Entbudgetierung - oder das Problem mit der zu kurzen Tischdecke

Hausärztin Dr. Petra Sandow freut sich über die erste Abrechnung nach der Entbudgetierung - es kommt tatsächlich Zählbares dabei heraus. Sorgen macht ihr aber das geplante Primärarztmodell.

Erste positive Abrechnung nach der Entbudgetierung

Oh Wunder, die erste Abrechnung nach der Entbudgetierung der Hausärzte ist eingetroffen. Und sie ist für die Sommerquartale wirklich positiv, sprich: Höher als im vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres. Das freut uns alle miteinander, denn es war durchaus zu befürchten, dass ein eventuell sinkender Punktwert die möglichen Vorteile wieder auffrisst. Mit so einem klar erfreulichen Ergebnis hatte kaum jemand gerechnet, man war schließlich aus den vergangenen Jahren einiges im Abrechungskampf gewöhnt. Ich habe also meine Arbeit tatsächlich vollumfänglich bezahlt bekommen. Wir wissen noch nicht genau, wie sich das sichtbare Plus auf der Überweisung genau zusammensetzt. Aber es ist angekommen. Man dankt.

Unzufriedenheit unter Fachärzten

Nun sind viele fachärztliche Kollegen unzufrieden. Und fordern für sich ebenfalls die Entbudgetierung. Verständlich, auch wenn sie natürlich ihren Arbeitsaufwand deutlich besser steuern können als wir Hausärzte. Wir müssen einfach jeden nehmen, der kommt. Das ist ein großer Unterschied in den Abläufen und im Aufwand. Doch nun klagen alle lauthals über die langen Wartezeiten auf einen Facharzttermin. Wenn ich einen Patienten zur weiteren Abklärung oder Therapie überweise und er keinen Termin bekommt, dann geht es ihm weiterhin schlecht und er steht im Zweifel wieder bei mir auf der Matte. So darf es natürlich auf die Dauer auch nicht bleiben. 

Primärmedizin im Fokus

Dennoch ist es nun einmal so, dass nicht unendlich viel Geld da ist. Jahrelang wurde es verstärkt in die apparative Medizin in den Facharztpraxen gesteckt. Und jetzt wurde erkannt, dass die Primärmedizin viel entscheidender ist, da wir ja filtern können, was überhaupt weiter diagnostiziert werden muss oder was eher ganz bodenständig vom Allgemeinmediziner betreut werden kann.

Daher war es ein sinnvolles Projekt des Gesundheitsministers, die Allgemeinmedizin wieder mehr zu stärken. Denn in vielen Fällen überweisen wir ja auch tatsächlich nicht unbedingt zu Fachärzten, weil wir vieles selbst machen können. Die Primärmedizin zu stärken, ist logisch, wenn die Menschen immer älter werden und wir immer mehr Dinge behandeln können. Und wer behandelt dieses Mehr? Das sind die Hausärzte! Auf uns kommt in den nächsten Jahren tatsächlich der größte Bedarf zu. Deswegen müssen wir jetzt genau die Praxen für Allgemeinmedizin stärken, damit wir in zehn Jahren nicht ein dickes Problem hineinlaufen.

Kritik am Primärarztmodell

Ein anderes Lieblingsthema des Gesundheitsministers ist allerdings kritisch zu sehen: die Stärkung des Primärarztmodells. Ziel ist es offensichtlich, das Problem der knappen Facharzttermine zu lösen. Die Idee ist, dass alle Patienten grundsätzlich immer zuerst zum Hausarzt gehen müssen. Wir müssten dann jedes mal entscheiden, ob überhaupt ein Facharzt besucht werden soll oder nicht. Wer Rückenschmerzen hat, kann dann nicht mehr bisher auch gleich zum Orthopäden gehen. Und wer nicht richtig gucken kann, der sucht auch nicht einfach den Augenarzt auf. Frauen pflegen bisher direkt zum Gynäkologen zu gehen, wenn sie in dem Bereich Probleme haben. Auch das wäre dann nicht mehr möglich.

Wenn diese Patienten alle nun tatsächlich zuerst beim Hausarzt aufschlagen, weil sie ohne Überweisung nicht weiterkommen, dann gute Nacht. Ich schätze, das bringt locker noch mal ein Drittel mehr Patienten für jeden von uns.

Die Herausforderung für Hausärzte

Und wir stellen ja nicht einfach einen Schein aus, wir müssen auch mit jedem Arzt-Patienten-Gespräche führen und gegebenenfalls eine Vordiagnostik machen, um festzustellen, ob eine Überweisung angezeigt ist. Das ist der Grund, weshalb sich der Hausärzteverband gegen die Stärkung des Primärarztmodells wehrt. Es ist auch schwer vorstellbar, einem Patienten, der mit Nebenhöhlenproblemen zum HNO-Arzt will, zu sagen: Brauchen Sie nicht, das kann ich auch. Das klingt für mich nicht überzeugend. 

Die Notwendigkeit neuer Lösungen

Einzige echte Lösung wäre, dafür zu sorgen, dass die Arztdichte wieder steigt. Darüber muss die Politik kreativ nachdenken. Der Beruf muss wieder attraktiver gemacht werden. Die jungen Mediziner, die jetzt nach dem Studium ins Ausland gehen, weil sie dort mehr verdienen, müssen eventuell für eine gewisse Zeit im Land bleiben. Das klingt vielleicht drastisch - aber warum soll ein junger Student dem Land nicht etwas zurückgeben, das ihm das Studium ermöglicht hat? Die Unis und Hochschulen werden von der Gesellschaft vorgehalten und bezahlt. Dafür kann sie auch Gegenleistungen erwarten. Wie auch immer, wir sehen seit Jahren, dass unsere Kräfte begrenzt sind. Und ich bin überzeugt, dass im Gesundheitswesen etwas Neues, vielleicht Ungewöhnliches, das einen Schub auslöst, geschehen muss. Sonst ziehen wir immer weiter verzweifelt an der zu kurzen Tischdecke, und es wird doch jedes mal nur wieder ein neues Problem freigelegt.
 

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Wer ist Dr. Petra Sandow?

Dr. med. Petra Sandow ist Fachärztin für Allgemeinmedizin mit dem Schwerpunkt Infektiologie. Sie studierte Humanmedizin in Berlin und Münster. Nach klinischer Tätigkeit in der Gynäkologie und Inneren Medizin ist sie seit mehr als 30 Jahren als Hausärztin in eigener Praxis in Charlottenburg niedergelassen.