Selbstbestimmt Sterben
Die Frage nach Sterbehilfe wird derzeit intensiv diskutiert. Die DGHO fordert daher eine sachliche Debatte über die Gestaltung einer angemessenen Praxis bei Anfragen nach ärztlich assistierter Selbsttötung.
Die Debatte um die ärztlich assistierte Selbsttötung
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 26. Februar 20201, wird die Debatte um Sterbehilfe in Deutschland immer heißer - es muss nun im Interesse des Deutschen Bundestags sein, eine erneute Entscheidung über Sterbehilfe und ärztlich assistierte Selbsttötung zu treffen und diese gesetzlich zu regeln. Denn nach wie vor mangelt es an einem rechtlichen Rahmen, der der Komplexität des Themas entspricht und den Ärztinnen und Ärzten Sicherheit für das praktische Handeln bietet.
Die individuellen Umstände, in denen sich die Frage der Sterbehilfe stellt, sind kompliziert und meist schwer nachzuvollziehen. Besondere Relevanz hat die Thematik nicht nur in der Palliativmedizin, sondern auch für in der Hämatologie und Onkologie tätige Ärztinnen und Ärzte. Eine im Jahr 2015 durchgeführte Umfrage unter den Mitgliedern der DGHO hat gezeigt, dass sich Onkologen mit dem Thema bisher wenig beschäftigt haben2. Eine erneute Umfrage im Jahr 2021 zeigt, dass die assistierte Selbsttötung nach wie vor ein seltenes Phänomen ist3. So gaben lediglich 22 von 745 Umfrageteilnehmenden an, bereits Assistenz bei der Selbsttötung geleistet zu haben. Gleichzeitig berichteten 57 Prozent der Teilnehmenden, dass sie bereits von Patientinnen und Patienten auf das Thema Sterbehilfe angesprochen wurden. Die Ergebnisse der Umfrage sind in der Gesundheitspolitischen Schriftenreihe der DGHO veröffentlicht.
Assistierte Selbsttötung: Anforderungen an rechtliche Regelungen
Solange es keinen Rahmen an gesetzlichen Regelungen und Leitplanken zur angemessenen Praxis bei Anfragen nach ärztlich assistierter Selbsttötung gibt, ist vielen Ärztinnen und Ärzten der Spagat zwischen rechtlichen Konsequenzen und ethischen Entscheidungen zu heikel - die Thematik bleibt unangetastet und es herrscht Unsicherheit sowohl innerhalb der Ärzteschaft als auch bei Patientinnen und Patienten.
Die gesetzlichen Regelungen müssen die Komplexität des Themas berücksichtigen und Ärztinnen und Ärzten neben Rechtssicherheit auch Handlungsspielraum ermöglichen.
Die Kernpunkte zur Gestaltung einer herausfordernden Praxis sind aus Sicht der DGHO:
- Differenzierung und Einordnung individueller Gründe und Umstände für den Wunsch nach assistierter Selbsttötung,
- Aus-, Fort- und Weiterbildung zum professionellen Umgang mit Sterbewünschen,
- Qualitätssicherung und Forschung.
Darüber hinaus gilt es Fragen bezüglich der Gestaltung einer angemessenen und herausfordernde Praxis bei Patientenanfragen zur assistierten Selbsttötung zu klären:
- Prüfung der Freiverantwortlichkeit: Wer und mit welchen Methoden?
- Beratung: Wer und welche Inhalte?
- Fristen: Wie lange? Gibt es Unterschiede in der Abhängigkeit vom Gesundheitszustand?
- Qualitätssicherung und Monitoring: Welche Kriterien? Welche Dokumentation und Datenerhebung?
- Praktische Frage, z.B. Abgabe von Substanzen: Wer liefert? Wer kontrolliert?
Fazit: Mehr Rechtssicherheit und Handlungsspielraum für Ärzte
"Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, damit kann jeder Mensch in jeder Lebenslage selbstbestimmt über sein Lebensende entscheiden und kann sich dabei helfen lassen. Ich meine, der Bundestag hat nun die Aufgabe, hier klare Leitplanken aufzustellen, die bundesweit gelten. Wir brauchen Klarheit und Schutz", so Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen), Mitglied des Deutschen Bundestages und Mitverfasserin des "Entwurf eines Gesetzes zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben und zur Änderung weiterer Gesetze".
Angesichts der Komplexität des Themas betont Prof. Dr. med. Hermann Einsele, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO und Direktor der Medizinischen Klinik II des Universitätsklinikums Würzburg, dass die DGHO eine juristische Verortung der assistierten Selbsttötung im Strafgesetzbuch nicht für sinnvoll halte. Die ärztlich assistierten Selbsttötung darf keine Pflicht für Ärztinnen und Ärzten sein. Vielmehr wird hier an die Fachgesellschaft für Aus-, Fort- und Weiterbildung zum professionellen Umgang mit Sterbewünschen sowie für Qualitätssicherung und Forschung plädiert. Dies unterstütze die Differenzierung und Einordnung individueller Umstände für den Wunsch nach assistierter Selbsttötung.
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a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben.
b) Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen. Die Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.
c) Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.
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DGHO: Umfrage zur ärztlichen Versorgung von Krebspatienten. Ethische Überlegungen und Stellungnahme (Band 7).
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DGHO: Ärztlich assistierte Selbsttötung – Umgang mit Anfragen von Krebspatientinnen und Krebspatienten. Beiträge zur Gestaltung einer herausfordernden Praxis (Band 20).