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Update vom 20.12.2022:
Aufgrund der aktuellen Welle von Atemwegserkrankungen ist der Krankenstand so hoch wie noch nie – und das bundesweit. Dies hat auch enorme Auswirkungen auf die Kapazität von Kliniken. Nicht nur sind zahlreiche Intensivbetten belegt, auch medizinische Fachkräfte können den Personalmangel aufgrund von Krankheitsausfällen kaum mehr stemmen. Daher melden sich momentan zahlreiche Notaufnahmen ab, elektive Operationen werden verschoben.1
Von 110 Kinderkliniken in Deutschland haben aktuell 43 kein Bett mehr auf der Normalstation frei. Stand 24. November gab es bundesweit nur noch 83 freie Betten auf den Kinderintensivstationen. Das ist das Ergebnis einer Ad-hoch-Umfrage der DIVI, die auf ihrem Kongress am 01.12. in Hamburg vorgestellt wurde.
"Das ist eine katastrophale Situation. Deshalb fordern wir die sofortige Optimierung der Arbeitsbedingungen in Kinderkliniken, den Aufbau telemedizinischer Netzwerke zwischen pädiatrischen Einrichtungen und den Aufbau von spezialisierten Kinderintensivtransport-Systemen."
DIVI-Generalsekretär Professor Florian Hoffmann bei der Vorlage der Umfrageergebnisse
An der Umfrage hatten sich 110 von 130 deutschen Kinderkliniken beteiligt. Jede zweite Klinik berichtete, dass in den vorgegangenen 24 Stunden mindestens ein Kind nach Anfrage des Rettungsdienstes oder der Notaufnahme nicht für die Intensivmedizin aufgenommen werden konnte. Diese Situation habe sich von Jahr zu Jahr verschärft, so Hoffmann. Zunehmend müssten Kinder über weite Strecken transportiert werden. Hauptursache für die Kapazitätsengpässe ist fehlendes Pflegepersonal.
Von insgesamt 607 möglichen Intensivbetten werden aktuell lediglich 367 betrieben; das führt zu einer Kapazitätsminderung von fast 40 Prozent. Fast 72 Prozent der Kliniken nennen Mangel an Pflegepersonal als wichtigsten Grund. 51 Kliniken berichten von abgelehnten Patientenanfragen. Aktuell ist es eine starke Welle an RSV-Infektionen, die den Kliniken, aber auch den Pädiatern in der ambulanten Versorgung zu schaffen macht.
Als Folge der alarmierenden Lage, die sich bereits seit langem abzeichnet, hat die DIVI einen Forderungskatalog aufgestellt:
Das Bundesgesundheitsministerium reagierte auf die Veröffentlichung der Umfrageergebnisse noch am gleichen Tag mit der Vorlage eines Fünf-Punkte-Katalogs:
Entspannt hat sich dagegen die Lage an der COVID-19-Front auf den Intensivstationen. Gegenwärtig werden dort etwa 900 an SARS-CoV-2 erkrankte Patienten behandelt, meist mit weniger dramatischen Verläufen, häufig aber mit schwerwiegenden Komborbitäten. Der Anteil dieser Patienten auf den ITS beläuft sich auf etwa fünf Prozent, der Behandlungsaufwand sei derzeit gut zu bewältigen, so der scheidende DIVI-Präsident Professor Gernot Marx (Uni Aachen). Gleichwohl liege der Anteil der freien Kapazitäten bei unter zehn Prozent. Ursache ist, dass 2.000 ITS-Betten in jüngster Zeit wegen fehlenden Pflegepersonals abgebaut wurden. Pflegekräfte hätten als Folge anhaltender Überlastung den Beruf verlassen oder seien in Teilzeit ausgewichen.
Dringend notwendig sei eine Task Force "Pflegepersonal" erforderlich, mahnte Marx. Insbesondere müsse die Resilienz der Mitarbeiter in der Pflege gestärkt werden. Krankenhausträger seien gefordert, psychosoziale Unterstützungsdienste anzubieten, die in akuten Belastungssituationen den Betroffenen konkrete Hilfe leisten. Solche Strukturen müssten systematisch aufgebaut und auch finanziert werden.
Einer grundlegenden Novellierung hat die DIVI in den letzten 22 Monaten ihre erstmals 2010 erstellten Empfehlungen zur strukturellen Ausstattung von Intensivstationen; sie wurde im November vom DIVI-Präsidium beschlossen. Eckpunkte der neuen Empfehlungen, so Professor Christian Waydhaas (Uni Essen) sind:
Wesentliche Herausforderungen für die nähere Zukunft sei die Bewältigung des Personalmangels, insbesondere durch weiteren Aufbau von Kompetenzen und daraus erwachsender Wertschätzung von Leistungen und Fähigkeiten, so der President elect, Professor Felix Walcher (Uni Magdeburg). Als wichtigste Reform nennt er neue Strukturen für die Notfallversorgung durch ein integratives Modell, wie es etwa der Gesundheitssachverständigenrat schon 2018 vorgeschlagen hat.