Bei den verschiedenen Modellen ist die Autonomie des Patienten jeweils unterschiedlich groß. Beim paternalistischen Modell übernimmt primär die Ärztin, der Arzt die Verantwortung für die Entscheidungen. Beim Informationsmodell entscheidet der Patient über seine Behandlung, nachdem er ausreichend informiert worden ist. Das ist beispielsweise sinnvoll bei einer Schönheits-OP. Wenn es um eine Notfallsituation geht oder wenn ich den Eindruck habe, mein Gegenüber ist überfordert mit einer Entscheidung, dann ist das paternalistische Vorgehen durchaus sinnvoll. Es geht also immer um angemessenes Handeln in individuellen klinischen Situationen. Dazu gehört auch, die Überlegungen der Patienten, ihre Präferenzen und Einstellungen bei der Entscheidung zu berücksichtigen. Es kommt also zum Abwägen im Sinne des Patienten. Bei der partizipativen Entscheidungsfindung entsteht dann eine Art gemeinsamer Vertrag über das weitere Vorgehen - auf der Basis der umfassenden Informiertheit des Patienten. Insgesamt ist es für den Arzt daher sehr wichtig, über die klinischen Aspekte hinaus zu wissen, wie die Lebensumstände und wie die Präferenzen seines Patienten sind.
Dass Shared Decision Making mehr Zeit kostet, ist ein Vorurteil. Gute Studien zeigen: wenn dies professionell umgesetzt wird, wird das nicht mehr Zeit kosten. Darüber hinaus ist die Informations- und Aufklärungspflicht gegenüber dem Patienten im Patientenrechtegesetz ohnehin gesetzlich festgelegt. Das Einzige, was hinzukommt, ist die Einbeziehung der Perspektive des Patienten. Und es ist bekannt: Wenn ich jemanden gut einbezogen habe, gibt es später weniger Probleme bei der therapeutischen Mitarbeit.
Hier geht es vor allem um potenzielle Missinformation oder auch Fake News – das ist nicht nur ein Problem der Medizin. Wenn sich das Gegenüber nicht adäquat beraten lassen will, dann können Ärzte nichts machen, als die besten verfügbaren Informationen zur Verfügung zu stellen. Informierte Entscheidung heißt nun einmal: Der Patient kann sich anders entscheiden, als der Arzt ihm geraten hat. Mit diesem Dilemma müssen wir leben.
Doch eine partizipative Entscheidungsfindung bedeutet auch, dass beide Seiten einverstanden sind mit der Entscheidung – eben auch der Arzt. Es kann nicht zu einem Wünsch-Dir-Was kommen, bei dem der Arzt am Ende seine Expertise zurückzieht und irgendetwas verschreibt, wovon er nicht überzeugt ist. In manchen Fällen muss man dann überlegen, was die Situation für die Arzt-Patient-Beziehung bedeutet. Ist etwa das Vertrauen beschädigt, sodass nachfolgende Behandlungen schwieriger werden? Das Positive am Modell des Shared Decision Making ist eben, dass es auf dieses gemeinsame Aushandeln ankommt.
Ich sehe es eher positiv. Es wird mehr über die Gesundheitskompetenz der Patienten gesprochen. Ärzte stehen vor der Herausforderung, sich stärker auf unterschiedliche Menschen einzulassen, sich angemessen an die verschiedenen kulturellen und sprachlichen Niveaus anzupassen. Diese kommunikativen Fertigkeiten brauchen mehr Platz im Medizinstudium. Wir machen das in Hamburg schon lange, indem wir einen integrierten Kommunikationsstrang ins Studium eingeführt haben. Es ist eine professionelle Aufgabe, die Kommunikation zwischen Arzt und Patient zu verbessern, Patienten immer besser zu informieren und individuell auf sie einzugehen. Zusammengefasst: Es braucht eine Stärkung kommunikativer und selbstreflexiver Kompetenzen bei Ärzten. Das sind aktuelle Herausforderungen für die Aus- und Weiterbildung in der Medizin. Das Thema ist angekommen.