Polycythaemia vera: Regulator des Eisenstoffwechsels als Hoffnungsträger
Neue Forschungserkenntnisse eröffnen eine Möglichkeit, die Eisenverfügbarkeit im Knochenmark und somit die unkontrollierte Produktion roter Blutkörperchen bei PV zu limitieren.
Zentrale Entdeckung: Verknüpfung von Eisenregulation und PV
Einige jüngere Forschungsergebnisse haben das Potenzial, die Praxis zu verändern. Genomweite Assoziationsstudien lieferten einen entscheidenden Hinweis: Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung sind PV-Patienten deutlich häufiger Träger von Einzelnukleotidpolymorphismen im HFE-Gen. Das von diesem kodierte HFE-Protein (humanes homöostatisches Eisenregulatorprotein) beeinflusst die Expression von Hepcidin, einem in der Leber produzierten Peptidhormon, welches der Hauptregulator der Eisenhomöostase ist.
Im Mausmodell konnte ein Zusammenhang zwischen Hepcidin-Expression und Erkrankungsausprägung dokumentiert werden: Eine Hochregulierung lindert sie, während eine Ausschaltung sie verschlimmert.1 Außerdem konnte gezeigt werden, dass Hepcidin bei PV-Patienten nicht (wie im Normalfall) durch eine gesteigerte Erythropoese reguliert wird, sondern durch entzündliche Zytokine.
Die Entdeckung, dass die Erhöhung von Hepcidin die Produktion roter Blutkörperchen und die Komplikationen der Krankheit verringert, führte zur Entwicklung von Hepcidin-Mimetika, Medikamenten also, die die Eisenregulation bei Patienten mit PV kontrollieren können.4 Je mehr Hepcidin im Körper vorhanden ist, desto mehr wird der Zugang zu Eisen im Knochenmark eingeschränkt. Wichtig: Dieser Ansatz drosselt dessen Verfügbarkeit nur für das Knochenmark, ohne anderen Organen wie der Leber Eisen zu entziehen.4
Fortgeschrittene klinische Entwicklung einer neuen Klasse von Wirkstoffen
Ein neues experimentelles Medikament, Rusfertid, ist ein injizierbares Peptid-Mimetikum von Hepcidin und limitiert so die Verfügbarkeit von Eisen für die Erythropoese.3 Die erste Phase-2-Studie ('REVIVE') mit 70 PV-Patienten begann mit einer Dosisfindungsphase, die sich über sieben Monate erstreckte. Zusätzlich zu ihrer üblichen Therapie (therapeutische Phlebotomie allein oder in Kombination mit cytoreduktiver Therapie) erhielten alle Teilnehmer einmal wöchentlich eine Injektion von Rusfertid. Im zweiten Teil der Studie, der weitere drei Monate dauerte, wurden 59 Teilnehmer zu einer fortgesetzten Rusfertidgabe oder Umstellung auf ein Placebo randomisiert.
Ein Therapieziel bei Polycythaemia vera besteht darin, das Risiko für Thromboembolien zu verringern, indem ein Hämatokrit von weniger als 45 Prozent gehalten wird. Vor der ersten Rusfertid-Injektion lag der maximale Hämatokritwert im Durchschnitt bei 50 Prozent. Dieser sank nach Add-on von Rusfertid auf 44,5 Prozent. Aderlässe waren somit im ersten Teil der Studie bei allen Patienten entweder seltener oder gar nicht mehr nötig. Darüber hinaus berichteten die Teilnehmer über weniger Symptome wie Fatigue, Nachtschweiß, Konzentrationsprobleme und Pruritus.5
Im zweiten Teil der Studie verzeichneten 60 Prozent der mit Rusfertid Behandelten (versus 17 Prozent unter Placebo) ein Ansprechen (definiert als Hämatokrit < 45 Prozent und Freiheit von Phlebotomien). Reaktionen an der Injektionsstelle traten häufig auf. Nebenwirkungen vom Schweregrad 3 traten (in beiden Studienteilen zusammen) bei 13 Prozent der Behandelten auf. Schwere Reaktionen (Grad 4 oder 5) wurden nicht berichtet.
Laut den Ergebnissen des dritten und letzten Teils der 'REVIVE'-Studie, einer offenen Verlängerung, verzeichneten Patienten unter Rusfertid über zwei Jahre einen normalen Hämatokritwert, ohne dass Aderlässe nötig waren.5,6
Fazit für die Praxis
Der Anspruch in der Erforschung und Therapie der PV verschiebt sich langsam von der alleinigen Konzentration auf die Kontrolle des Hämatokrits in Richtung Krankheitsmodifikation.2
Die Entdeckung von Hepcidin-Mimetika könnte, so hoffen einige Experten, ein Durchbruch sein und die Eisenhomöostase wiederherstellen, die Notwendigkeit von Aderlässen verringern und ein verbessertes thrombosefreies Überleben bei strengerer Hämatokritkontrolle ermöglichen.2 Ob Rusfertid das Risiko von Herzinfarkten und Schlaganfällen verringern kann, lässt sich aus den bisherigen Daten noch nicht beantworten.5 Eine Phase-3-Studie ('VERIFY') (ClinicalTrials.gov-Nummer, NCT05210790) läuft derzeit.3 Im Unterschied zum ersten Teil der REVIVE-Studie werden die Patienten hier von Beginn an randomisiert.
Weitere Informationen aus der Onkologie
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Bennett, C. et al. Iron homeostasis governs erythroid phenotype in polycythemia vera. Blood 141, 3199–3214 (2023).
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J, M., S, H., A, S. & M, K. The evolving landscape of polycythemia vera therapies. Expert opinion on pharmacotherapy 25, (2024).
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Kremyanskaya, M. et al. Rusfertide, a Hepcidin Mimetic, for Control of Erythrocytosis in Polycythemia Vera. New England Journal of Medicine 390, 723–735 (2024).
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Iron link offers new treatment hope for incurable blood cancer. ScienceDaily https://www.sciencedaily.com/releases/2023/04/230404114311.htm.
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Rusfertide Cuts Number of Needed Blood Draws to Treat PCV - NCI. https://www.cancer.gov/news-events/cancer-currents-blog/2024/rusfertide-polycythemia-vera-fewer-phlebotomies (2024).
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Ritchie, E. K. et al. Durability of Hematocrit Control in Polycythemia Vera with the First-in-Class Hepcidin Mimetic Rusfertide: Two-Year Follow up Results from the Revive Study. Blood 142, 745 (2023).
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