Die aktuellen Pläne aus dem Gesundheitsministerium führen zu großen Sorgen bei den niedergelassenen Diabetologinnen und Diabetologen. Sie sind existenzbedrohend für die diabetologischen Schwerpunktpraxen Deutschlands und gefährden somit die Versorgung von Menschen mit Diabetes in Deutschland.
Das Problem ist, dass bei der geplanten Entbudgetierung der Hausarztpraxen nur eine fallführende Praxis die Grundpauschale abrechnen darf. Doch etwa 90 Prozent unserer fachlichen Zunft sind hausärztlich niedergelassen. Wenn also für uns diese Grundpauschale wegfällt, würden das Umsatzrückgänge bis zu 40 Prozent bedeuten. Damit ist die aufwändige Personal- und Infrastruktur einer diabetologischen Schwerpunktpraxis nicht zu halten. Diese große Sorge haben die Kolleginnen und Kollegen nun landauf, landab.
Vor zehn Jahren hatten wir einen ähnlichen Konflikt, damals wurde dann allerdings erkannt, dass Diabetologische Schwerpunktpraxen neben der klassischen Hausarztpraxis eine hochvulnerable Gruppe von Menschen mit Typ 1 und Typ 2 Diabetes, diabetologischen Folgeerkrankungen wie dem diabetischen Fußsyndrom sowie Schwangerschaftsdiabetes betreuen - und somit eine wichtige Parallelstruktur darstellen. Sie erhielten somit weiterhin die Chronikerpauschale neben der Hausarztpraxis - damit waren die Strukturen zunächst gerettet.
Jetzt erleben wir ein Déjà-vu und müssen wieder um unsere Existenz kämpfen. Wenn man bedenkt, dass wir elf Millionen - nicht alle sind bereits diagnostiziert - betroffene Menschen mit Diabetes mellitus in Deutschland haben, ist das ungeheuerlich. Noch einmal ganz deutlich: Wenn diese Pläne nach dem Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) umgesetzt werden, fallen Diabetesschwerpunktpraxen hinten runter, übrigens genauso HIV-Schwerpunktpraxen und Substitutionspraxen. Eine Stärkung der Versorgung ist hier wirklich nicht zu erkennen.
Als Bundesverband der niedergelassenen Diabetologie haben wir natürlich sofort diese Brisanz erkannt und haben uns mit dem KBV-Vorstand, der DDG, Selbsthilfeorganisationen, SpiFa und weiteren Organisationen ausgetauscht. Das Ergebnis ist, dass wir in eine Parallelstruktur kommen müssen, um die qualitativ hochwertige Versorgung von Menschen mit Diabetes in Deutschland aufrechterhalten zu können. Der Knebel der Pauschale für nur eine Hausarztpraxis muss fallen. Wenn es keinen Alternativ-Kriterienkatalog gibt, in dem die Diabetesschwerpunktpraxis aufgeführt ist, wird das die Versorgung von Menschen mit Diabetes deutlich schwächen. Beim DDG-Kongress in Berlin haben wir die Problematik diskutiert. Auch diabetesDE, die größte Selbsthilfeorganisation für Menschen mit Diabetes, hat die Brisanz der Lage verstanden. Bei der Mitgliederversammlung unseres Verbandes wurde besprochen, sich regional einzusetzen. Die Vertreterversammlung in der KV soll sich aktiv an ihre Vorstände wenden und auf die existenzbedrohte Lage der Diabetesschwerpunktpraxen hinweisen. Dies ist bereits gerade in Berlin passiert.
Eigentlich habe ich mit meinen Patientinnen und Patienten genug zu tun - aber wir können berufspolitisch nicht locker lassen. Ich habe meine Praxis vor fast 20 Jahren gegründet und seitdem erfolgreich aufgebaut. Das ist mein "Baby", das lasse ich nicht einfach wegen falscher gesundheitspolitischer Entscheidungen sterben! Ich habe rund 750 Menschen mit Typ-1-Diabetes in der Praxis, auch Schwangere oder Patientinnen und Patienten mit einem diabetischen Fußsyndrom. Diese Menschen brauchen zuverlässige, qualifizierte Versorgung. Die leisten wir sehr gerne. Aber aktuell weiß keiner, wie lange noch, wenn unsere Strukturen finanziell zerschlagen werden. Der anhaltende Fachkräftemangel kommt ja bei all dem noch oben drauf!
Man darf nicht vergessen: Mit uns verschwindet die Expertise. Schwerpunktpraxen sind hochspezialisierte Zentren. Wir können stolz sein auf das, was wir aufgebaut haben. Meine Praxis ist zum Beispiel ein Diabetes-Exzellenzzentrum. Das ist diabetologisch auf Augenhöhe mit einem Universitätsklinikum. Und ich bin keine Einzelkämpferin - ich habe ein tolles, qualifiziertes Team aus Diabetesberaterinnen, Wundassistentinnen, Diabetesfachassistentinnen etc. Das sind teure Strukturen, die gegenfinanziert sein müssen.
Es gibt übrigens auch kaum noch auf Diabetes spezialisierte Krankenhäuser - diese sind in den letzten Jahren ebenfalls drastisch heruntergefahren worden. Zu uns kamen bereits Patienten mit der Braunüle in der Hand aus dem Krankenhaus, weil es Probleme mit der Insulinpumpe gab und keine Fachexpertise vor Ort war. Das diabetologische Know How gibt es überwiegend nur noch in der Ambulanz. Und wenn diese zerstört werden, zerstören wir die Versorgung von elf Millionen Menschen mit Diabetes, die auf uns angewiesen sind.
An ausreichend Nachwuchs für unser Fach ist unter diesen Umständen natürlich nicht zu denken. Es ist traurig, aber ich kann meiner Tochter, die derzeit Medizin studiert, jetzt wirklich nicht mehr uneingeschränkt empfehlen, sich niederzulassen, schon gar nicht in einer diabetologischen Schwerpunktpraxis. Im schlimmsten Fall würde ich mich hausärztlich transformieren müssen und meine umfangreiche Praxisstruktur samt Schulungsräumen, Fußambulanz und großem Team von Diabetesexperten reduzieren. Ähnliche Überlegungen haben derzeit viele Kolleginnen und Kollegen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Gesundheitsminister eine Verschlechterung der Versorgung von Menschen mit Diabetes erreichen will.
Es eilt! Noch vor der Sommerpause wird sich das Drama entscheiden.
Dr. med. Iris Dötsch ist Fachärztin für Innere Medizin und Akupunktur mit den Zusatzqualifikationen zur Diabetologin DDG sowie Ernährungsmedizinerin. Dr. Dötsch ist niedergelassen in einer eigenen Diabetologischen Schwerpunktpraxis am Kurfürstendamm in Berlin. Ihre Praxis ist als Diabetologikum DDG anerkannt sowie zertifizierte Fußambulanz nach DDG. Darüber hinaus ist Dr. Dötsch im Vorstand des Bundesverbandes Niedergelassener Diabetologen (BVND) aktiv.