Leitlinien praktisch angewandt: „Die Brustkrebspatientin mit akuter venöser Thromboembolie und plötzlichen Nierenproblemen“

Eine Brustkrebspatientin wird mit einer ven&ouml;sen Thromboembolie (VTE) diagnostiziert und zur oralen Antikoagulation mit dem Nicht-Vitamin-K-abh&auml;ngigen oralen Antikoagulans (NOAC) Apixaban (ELIQUIS<sup>&reg;</sup>) behandelt. Infolge ihrer Krebsmedikation entwickelt sie eine moderate Nierenfunktionsst&ouml;rung. Muss in diesem Fall die Dosierung von Apixaban angepasst werden?

Anhand eines fiktiven Patientinnenfalls möchten wir in dieser Artikelreihe auf eine besondere Situation in der klinischen Praxis eingehen und die Herangehensweise sowie mögliche leitliniengerechte Lösungen aufzeigen. Halten Sie in den nächsten Monaten Ausschau nach neuen Fällen!

Heute: „Die Brustkrebspatientin mit VTE und moderater Nierenfunktionsstörung“

Anamnese

Die 60-jährige Patientin mit HER-2-positivem Mammakarzinom im Frühstadium, welches mit dem Anti-HER-2-Antikörper Trastuzumab1 behandelt wird, stellt sich mit einer schmerzenden, verhärteten Wade vor. Durch eine Kompressionssonographie der Unterschenkelvenen kann eine tiefe Venenthrombosen (TVT) diagnostiziert werden. Die Patientin ist hämodynamisch stabil und die initiale Antikoagulation mit Apixaban2,* wird unverzüglich begonnen.

Die Therapieentscheidung erfolgte in Übereinstimmung der relevanten Guidelines: Die CHEST Guidelines 2021 empfehlen für die initiale Behandlung und die Rezidivprophylaxe krebsassoziierter VTE den Einsatz von Faktor Xa-Hemmern, wie bspw. Apixaban, bevorzugt vor niedermolekularem Heparin (NMH).3 Die aktuelle deutsche S2k-Leitlinie sieht die Faktor Xa-Hemmer und NMH bei krebsassoziierter VTE als gleichwertige Alternativen, wobei Tumor-, Tumortherapie- und Patienten-spezifische Aspekte zu berücksichtigen sind.4 Apixaban wurde aufgrund der Patientenpräferenz für eine orale Therapie gewählt, da keine Einleitung mit NMH i.v. notwendig ist, und aufgrund des unter Apixaban gegenüber NMH vergleichbaren Risikos für schwere und insbesondere GI-Blutungen in der CARAVAGGIO-Studie.2, 5

Erfahren Sie mehr zur CARAVAGGIO-Studie in der Box unten und diesem Beitrag  

Die Patientin erhält über eine Woche Apixaban 10 mg 2 x tgl., anschließend wird die Dosis auf 5 mg 2 x tgl. angepasst.2 Im Laufe der 6-monatigen VTE-Weiterbehandlung entwickelt die Patientin als Nebenwirkung der Trastuzumab-Therapie1 eine Nierenfunktionsstörung, die mit einer geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) von 50 ml/min als moderat (eGFR ˂ 60 ml/min und ≥ 30 ml/min)6 eingestuft werden kann.

Muss die Dosierung von Apixaban aufgrund der verringerten Nierenfunktion angepasst werden?

Welche Daten gibt es zu Apixaban bei VTE-Krebspatient:innen mit eingeschränkter Nierenfunktion?

Eine Subgruppenanalyse7 der CARAVAGGIO-Studie5 bestätigte das Sicherheitsprofil von Apixaban (ELIQUIS®) bei Patient:innen mit krebsassoziierter venöser Thromboembolie (VTE) und moderater Niereninsuffizienz6 (geschätzte glomeruläre Filtrationsrate [eGFR] ˂ 60 ml/min und ≥ 30 ml/min nach Cockroft-Gault). Die Rate an schweren Blutungen war für Apixaban und Dalteparin vergleichbar – unabhängig davon, ob eine moderate Niereninsuffizienz vorlag oder nicht (HR 1,02 95 %-KI: 0,37–2,79; Abb.1).7 Zudem zeigte Apixaban in dieser vulnerablen Patient:innengruppe einen Trend für eine verbesserte Wirksamkeit, abgeleitet aus einer numerisch verringerten Rate an VTE-Rezidiven im Vergleich zu mit Apixaban behandelten Patient:innen ohne oder mit milder Niereninsuffizienz6, definiert als eGFR ≥ 60 ml/min (HR 0,31; 95 5-KI: 0,09–1,03; Abb. 1).7

