Long-COVID: Was wir bis heute wissen

Mysterium Long-COVID? Eine neue Studie plädiert für die ausgiebige Untersuchung potenzieller Behandlung für Betroffene. Denn bisher sei die Therapie alles andere als erforscht.

Wir müssen Long-COVID verstehen und behandeln

Long-COVID ist eine Multisystemerkrankung, die ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Müdigkeitssyndrom), Dysautonomie, Multiorganstörungen, Gefäß- und Gerinnungsanomalien umfasst. Sie hat bereits Millionen von Menschen auf der ganzen Welt geschwächt, und ihre Zahl nimmt weiter zu. Wenn nicht sofort Maßnahmen ergriffen werden, könnte ein erheblicher Prozentsatz der Menschen mit Long-COVID lebenslang behindert sein. Die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten sind derzeit unzureichend. Es sind dringend zahlreiche klinische Studien erforderlich, um Therapien zu testen, die den vermuteten biologischen Mechanismen entgegenwirken, darunter Viruspersistenz, Neuroinflammation, Hyperkoagulabilität und Autoimmunität.

Die Pathogenese von Long-COVID ist noch unklar

Zu den vorgeschlagenen Hypothesen gehören: 

Auch die Risikofaktoren werden noch untersucht. Dazu gehören vermutlich:

Es wird auch vermutet, dass ein geringeres Einkommen und die Unfähigkeit, sich in den ersten Wochen nach der Entwicklung von COVID-19 ausreichend zu erholen, einen Einfluss haben könnten. 

Die Studien liefern jedoch keine soliden Beweise. Viele Analysen basieren auf bestehenden Forschungsarbeiten zu postinfektiösen Krankheiten wie ME/CFS. Long-COVID scheint einige dieser Eigenschaften zu besitzen.

Was wir heute über Long-COVID wissen

Bei der Durchsicht der wissenschaftlichen Literatur wurden die bisher gefundenen Merkmale von Long-COVID nach dem jeweiligen System unterteilt. Die meisten dieser Studien beziehen sich auf Erwachsene. 

Immunologie und Virologie

Gefäß- und Organschäden

Neurologische und kognitive Aspekte

ME/CFS und Dysautonomie

Fortpflanzungssystem

Atmungssystem

Verdauungssystem

Können Kinder von Long-COVID krank werden?

Long-COVID hat Auswirkungen auf Kinder jeden Alters. Eine Studie ergab, dass Müdigkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Dyspnoe, Brustschmerzen, Dysosmie, Dysgeusie, Appetitlosigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Gedächtnisprobleme, geistige Ermüdung, körperliche Müdigkeit und Schlafprobleme bei Long-COVID-Betroffenen im Alter von 15 bis 19 Jahren 2 bis 36 Mal häufiger auftraten als bei gleichaltrigen Kontrollpersonen. Die Erfahrungen eines pädiatrischen Zentrums zeigen, dass Jugendliche mit einer mittelschweren bis schweren Form von Long-COVID Merkmale aufweisen, die mit ME/CFS übereinstimmen.

Weitere Untersuchungen zu Long-COVID bei Kindern sind erforderlich, auch wenn es schwierig ist, eine angemessene Kontrollgruppe für die besonderen Merkmale im Kindesalter zu finden (mehrere Studien haben beispielsweise gezeigt, dass bei mit SARS-CoV-2 infizierten Kindern die Wahrscheinlichkeit eines positiven RT-PCR-Testergebnisses deutlich geringer ist).  

Wann treten die Symptome von Long-COVID auf?

Das Auftreten und der zeitliche Verlauf der Symptome unterscheiden sich von Patient zu Patient und je nach Art der Symptome. Neurologische Symptome treten oft erst Wochen oder Monate nach der akuten Infektion auf. Mehrere neurokognitive Symptome verschlimmern sich im Laufe der Zeit und bleiben tendenziell länger bestehen, während gastrointestinale und respiratorische Symptome eher abklingen. Myalgien sind nach einem Jahr häufiger als nach 2 Monaten, ebenso wie Parästhesien, Haarausfall, verschwommenes Sehen und Schwellungen der Beine, Hände und Füße. 

