60 Prozent der erwachsenen Deutschen haben gar kein oder wenig Vertrauen darin, dass es der Politik auch in Zukunft gelingt, eine qualitativ hochwertige und bezahlbare medizinische Versorgung für alle sicherzustellen. Dies geht aus einer am 27.03. vorgestellten Umfrage unter 1.850 nach dem Zufallsprinzip ausgewählten über 18 Jahren Bürgern hervor, die das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag der Robert Bosch Stiftung Ende Januar/Anfang Februar durchgeführt hat.
Im Vergleich zu 2020 – unmittelbar vor der Pandemie – ist dies ein dramatischer Vertrauensverlust. Vor drei Jahren ergab eine ähnliche Umfrage, dass zum damaligen Zeitpunkt eine starke Mehrheit von 69 Prozent ein "sehr großes" (14 Prozent) oder großes Vertrauen (55 Prozent) in die Problemlösungskraft der Politik hatten. Diese Werte sind nun auf zwei beziehungsweise 38 Prozent geschrumpft.
Ursächlich für diese schlechten Werte ist, dass sich nach dem subjektiven Eindruck der Bürger ihre Gesundheitsversorgung vor Ort für 39 Prozent verschlechtert hat. Für 55 Prozent ist die Versorgungsqualität gleichgeblieben, nur drei Prozent berichten von einer Verbesserung. Die Stimmung der Bevölkerung korrespondiert insofern mit der Einschätzung vieler Ärzte und Gesundheitsberufe hinsichtlich der Auswirkungen des Fachkräfte- und Nachwuchsmangels und einer wachsenden Beanspruchung des Gesundheitssystems aufgrund steigender Morbidität.
Deutschland stehe mit dieser Situation nicht allein da: nahezu alle Gesundheitssysteme stehen vor immensen Herausforderungen, so Professor Mark-Dominik Aischer von der Robert Bosch Stiftung: Finanzierungsprobleme, wachsende Multimorbidität und Fachkräftemangel aufgrund des demografischen Wandels. Das erfordere weitgehende Reformen der Organisation und der Aufgabenverteilung, aber auch Digitalisierungsprozesse, bei denen die Bürger mitgenommen werden müssen.
Die konkreten Auswirkungen seien vor allem in der hausärztlichen Versorgung spürbar, so Professor Lutz Hager, Vorsitzender des Bundessverbandes Managed Care: Bundesweit seien rund 4.000 Hausarztsitze nicht besetzt, in ländlichen Regionen Baden-Württembergs seien Versorgungslücken von bis zu 40 Prozent in der Bedarfsplanung sichtbar. Nicht einmal jeder zehnte neu approbierte Arzt strebe eine Existenz als Hausarzt an.
Angesichts dieser Mangelsituation hat sich die Gesundheitspolitik der Ampelkoalition mit ihren Reformprojekten auf den richtigen Weg begeben, so die Einschätzung der Experten. Das belegten auch die Umfrageergebnisse: Um die 80 Prozent der Befragten wünschen sich regionale Gesundheitszentren, in denen sie ein multiprofessionelles Versorgungsangebot von Ärzten, Pflegekräften und anderen Gesundheitsberufen aus einer Hand erhalten können. Diese spielen auch eine Rolle bei der Gesundheitsinformation und der Stärkung der Gesundheitskompetenz der Bürger. Nach Einschätzung von Hager existiert unter Ärzten eine große Bereitschaft, bei solchen Organisationsreformen mitzuwirken und bislang ärztliche Aufgaben zu delegieren.
Die Vorstellungen der Bürger, so die Experten der Robert Bosch Stiftung, decken sich durchaus mit den Reformprojekten der Ampel-Koalition wie der Stärkung der Pflegeberufe und dem Aufbau von Gesundheitskiosken und interdisziplinären Gesundheitszentren. Allerdings seien die konkreten Reformvorhaben der Bundesregierung nur bei wenigen Bürgern bekannt – die Kommunikation darüber sehr bislang stark vernachlässigt worden.