Abb.1: CARAVAGGIO-Subanalyse: VTE-Rezidive und schwere Blutungen unter Apixaban versus Dalteparin bei Krebspatient:innen mit keiner oder milder Niereninsuffizienz (eGFR ≥ 60 mL/min) und moderater Niereninsuffizienz (eGFR ˂ 60 ml/min und ≥ 30 ml/min). £ eGFR in ml/min berechnet nach der Cockroft-Gault Formel. Modifiziert nach Becattini et al. 7

Keine Dosisanpassung nach Nierenfunktion bei Krebspatient:innen mit VTE

Die Daten der CARAVAGGIO-Subgruppenanalyse7 deuten darauf hin, dass eine moderate Nierenfunktionsstörung bei krebsassoziierter VTE keine Dosisanpassung von Apixaban notwendig macht. Auch in der Apixaban Fachinformation2 ist bei der Behandlung der VTE keine Dosisanpassung bei Nierenfunktionsstörung vorgesehen. Die Brustkrebspatientin kann demnach in der VTE-Weiterbehandlung unabhängig von der Nierenfunktionsstörung mit 5 mg Apixaban 2 x tgl. bis zu einem Zeitraum von 6 Monaten antikoaguliert* werden.

Ist das Rezidivrisiko der Patientin nach 6 Monaten immer noch hoch, kann eine verlängerte Rezidivprophylaxe mit der niedrigen Apixaban-Dosis von 2,5 mg 2x täglich angezeigt sein. Erste Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit von Apixaban in der verlängerten Rezidivprophylaxe bei krebsassoziierter VTE entnehmen Sie bitte aus diesem Artikel.

Daten aus der CARAVAGGIO-Studie5:

Die Studie CARAVAGGIO5 schloss 1.170 Patient:innen mit akuter VTE und aktiver oder früherer Krebserkrankung§ ein und verglich Apixaban (10 mg 2 x täglich bis Tag 7, gefolgt von 5 mg 2 x täglich über einen Zeitraum von Tag 8 bis Monat 6) mit Dalteparin (200 I.E./kg Körpergewicht [KG] 1 x täglich bis Tag 30, dann 150 I.E./kg KG 1 x täglich).5 In der Gesamtpopulation war:

* Patienten mit aktiver Krebserkrankung können ein hohes Risiko für sowohl venöse Thromboembolien als auch Blutungen haben. Wenn Apixaban zur Behandlung von TVT oder LE bei Krebspatienten in Erwägung gezogen wird, sollte eine sorgfältige Abwägung des Nutzens gegen das Risiko erfolgen.2
EMA-Definition: schwere Blutungen nach Kriterien der International Society on Thrombosis and Haemostasis (ISTH) oder Blutungen, die einen akuten chirurgischen Eingriff erfordern.
Bei Patient:innen mit schwerer Nierenfunktionsstörung (Kreatinin-Clearance 15 – 29 ml/min) sollte ELIQUIS® für die VTE-Behandlung sowie die Prophylaxe von VTE-Rezidiven nur mit Vorsicht eingesetzt werden.2 Für Patient:innen mit einer Kreatinin-Clearance < 15 ml/ min oder für dialysepflichtige Patient:innen wird Apixaban aufgrund fehlender klinischer Erfahrung nicht empfohlen2.
§ Aktiv: Krebsdiagnose innerhalb von 6 Monaten vor Studieneinschluss, Krebstherapie bei Studieneinschluss oder innerhalb von 6 Monaten vor Randomisierung oder rezidivierende lokal fortgeschrittene oder metastasierende Krebserkrankung. Früher: Krebsdiagnose maximal zwei Jahren vor Einschluss in die CARAVAGGIO-Studie zurückliegend. Der Anteil an der Gesamtpatientenpopulation durfte maximal 20 % betragen.

Referenzen

  1. Fachinforation Herceptin® 600 mg/5 ml Injektionslösung, aktueller Stand.
  2. Fachinformationen Eliquis® 5 mg / 2,5 mg, aktueller Stand.
  3. Stevens SM et al. Antithrombotic Therapy for VTE Disease: Second Update of the CHEST Guideline and Expert Panel Report - Executive Summary. Chest 2021; 160(6):2247–59.
  4. Dt. Gesellschaft für Angiologie – Gesellschaft für Gefäßmedizin. AWMF S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie. Version 5.0. AWMF Registernummer 065 – 002 - gültig bis 09.10.2020. Available from: URL: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/065-002.html.
  5. Agnelli G et al. Apixaban for the Treatment of Venous Thromboembolism Associated with Cancer. N Engl J Med 2020; Apr 23;382(17):1599-1607.
  6. Inker LA et al. KDOQI US commentary on the 2012 KDIGO clinical practice guideline for the evaluation and management of CKD. Am J Kidney Dis 2014; 63(5):713–35.
  7. Becattini C et al. Renal function and clinical outcome of patients with cancer-associated venous thromboembolism randomized to receive apixaban or dalteparin. Results from the Caravaggio trial. Haematologica 2022; 107(7):1567–76.