Nur wenige Menschen mit Long-COVID erholen sich vollständig. Die Zukunftsprognose ist ungewiss.

Diagnose von Long-COVID

Obwohl es Möglichkeiten gibt, einige Symptome von Long-COVID zu diagnostizieren, befinden sich spezifische Diagnoseinstrumente größtenteils noch in der Entwicklung (Bildgebung zur Erkennung von Mikroklumpen, Hornhautmikroskopie zur Erkennung von Small-Fiber-Neuropathie, Analyse der De-novo-Fragmentierung des QRS-Komplexes, Einsatz der hyperpolarisierten MRT zur Erkennung von Anomalien des pulmonalen Gasaustauschs).

Die Biomarkerforschung schlägt vor, Moleküle aufzuspüren, die eine hohe Zytotoxizität anzeigen. Die Entwicklung und Validierung von Biomarkern ist von entscheidender Bedeutung, nicht nur für die Diagnose von Long-COVID, sondern auch für die Messung des Ansprechens auf die Therapie.

Long-COVID-Therapie

Derzeit gibt es keine Therapie für Long-COVID. Die Forschung hat bisher nur die Wirksamkeit von Behandlungen für bestimmte Symptome in bestimmten Gruppen gezeigt. 

Mehrere Strategien zur Behandlung von ME/CFS sind für Personen mit Long-COVID wirksam, darunter Schrittmacher und symptomspezifische pharmakologische Optionen (z.B. β-Blocker für POTS, niedrig dosiertes Naltrexon für Neuroinflammation und intravenöses Immunglobulin für Immundysfunktion) sowie nicht-pharmakologische Optionen (einschließlich erhöhter Salzaufnahme für POTS). 

H1- und H2-Antihistaminika werden zur Linderung einer Vielzahl von Symptomen eingesetzt, obwohl sie kein Heilmittel sind. Ein weiteres Medikament, BC 007, ist möglicherweise gegen Autoimmunität gerichtet. Eine gerinnungshemmende Therapie kann der abnormen Gerinnung entgegenwirken. 

Es sollte beachtet werden, dass Bewegung für Long-COVID-Patienten, die Symptome von ME/CFS oder Unwohlsein nach der Anstrengung haben, schädlich ist und nicht als Behandlung eingesetzt werden sollte.

Die Autoren betonen, wie wichtig es ist, die Untersuchungen anhand von Fallberichten fortzusetzen. Als Beispiel führen sie einen Fallbericht an, in dem das Verschwinden von Long-COVID nach einer Behandlung mit dem Virostatikum Paxlovid gezeigt wurde.

Im Großen und Ganzen beruhen die derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten bei Long-COVID auf kleinen Studien oder auf dem, was sich bei anderen Krankheiten als wirksam erwiesen hat. In dieser Hinsicht lohnt es sich, das breite Spektrum von Therapieoptionen für ME/CFS zu untersuchen. Nach Ansicht der Autoren muss dieser Teil der klinischen Versuche dringend angegangen werden. Fehlende finanzielle Mittel aber stellen eine erhebliche Einschränkung für solide Studien dar.

Impfstoffe und Re-Infektionen

Die Auswirkungen der Corona-Impfung auf die Inzidenz von Long-COVID variieren von Studie zu Studie. Auf der einen Seite gibt es diejenigen, die keine signifikanten Unterschiede in der Entwicklung von Langzeit-COVID zwischen geimpften und ungeimpften Personen sehen. Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, in denen Impfstoffe einen Teilschutz boten. Weitere standardisierte Studien sind erforderlich, um das Wissen in diesem Bereich zu vertiefen. 

