Ausbildungsqualität und Arbeitsbedingungen von Medizinstudierenden im Praktischen Jahr haben sich seit 2018 nur geringfügig verbessert. Das geht aus dem PJ-Barometer 2023 hervor, einer Online-Umfrage unter 1.682 PJlern und Ärzten, die in den letzten drei Jahren das PJ absolviert haben. Die Ergebnisse hat der Marburger Bund am 04.05. vorgestellt.
Die Umfrage offenbart erneut Schwächen dieser praktischen Phase der Medizinerausbildung: hohe Arbeitsbelastung, fehlende Zeit zum Selbststudium auch zur Vorbereitung der Abschlussprüfung, zusätzliche Belastung durch Nebenjobs zur Finanzierung der Ausbildung und Mangel an strukturiertem Mentoring, wie die Vorsitzende des Sprecherrates der Medizinstudierenden im Marburger Bund, Pauline Graichen, kritisiert.
90 Prozent haben ihr erstes Tertial an einer Uniklinik oder einem Lehrkrankenhaus absolviert, die ambulante Versorgung spielt in dieser Ausbildungsphase keine Rolle. 60 Prozent berichten, dass sie in dieser Zeit wöchentlich mehr als 40 Stunden arbeiten, 4,6 Prozent kommen sogar auf mehr als 50 Wochenstunden. Fast die Hälfte (47 Prozent) muss bereits im ersten Tertial Nacht- und Wochenenddienste übernehmen, davon jeder zweite PJler zwei oder mehr Dienste. Jeder Zehnte berichtete davon, dass bei diesen Diensten nicht immer die Anwesenheit eines Arztes gewährleistet ist. Nur jeder fünfte PJler, der Nacht- und Wochenenddienste leistet, wird dafür auch extra – also außerhalb der PJ-Aufwandsentschädigung – entlohnt. Allerdings gibt es hier auch Verbesserungen: Der Anteil der PJler, die weniger als 40 Stunden arbeiten, ist seit 2018 von 28 auf 40 Prozent gestiegen. Zugenommen hat hingegen die Belastung durch Dienste in der Nacht und an Wochenenden.
Keine Verbesserung wurde bei der Unterstützung durch Mentoren oder Lehrbeauftragte erreicht – im Gegenteil: Der Anteil angehender Ärzte, die keine strukturierte Betreuung in dieser Ausbildungsphase erhalten, ist in den letzten fünf Jahren von 35 auf 40 Prozent gestiegen.
Ebenfalls verschlechtert hat sich das Angebot an Seminaren und theoretischem Unterricht: Der Anteil der Einrichtungen, die solche Veranstaltungen speziell für das PJ anbieten, ist von 88 auf unter 60 Prozent gesunken – eine erstaunliche Entwicklung vor dem Hintergrund, dass es sich dabei meist um Unikliniken oder Lehrkrankenhäuser handelt. Dementsprechend ist der Anteil der Noten gut und sehr gut für die Ausbildungsqualität von 57 Prozent vor fünf Jahren auf aktuell 51 Prozent gesunken. Der Anteil der schlechten Noten – unbefriedigend oder schlecht – stieg von 15 auf 19 Prozent. Das heißt: Jeder fünfte angehende Arzt sieht erhebliche Mängel in der praktischen Ausbildung unmittelbar vor dem Staatsexamen.
Dementsprechend unsicher sind die Studierenden, ob sie sich in praktischer Hinsicht auf ihren Beruf ausreichend präpariert sehen: Nur 45 Prozent beantworten dies eindeutig mit ja, fast ebenso viele (44 Prozent) beurteilen den Stand ihrer Fertigkeiten als nicht ausreichend, zehn Prozent sind unsicher.
Nur in geringem Umfang werden innovative Ausbildungskonzepte – gefragt wurde hier nach der Interprofessionellen Ausbildungsstation (IPSTA) – angeboten und genutzt: Lediglich 3,5 Prozent der Befragten hatten einen Teil des PJs auf einer solchen Station absolviert.
Schwächen offenbaren auch die Arbeitsinhalte und deren Gestaltung: Fast 80 Prozent der Befragten berichten davon, sie hätten höchstpersönliche ärztliche Leistungen – Untersuchungen, Anamnesen, Therapien, Patientenaufklärung – auch ohne Supervision eines Arztes durchgeführt. Über 80 Prozent der PJler wurden auch für nichtärztliche Leistungen, etwa Botengänge, zweckentfremdet eingesetzt.
Ein kritischer Punkt ist die höchstzulässige Fehlzeit von 30 Tagen. Rund zwei Drittel nutzen sie für den Urlaub, aber 42 Prozent haben zumindest einen Teil dieser Fehlzeit für die Bewältigung von Krankheit aufwenden müssen. Jeder Fünfte nutzt dieses Zeitkontingent auch zum Selbststudium. Angesichts der knappen „freien“ Zeit, die zum Teil auch für Nebenjobs zur Finanzierung des Lebensunterhalts aufgewendet wird, halten 60 Prozent der Befragten die verbleibende Zeit für ein Selbststudium für nicht ausreichend.
Die Finanzierung des Studiums – auch im letzten Jahr vor dem Staatsexamen – lastet vor allem auf den Familien: 78 Prozent der Studierenden werden primär von ihren Eltern unterstützt. 63 Prozent erhalten im PJ eine Aufwandsentschädigung, die überwiegend in der Größenordnung von 300 bis 650 Euro monatlich liegt. Fast 30 Prozent der Befragten gaben an, einem Nebenjob nachzugehen.
Daraus resultiert die klare Forderung des Marburger Bundes, so die Studierenden-Sprecherin Pauline Graichen: eine verbindliche Aufwandsentschädigung mindestens in der Höhe des BAFöG-Höchstsatzes von gut 900 Euro.
Trotz offenkundiger Unzulänglichkeiten in der praktischen Ausbildungsphase ist der ärztliche Nachwuchs von den ersten Erfahrungen im Beruf nicht frustriert: 95 Prozent streben eine Tätigkeit in der Patientenversorgung an, ganz überwiegend in der Klinik. Nur drei Prozent denken daran, der Medizin ganz den Rücken zu kehren. Nur gering ist das Interesse, primär in die Forschung zu gehen (1,3 Prozent). Und der öffentliche Gesundheitsdienst bleibt mit 0,7 Prozent weiter ein Exot unter den ärztlichen Berufsoptionen.
Ganz oben auf der Liste der angestrebten Facharztqualifikation steht die Anästhesiologie (16 Prozent), gefolgt von der Inneren Medizin und der Allgemeinmedizin mit jeweils gut zehn Prozent.