esanum: Dr. Heinrich, welche Maßnahmen und Faktoren könnten Wartezeiten auf einen Facharzttermin wieder auf vernünftige Dimensionen zurückführen?
Dr. Heinrich: Ganz schlicht gesagt: Eine reelle Bezahlung der fachärztlichen Leistungen. Es ist derzeit jedoch nicht vorgesehen, nach der Entbudgetierung für Hausärzte und Kinderärzte auch die Fachärzte zu entbudgetieren. Aber das wäre im Interesse aller, Patienten und Fachärzten, dringend nötig. Wir erleben steigende Lohnkosten, steigende Energiekosten und Inflation. Vor diesem Hintergrund kann es nicht so weitergehen wie bisher - nämlich dass uns Fachärzten 25 Prozent der Honorare vorenthalten werden.
esanum: Das heißt, Sie haben bisher schon eine zeitlang zu 25 Prozent unbezahlt gearbeitet?
Dr. Heinrich: Genau, es ist schon sehr lange so, dass wir eine Leistung für einen Euro erbringen und dafür 75 Cent bekommen. Ärzte sind nun einmal Gutmenschen. Und die wirtschaftliche Betrachtung steht bei ihnen zunächst nicht unbedingt an erster Stelle. Es mag Menschen geben, die das anders sehen, aber das scheint doch eher eine verblendete und unrealistische Sichtweise auf Ärzte.
esanum: Wenn das so eingeübt ist, warum dann gerade jetzt die Aufregung?
Dr. Heinrich: Wir haben uns schon lange darüber geärgert, aber jetzt sehen wir beispielsweise die erheblich steigenden Gehälter für die medizinischen Fachangestellten.
Das und vieles mehr macht sich nun enorm bemerkbar. Jetzt fällt es auch dem letzten Kollegen auf, dass er zum Teil umsonst arbeitet. Wenn man dann zum Beispiel reduziert und versucht, mit einer MFA weniger auszukommen, dann müssen wir Sprechstundenzeiten streichen oder Termine reduzieren. Ich schätze, dass durch derartige Maßnahmen ungefähr 20 Prozent der Sprechzeiten wegfallen. Wir brauchen übrigens auch deswegen endlich eine ordentliche Finanzierung, weil wir mit Krankenhäusern und gesetzlichen Krankenkassen um die medizinischen Fachangestellten konkurrieren. Im Moment zahlen die Krankenversicherungen am besten, gefolgt von den Krankenhäusern und dann kommen erst die niedergelassenen Ärzte. Es ist doch pervers, dass die Verwaltungen am besten bezahlen können. Die bedienen sich ja direkt aus den Versichertengeldern. Und wir können auf Grund der geschilderten Praxis unsere Angestellten nicht gleichermaßen entlohnen, das ist ethisch bedenklich.
esanum: Warum hat das offenbar eine Zeit lang noch einigermaßen funktioniert?
Dr. Heinrich: Wir haben die langen Wartezeiten beim Facharzt schon in der Ära vor Gesundheitsminister Spahn diskutiert. Das ist 10 Jahre her. Daraufhin hat Jens Spahn damals die Neupatientenregelung eingeführt. Das heißt, für alle neuen Patienten in einer Praxis gab es das volle Honorar. Da waren die Ärzte schon ganz zufrieden. Und dann wurde diese Regelung unter Gesundheitsminister Lauterbach wieder einkassiert, weil behauptet wurde, eine Statistik, die bis heute niemand von uns kennt, würde keine Verbesserung bei der Terminlage belegen. Diese Sparmaßnahme hat nachweislich wieder zu höheren Wartezeiten geführt. Derzeit ist es so, dass Patienten nun beim Hausarzt vielleicht schneller drankommen, aber beim Facharzt in der Warteschlange stehen, wenn es um genauere Diagnostik und Therapie geht. Es ist ja eigentlich nicht zu ertragen, wenn es Patienten inzwischen weiter schlecht geht.
esanum: Was genau verlangen Sie jetzt, um wieder auf die richtige Spur zu kommen?
Dr. Heinrich: Die Entbudgetierung, Punkt! Die Budgetierung entstand vor rund 40 Jahren, zu einer Zeit der Ärzteschwemme, um zu verhindern, dass Ärzte mehr machen als nötig. Das ist längst Geschichte. Wir haben nicht mehr genügend Ärzte. Kein Arzt kann sich heute noch erlauben, irgendwelche sinnlose Diagnostik zu betreiben, nur um Geld zu verdienen. Die Budgets haben sich lange überlebt, aber die Politik will das nicht einsehen.
esanum: Welche Resonanz erleben Sie auf Ihre Forderung?
Dr. Heinrich: Man stößt aktuell auf verschlossene Ohren, weil das natürlich Geld kostet. Deswegen machen wir zunächst hilfsweise konkrete Vorschläge. So könnten wenigstens erst einmal alle von einem anderen Arzt überwiesenen Patienten entbudgetiert werden. Es gibt keinen vernünftigen Grund, für einen Patienten, der erwiesenermaßen fachärztliche Leistungen benötigt, nur 75 Prozent zu bezahlen. Oder man sollte alle Ärzte entbudgetieren, die in sozialen Brennpunkten tätig sind. Dort ist die Facharztdichte geringer als anderswo.
esanum: Wo soll Ihrer Meinung nach das Geld für die volle Bezahlung der Fachärzte herkommen?
Dr. Heinrich: Das ist mir, ehrlich gesagt, relativ egal. Es wird gar nicht so wahnsinnig viel kosten. Das Geld ist da, wird nur woanders ausgegeben. Zum Beispiel müsste der Staat endlich so viel für die Bürgergeldbezieher in die GKV einzahlen, wie diese Personengruppe tatsächlich an fachärztlichen Leistungen empfängt. Dort existiert eine Riesendeckungslücke. Dafür muss der Staat mit Steuergeld aufkommen.
Und die Entbudgetierung finanziert sich teilweise auch wieder selbst, weil wir weniger Doppeluntersuchungen brauchen werden, weil Komplikationen vermieden werden.
esanum: Was haben Sie als Spifa vor, um Ihre Forderungen durchzusetzen, falls Sie weiter auf taube Ohren stoßen?
Dr. Heinrich: Wir werden mit all unseren Mitgliedsverbänden dafür sorgen, dass kein Arzt mehr Leistungen erbringt, die nicht bezahlt werden. Das bedeutet, wir passen unsere Leistung an das vorhandene Geld an. Dann ist Schluss mit der Ausnutzung des Gutmenschentums. Das wird die Wartezeiten auf einen Facharzttermin leider weiter hoch katapultieren.