Ebenso müssen weitere Arbeiten die Auswirkungen der Impfung auf Patienten mit Long-COVID bewerten. Bisher hat es den Anschein, dass die Symptome nach der Impfung bei den meisten von ihnen unverändert bleiben.

Da Re-Infektionen immer häufiger werden, müssen wir verstehen, welche Auswirkungen eine Re-Infektion auf Long-COVID-Patienten hat. Erste Untersuchungen zeigen ein erhöhtes Risiko für Long-COVID nach der zweiten und dritten Infektion, selbst bei Personen mit doppelter und dreifacher Impfung. Die vorhandene Literatur legt nahe, dass Mehrfachinfektionen weitere Schäden verursachen oder ein ME/CFS-ähnliches Erscheinungsbild hervorrufen können.

Long-COVID: Hinweise für die künftige Forschung

Bislang wurden die Erforschung von Long-COVID und die klinische Versorgung von Long-COVID-Patienten durch drei Hauptfaktoren behindert: 

Einige Probleme bei der Verwendung und Verwaltung von RT-PCR-Testergebnissen (z.B. die geringe Verfügbarkeit von RT-PCR-Tests während der ersten Wellen im Jahr 2020 und die hohe Rate falsch-negativer Ergebnisse) und Antikörpertests (z.B. die falsche Annahme, dass alle Personen SARS-CoV-2-Antikörper produzieren und behalten) führten zu Fehlern bei der Zusammensetzung von Kohorten während der Planung klinischer Studien, was möglicherweise einige Ergebnisse verzerrte. Nach Ansicht der Autoren müssen die bisher gewonnenen Erkenntnisse an die wissenschaftliche Gemeinschaft weitergegeben werden, um diese Art von Fehlern zu verringern und die Ergebnisse künftiger Forschung zu verbessern.

Die Forschung wurde auch durch zwei falsche Vorstellungen behindert, die das Ergebnis einer falschen Darstellung der Pandemie sind: 

Dies hat eine umfassende Datenerfassung verhindert, sowohl bei hospitalisierten Patienten (wir haben häufig nur Daten über das Atmungssystem, wenig oder nichts über die neurologischen, kardiovaskulären und multisystemischen Aspekte von COVID-19) als auch bei nicht hospitalisierten Patienten (spärliche und ungenaue Daten).

Schließlich verhindern der weit verbreitete Mangel an Wissen über Krankheiten, die durch Viren ausgelöst werden, insbesondere ME/CFS und Dysautonomie, sowie die oft unvollkommene Kodierung die Identifizierung und Dokumentation dieser Krankheiten durch Ärzte. Das bedeutet, dass sie in den Krankenakten oft nicht zu finden sind. Da die Forschung zu ME/CFS und Dysautonomie kaum weithin bekannt ist und an den Universitäten nicht umfassend gelehrt wird, kann die Forschung zu Long-COVID nicht von früheren, etablierten Erkenntnissen profitieren.

Die bisherige Forschung reicht nicht aus, um die Ergebnisse für Menschen mit Long-COVID zu verbessern. Erforderlich ist eine Forschung, die auf dem vorhandenen Wissen aufbaut und die Erfahrungen der Patienten, die Aus- und Weiterbildung des Gesundheits- und Forschungspersonals, eine öffentliche Kommunikationskampagne sowie eine solide Politik und Finanzierung zur Unterstützung von Forschung und Pflege einbezieht.

Die Durchführung solider klinischer Studien muss eine Priorität für die Zukunft sein, da die Patienten derzeit nur wenige Behandlungsmöglichkeiten haben.
 

Quellen:

Davis HE, McCorkell L, Vogel JM, Topol EJ. Long COVID: major findings, mechanisms and recommendations. Nat Rev Microbiol. 2023 Jan 13:1–14. doi: 10.1038/s41579-022-00846-2. Epub ahead of print. PMID: 36639608; PMCID: PMC9839201.