Eine konkrete Verbesserung für die ambulante Schmerzmedizin sieht Kongresspräsident Prof. Frank Petzke, Anästhesiologe und Schmerztherapeut an der Uni Göttingen, aufgrund innovativer Versorgungsformen, die seit 2018 durch Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschusses evaluiert worden sind. Mit den Projekten gelinge es, durch eine intensivierte Zusammenarbeit verschiedener medizinischer Disziplinen unter Einschluss der Psychotherapie eine mögliche Chronifizierung von Schmerz früher zu erkennen und zeitiger zu behandeln. Ziel ist es, die neuen Konzepte für die Regelversorgung tauglich zu machen
Mit diesen neuen multimodalen interdisziplinären Therapieansätzen könne eine bedeutende Versorgungslücke geschlossen werden, so Petzke. Die Projekte PAIN2020 und PAIN2.0 untersuchen dabei die ambulante interdisziplinäre multimodale Diagnostik und Therapie von Patienten mit anhaltenden Schmerzen und Risikofaktoren für eine weitere Chronifizierung. An PAIN2020 nahmen initial 31 Einrichtungen teil, an PAIN2.0 sind 22 Zentren an einer randomisierten klinischen Studie einer ambulanten Gruppenbehandlung über zehn Wochen mit drei Stunden wöchentlich beteiligt.
Das Projekt POETPain richtet sich an Patienten mit einem erhöhen Risiko für chronische Schmerzen nach Operationen. Hierzu finden randomisiert-klinische Studien an sechs universitären Zentren statt. Das Konzept beinhaltet eine prästationäre interdisziplinäre Beurteilung, die stationäre Umsetzung eines modularen individuellen Behandlungsplans und bei Bedarf eine interdisziplinäre Nachbehandlung mit bis zu drei Terminen.
Eine ebenfalls signifikante Verbesserung der Versorgung versprechen neue Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), die zunehmend vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte evaluiert und für die GKV-Versorgung zugelassen werden. Sie ermöglichen es nach Angaben von Prof. Dagny Holle-Lee, der Präsidentin des Schmerzkongresses und Leiterin des Westdeutschen Kopfschmerzzentrums Essen, Patienten, durch algorithmengestützte Programme Schmerzsymptome zu dokumentieren, ihren Krankheitsverlauf zu überwachen und gezielte Übungen zur Schmerzbewältigung durchzuführen. Das entlaste Ärzte und Therapeuten und stärke die Selbstwirksamkeit der Patienten, sie nehmen einen aktiveren Anteil im Behandlungsprozess ein. DiGAs seien eine Unterstützung bei der psychischen Stabilisierung und ermöglichten das Erlernen kognitiven Verhaltenstrainings. Das könne den Einsatz von Medikamenten reduzieren und die Lebensqualität steigern. DiGAs könnten Ärzte und Therapeuten nicht ersetzten, sie aber maßgeblich entlasten und so auch zur Effizienz der Versorgung beitragen.
Eine weitere Option für Versorgungsverbesserungen sei der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) auch in der Schmerztherapie. Zwar gebe es noch nicht viele Anwendungen, so Privatdozent Dr. Lars Neeb; möglich sei aber die Nutzung von KI beispielsweise in der Therapiestratifizierung oder unter Zuhilfenahme von virtueller Realität Entspannungstechniken zu üben. Erste Studien dazu hätten guten Effekte insbesondere bei Patienten mit leichten mit mittelstarken Schmerzen gezeigt. Ganz wesentlich für den Einsatz von KI in der Schmerzmedizin sei – wie auch in anderen Disziplinen – eine genaue Kenntnis darüber mit welchen Daten und Patiententypen die KI trainiert worden ist.
Ein nach wie vor ungelöstes Problem für Patienten mit chronischem Schmerz ist ihre Stigmatisierung in der Gesellschaft, im Arbeitsleben und sogar innerhalb ihrer Familien. Nach einer aktuellen nicht repräsentativen Umfrage des Arbeitskreises Patientenorganisationen der Deutschen Schmerzgesellschaft, an der über 1.200 Betroffene teilgenommen hatten, darunter über 90 Prozent Frauen größtenteils zwischen 55 und 64 Jahren, berichten 91 Prozent über erlebte Stigmatisierung. Ursachen seien häufig Mythen und Unkenntnisse über chronischen Schmerz. Mehr als ein Viertel der Befragten gab an, dass ihnen dabei das Gefühl vermittelt werde, selbst an der Krankheit schuld zu sein. Besonders erschreckend: Mehr als 80 Prozent sagten, dass auch Ärzte oder anderes medizinisches Fachpersonal die Schwere ihrer Symptome nicht geglaubt hätten.
Erhebliche Sorgen bereitet den Schmerztherapeuten die am Donnerstag vom Bundestag verabschiedete Krankenhausreform, so Prof. Joachim Erlenwein von der Uni Göttingen. Die Fachgesellschaften sehen die Kernelemente der Reform – die Bildung von Leistungsgruppen und Mindestvorhaltezahlen als Voraussetzung für die Vorhaltefinanzierung der Kliniken – als nicht kompatibel mit den Anforderungen einer modernen Schmerztherapie an. Schmerztherapeutische Behandlungskonzepte seien auf Dauer, jedenfalls langfristig angelegt und in jedem Fall interdisziplinär organisiert. Dies komme in dem Konzept der Leistungsgruppen nicht zum Ausdruck. Die Folge könne sein, dass Klinikträger schmerztherapeutische Leistungen aus ihrem Angebot streichen und damit nicht nur aktuell Versorgung abbauen, sondern auch langfristig die Aus- und Weiterbildung des schmerztherapeutischen Nachwuchses unmöglich machen.