Professor Peter Radke ist Chefarzt der Schön Klinik in Neustadt an der Ostsee. Er nutzt schon heute Daten von Smartwatches wie der Apple Watch in seinem Praxisalltag. In einer Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie beschäftigt er sich mit der digitalen Transformation - und besonders mit dem Einfluss von sogenannten Mobile Devices. Die bedeutendste medizinische Funktion, die aktuelle Versionen der Apple Watch mitbringen, ist dabei die Rhythmuserkennung.
Peter Radke erklärt das Prinzip: "Die Apple Watch kombiniert zwei Möglichkeiten, den Rhythmus zu erkennen." Zum einen verfüge sie über eine Technik, die sich Photoplethysmographie nenne. "Die Uhr sendet an ihrer Rückseite Infrarotstrahlen in die Haut aus“, so Peter Radke. "Über einen Photodetektor wird die reflektierte Pulswelle dann erfasst."
Durch diese Technik lässt sich die Herzfrequenz ermitteln. "Die Apple Watch kann jedoch noch mehr: Sie kann bestimmen, wie hoch die Unterschiedlichkeit von einem Schlag zum nächsten Schlag ist, die sogenannte Herzfrequenzvariabilität", sagt der Kardiologe.
KI-gesteuerte Algorithmen errechnen dann, ob hier Anzeichen für ein Vorhofflimmern vorliegen. Nun wird die zweite Technik entscheidend, die die Apple Watch zur Rhythmuserkennung mitbringt. Denn sie kann ein 1-Kanal-EKG ableiten.
"Das hat der Apple Watch viel mediale Aufmerksamkeit gebracht. Sie war das erste Gerät, das keine zusätzlichen Devices benötigte, um ein solches EKG abzuleiten", erinnert sich Peter Radke.
Auf der Rückseite der Uhr befindet sich eine Elektrode. Die zweite Elektrode bildet die Krone, das kleine Rädchen am rechten Rand der Apple Watch. "Wenn man den Finger der gegenüberliegenden Hand an die Krone hält, kann innerhalb von 30 Sekunden das EKG abgeleitet werden", erklärt Peter Radke.
Die Photoplethysmographie dient also dazu, Anzeichen für Vorhofflimmern zu detektieren. Mithilfe des 1-Kanal-EKGs kann der oder die Tragende dann manuell eine genauere Aufzeichnung des Herzrhythmus auslösen. Eine Technik, die durchaus schon im Praxisalltag angewandt wird. "In den Leitlinien ist vorgesehen, dass ein 1-Kanal-EKG über 30 Sekunden schon ausreicht, um die Diagnose eines Vorhofflimmerns zu stellen", berichtet Peter Radke. Im praktischen Alltag wird jedoch immer noch das genauere 12-Kanal-EKG und ein Langzeit-EKG zur Diagnostik hinzugezogen. In der Langzeit-Aufzeichnung erkennt man dann auch, ob das Vorhofflimmern permanent oder wechselhaft auftritt.
Doch welchen Patient:innen nützt eine Apple Watch, um Vorhofflimmern zu erkennen? Peter Radke weiß: "Den höchsten Nutzen haben die Patienten, die das höchste Risiko haben, einen Schlaganfall infolge eines Vorhofflimmerns zu erleiden." Das seien vor allem ältere Menschen mit Vorerkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes.
Doch hier ergibt sich ein praktisches Problem: Die Rhythmuserkennung funktioniert zwar nach Erfahrung von Peter Radke schon sehr zuverlässig - aber nur, wenn die Uhr richtig anliegt und die Trägerin oder der Träger die Technik beherrscht. "Für junge Menschen, ich sag mal Digital Natives, ist das kein Problem!", berichtet der Kardiologe. "Ältere Patientengruppen haben aber beim Anlegen der Uhr und der Bedienung Schwierigkeiten."
Eine CE-Zertifizierung besitzt die Apple Watch jedoch nur für Personen, die noch kein Vorhofflimmern in ihrer Krankenvorgeschichte haben. "Es handelt sich hier nur um ein Screening-Verfahren", erklärt Peter Radke. Weitere medizinische Funktionen der Apple Watch neben der Rhythmuserkennung sind die Sturzdetektion sowie die Messung der Sauerstoffsättigung, die bei der Vorstellung der neuesten Version, der Apple Watch Series 6, neu eingeführt wurde.
"Praktischen Nutzen hat diese Funktion jedoch nur für Extrembergsportler", schätzt Peter Radke. "Für Lungenerkrankte ist die Funktion nicht zugelassen." In der Zukunft könnten Funktionen wie eine Blutzuckermessung und eine Blutdruckanalyse in die Apple Watch integriert werden. Peter Radke hat bereits eine solche Funktion bei einem konkurrierenden Hersteller getestet. Die Technik basiert auch auf der Photoplethysmographie. Für die Blutdruckmessung werden dabei die Pulskurven analysiert. "Zunächst muss die Funktion mithilfe eines weiteren Gerätes, wie einer Oberarmmanschette, kalibriert werden. Wurde das sehr genau durchgeführt und liegt die Uhr sehr gut an, kann sie dann selbstständig den Blutdruck bestimmen", berichtet Peter Radke.
Für die Zukunft hält es der Kardiologe für bedeutend, dass Studien überprüfen, ob durch die Analysen von Smartwatches auch wirklich der Verlauf der erkannten Erkrankungen beeinflusst werden kann. "Es existieren bereits Studien, die zeigen, dass die Apple Watch Vorhofflimmern gut erkennen kann. Es wäre jedoch wichtig zu wissen, ob durch diese Erkennung auch die Prognose der Patienten verbessert werden kann."
In der nächsten Folge schauen wir uns die Entwicklungen rund um die auch viel genutzten Samsung Smartwatches an.