzen) ist neben Edukation und Psychotherapie der zentrale Therapiebaustein in der Behandlung von chronischen Schmerzen – trotz und wegen der Schmerzen."
Weitere Highlights vom Sports, Medicine and Health Summit 2023 finden Sie in unserer Kongressberichterstattung.
- Dr. Michael Brinkers, "Umgang mit psychiatrischen/psychischen Erkrankungen bei der Trainingsgestaltung", Session: ""Train the Brain" - Training bei Patienten mit hoch chronifizierten Schmerzsyndromen”, SMHS 2023
- Bridle C, Spanjers K, Patel S, Atherton NM, Lamb SE. Effect of exercise on depression severity in older people: systematic review and meta-analysis of randomised controlled trials. Br J Psychiatry. 2012 Sep;201(3):180-5. doi: 10.1192/bjp.bp.111.095174. PMID: 22945926.
- Dr. Kay Niemier, "Muskeltraining trotz Schmerz?!", Session ""Train the Brain" - Training bei Patienten mit hoch chronifizierten Schmerzsyndromen”, SMHS 2023