Zwei Dinge beschäftigen mich als Diabetologin aktuell besonders:
Erstens: Die Patientenzahlen wachsen und wachsen – jedes Jahr ungefähr um fünf Prozent. Und die Patienten kommen immer kränker zu uns. Oft mit Folgeerkrankungen, mit erlittenem Herzinfarkt, mit diabetischem Fußsyndrom oder auch einer Retinopathie. Und zweitens: Wir müssen die Existenz der diabetologischen Schwerpunktpraxen sicherstellen. Ersteres passiert von allein. Allein in Folge der Pandemie haben sich viele Menschen aus Angst vor Ansteckung nicht in die Praxen getraut. Deswegen kamen sie leider oft verspätet zu uns. Beim zweiten müssen wir Mediziner selbst aktiv nachhelfen. An diesem Punkt gibt es einen Erfolg zu vermelden. Mein Kollege Dr. Häusler und ich haben im Namen des Bundesverbandes Niedergelassener Diabetologen für Berlin die aktuellen DMP-Verträge unlängst neu ausgehandelt. In langen, konstruktiven Gesprächen ging es um die Sicherstellung der Diabetes-Schwerpunktpraxen. Schließlich spielt sich die Diabetes-Versorgung überwiegend ambulant ab und das muss funktionieren – egal, wie Energiepreise und Mitarbeiterinnengehälter steigen. Wir haben es letztendlich geschafft, dass nun auch Qualität honoriert wird. Praxen mit der höchsten Zertifizierungsstufe Diabetologikum DDG werden höher honoriert. Ein Schritt in Richtung mehr Qualität. Die Diabetes-Schwerpunktpraxen können in Berlin zunächst erhalten werden. Ein bisschen stolz darf man darauf sicher sein. Um sich dann wieder der eigentlichen und sehr beglückenden Arbeit zuzuwenden – die Betreuung unserer Patientinnen und Patienten.
Als Teamworker sind wir in der diabetologischen Schwerpunktpraxis besonders auf qualifizierte Mitarbeiterinnen angewiesen: Diabetesberaterin, Wundexpertin, Diabetesfachassistentin, Podologin. Sie leisten oft großartige Arbeit. Und sie sollen gut bezahlt sein! Bei den mitarbeiterintensiven Behandlungen in unseren Praxen ist das sozusagen systemrelevant.
Und wir alle haben nun zwei Jahre Pandemie in den Knochen: Also täglich acht Stunden mit FFP2-Maske vorm Gesicht die Ängste und Sorgen, oft auch die Reizbarkeit der Patienten auffangen und aushalten. Die Folge derzeit: mehr Krankschriften bei den Mitarbeiterinnen. Zum Glück habe ich seit vielen Jahren ein stabiles Praxisteam mit 18 Mitarbeiterinnen, einschließlich einer Assistenzärztin in Ausbildung zur Allgemeinmedizin.
Rund 1.000 Patienten mit Typ 2 Diabetes betreut eine diabetologische Schwerpunktpraxis in Berlin pro Quartal. Hinzu kommen 250 mit Typ 1 Diabetes, 30 mit Schwangerschaftsdiabetes, 60 bis 70 mit diabetischem Fußsyndrom. Aber bevor ich einen einzigen Patienten auch nur gesehen habe, muss ich mich um jede Menge andere Dinge kümmern: die Einrichtung der Telematik-Infrastruktur, die elektronische Patiententakte, die es immer noch nicht gibt, das elektronische Rezept, das es ebenso noch nicht gibt, die elektronische AU, die schwierig funktioniert, die Konnektoren(?), die ausgetauscht werden müssen. Das kann, ehrlich gesagt, sehr ermüden. Obwohl wir Diabetologen schon traditionell technikaffin sind. Wir arbeiten ja schon länger mit elektronischen Auslesesystemen für die Blutzuckermessgeräte oder auch mit kontinuierlicher Glukosemessung. Die Daten der Patienten können wir über die Cloud einsehen, wenn sie uns die Erlaubnis dazu geben. Ohne Digitalisierung könnten wir eigentlich gar nicht mehr arbeiten. Wir sind da Vorreiterinnen. Ständige Investitionen, Fortbildungen – das sind wir gewöhnt.
Allerdings sind auch neue Gesetze in Kraft getreten und manche wieder abgeschafft worden. Z.B. das so genannte Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG). Für viele eine gute Sache. Es hat zusätzliche Anreize geschaffen. Anliegen war, dass Patienten schneller Facharzttermine bekommen. Wenn der Arzt also mehr Patienten behandelt hat, konnte er auch mehr abrechnen. Klingt logisch und einfach. Manche Kollegen haben ihre Sprechzeiten ausgeweitet, manche auch zusätzlich offene Sprechstunden angeboten. Sie haben ihre Praxen umorganisiert, neue Strukturen geschaffen, weiteres Personal eingestellt. Das Gesetz ist nun zum Ende des Jahres einkassiert worden. Warum es dieses Rein-in-die-Kartoffeln, raus-aus-den-Kartoffeln gab, bleibt ein Geheimnis der Urheber. Es gab viel Unruhe, auch Proteste. Im Endeffekt ist ein Stück Sicherheit verloren gegangen.
Motivierend ist das sicher nicht. Wir haben ohnehin einen Flickenteppich der Disease Management Verträge - in jedem Bundesland werden sie einzeln verhandelt. In Berlin sind wir da - siehe oben - gerade einen Schritt vorangekommen – hoffentlich können sich andere Kollegen in ihren DMP-Verhandlungen demnächst daran orientieren.
Dr. med. Iris Dötsch ist Fachärztin für Innere Medizin und Akupunktur mit den Zusatzqualifikationen zur Diabetologin DDG sowie Ernährungsmedizinerin. Frau Dötsch ist niedergelassen in einer eigenen Diabetologischen Schwerpunktpraxis am Kurfürstendamm. Ihre Praxis ist als Diabetolokikum DDG anerkannt sowie zertifizierte Fußambulanz nach DDG.