Natürlich ist die Idee, Pflegepersonen mehr Aufgaben zu überlassen, erst einmal gut. Wir Hausärzte haben genug zu tun und das Pflegefachpersonal hat durchaus große Kompetenzen. Dennoch bin ich eher skeptisch. Denn wenn Pfleger aus Pflegeeinrichtungen und Pflegediensten dann Dinge initiieren, wie etwa Verbandmittel oder Medikamente, tragen wir trotzdem die Verantwortung, weil wir das ja jeweils rezeptieren müssen. Ich sehe da eher Kuddelmuddel entstehen. Dann weiß die rechte Hand nicht, was die linke tut, und am Ende muss immer noch jemand die Rezepte schreiben und medizinisch wie wirtschaftlich geradestehen.
Bei aller Wertschätzung: Ich kann mich nicht blind auf Entscheidungen der häuslichen Krankenpflege verlassen. Am Ende käme sogar noch mehr Arbeit für den Arzt heraus. Er muss die Dinge, die Maßnahmen und eingesetzten Heilmittel grundsätzlich überprüfen und verantworten. Und er muss für die Kosten gerade stehen. Das Pflegepersonal wird aus seiner Sicht manchmal ganz andere Dinge vorschlagen als die, die wirklich medizinisch notwendig sind.
Das kann sogar brandgefährlich werden. Am Ende entstünden Parallelstrukturen und es gäbe ein Herumdoktern am Arztvorbehalt. Das ganze könnte nur dann Hand und Fuß bekommen, wenn die gesamte medizinische Verantwortung auf die Pflegeeinrichtungen übergeht - und wir Hausärzte aus der Sache komplett raus sind. Aber das sehe ich derzeit nicht. Dem überall spürbaren Ärztemangel kann man so jedenfalls nicht beikommen.
Ich beziehe mich hier auf meine Erfahrungen mit den so genannten Wundschwestern, die auch als Entlastung gedacht waren. Sie sind sicher fantastisch ausgebildet und bekommen tolle Fortbildungen. Sie wollen naturgemäß von allem das Beste, das Feinste einsetzen und dann noch dieses oder jenes anwenden, was für sie vielleicht finanziell interessant sein könnte - gerne den neuen Mercedes unter den Wundverbänden, den sie gerade bei der letzten Fortbildung vom Hersteller kennen gelernt haben.
Wenn wir das aber rezeptieren, bekommen wir sofort Stress mit den Krankenkassen, weil das Beste und Neueste oft gar nicht von ihnen getragen wird. Dann müssen wir sortieren, was überhaupt mit den Kassen möglich ist. Und wenn wir das nicht jedes Mal gründlich machen, laufen wir in eine riesige Kostenfalle und bekommen Regresse. Das heißt, wir müssen gelegentlich Entscheidungen gegen die Wundschwestern treffen, was auch manchmal schwer zu erklären ist und nicht gerade für gute Stimmung sorgt.
Wundschwestern sind Fachleute, aber das Sozialversicherungssystem ist ihnen eher unwichtig. Wir müssen leider alles gegenchecken, was viel Zeit und Nerven kostet. Mein Fazit: Das ganze bringt mehr Chaos und hilft mir im Praxisalltag gar nicht. Ich denke, besser wäre es, den Arztpraxen mehr finanzielle Möglichkeiten zu geben, damit sie genug Pflegepersonal einstellen können.
Was tatsächlich gut läuft und uns wirklich entlastet, ist die neue Blankoverordnung für Physiotherapie. Dabei kann der Physiotherapeut neuerdings selbst entscheiden, was für den Patienten und für dessen Erkrankung richtig ist - schließlich hat er die Expertise. Und er steht dann auch selbst für seine Entscheidung gerade. Das heißt, dass die Verantwortung für medizinische Maßnahmen an den Physiotherapeuten übergeht. Auf der Verordnung steht nur noch die Diagnose, also zum Beispiel: Schulter-Arm-Syndrom. Und der Physiotherapeut überlegt selbständig, was in dem Fall für den Patienten individuell wichtig und richtig ist: Krankengymnastik, manuelle Therapie, Wärme, Bewegung. Und er entscheidet auch, wie viel von allem gebraucht wird. Er muss dokumentieren, was und wie viel er gemacht hat und das wirtschaftlich begründen können.
Die Verantwortung geht hier komplett an diejenigen, die die Therapie machen. Diese Lösung finde ich als Hausärztin sehr angenehm. Es entlastet die Praxis tatsächlich, wenn der Patient mit seinem Schulter-Arm-Syndrom nicht dreimal wiederkommt, weil er eine Verlängerung der Verordnung braucht. Ich sehe ihn nur dann wieder, wenn der Physiotherapeut feststellt, dass er mit seinen Mitteln nicht weiterhelfen kann. Diese gesetzliche Veränderung ist durchdacht und konsequent. Sie hilft tatsächlich. Vielleicht könnte man daraus für das geplante Pflegekompetenzgesetz Schlüsse ziehen.
Dr. med. Petra Sandow ist Fachärztin für Allgemeinmedizin mit dem Schwerpunkt Infektiologie. Sie studierte Humanmedizin in Berlin und Münster. Nach klinischer Tätigkeit in der Gynäkologie und Inneren Medizin ist sie seit mehr als 30 Jahren als Hausärztin in eigener Praxis in Charlottenburg niedergelassen.