Die Hauptversammlung des Hartmannbundes hat sich am Wochenende für die Einführung eines Primärarztsystems zur effektiveren Nutzung vorhandener Ressourcen in der ärztlichen Versorgung ausgesprochen. In der Hauptversammlung wurde betont, dass das Gesundheitssystem einer koordinierten Nutzung von Versorgungsleistungen bedarf, um die Lücke zwischen der begrenzten Verfügbarkeit von Leistungen und dem tatsächlichen Behandlungsbedarf zu schließen. Unter Beteiligung hochkarätiger Experten wie Professor Leonie Sundmacher vom Gesundheits-Sachverständigenrat hatten die Delegierten über mögliche Modelle zur Patientensteuerung beraten. Dr. Klaus Reinhardt, Vorsitzender des Hartmannbundes, äußerte sich kritisch zum aktuellen Zustand eines unorganisierten Versorgungsansatzes und verwies auf die Notwendigkeit, sowohl ausgebrannte Ärzte als auch die Patientensicherheit in den Vordergrund zu stellen. Die Gesundheitsökonomin Sundmacher wies darauf hin, dass das gegenwärtige System ein hohes Maß an Arztdichte durch hohe Fallzahlen verschleiße. Der Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Betriebskrankenkassen, Franz Knieps, forderte die Ärzte auf, Mut und Eigeninitiative bei der Suche nach Versorgungsinnovationen zu zeigen. Am Freitag hatte der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, Josef Hecken, auf der Hauptversammlung des Virchowbundes ebenfalls für ein Primärarztsystem nach dem Vorbild der hausarztzentrierten Versorgung plädiert.
Die Chancen, dass die Reform der Vergütung und Bedarfsplanung für die stationäre Versorgung doch noch wie geplant zum 1. Januar in Kraft treten kann, sind gestiegen. Am Mittwoch entschied der Gesundheitsausschuss des Bundesrates mit knapper Mehrheit die Empfehlung, dass das Plenum der Länderkammer auf seiner Sitzung am 22. November nicht den Vermittlungsausschuss anrufen soll. Damit wäre der Weg zur Ausfertigung des Gesetzes durch den Bundespräsidenten frei.
Dagegen fallen andere Gesetze der Diskontinuität durch vorgezogene Neuwahlen zum Opfer, weil sie nicht abschließend beraten werden können. Das betrifft das Gesundheitsversorgungsverbesserungsgesetz mit der Aufhebung der Budgetierung für Hausärzte, die in erster Lesung behandelte Notfallreform, das Pflege-Kompetenz-Gesetz und das Gesunde Herz-Gesetz. Ebenso wird die Gründung des Bundesinstituts für Prävention und Aufklärung in der Medizin auf die nächste Legislaturperiode verschoben – wenn es denn in einer neuen politischen Konstellation überhaupt aufgegriffen wird.
Aufgrund einer Erhöhung der Mindestfallzahlen für die stationäre Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Brustkrebs und Lungenkarzinom sinkt die Zahl der dafür qualifizierten Krankenhäuser im nächsten Jahr um rund 15 Prozent. Diese Konzentration auf Standorte mit höheren Fallzahlen wertet die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, als gute Nachricht für Patienten. Es sei bewiesen, dass höhere Mindestfallzahlen zu mehr Routine und Erfahrung der Op-Teams, weniger Komplikationen und besseren Behandlungsergebnissen führten. Für die Behandlung von Lungenkrebs stehen dann noch 144 Kliniken, für Brustkrebs 393 laut AOK-Transparenzkarte zur Verfügung.
Vor dem Hintergrund eines erwarteten Defizits von 1,8 Milliarden Euro in diesem und 3,5 Milliarden Euro im nächsten Jahr will die Bundesregierung nun in einer Rechtsverordnung, der der Bundesrat zustimmen muss, den Beitragssatz in der sozialen Pflegeversicherung um 0,2 Prozentpunkte auf 3,6 Prozent (allgemeiner Beitragssatz; für kinderlose 0,6 Prozentpunkte höher) anheben. Das hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am Freitag angekündigt. Zuletzt waren die Beitragssätze Mitte 2023 um 0,35 Punkte angehoben worden. Ursächlich ist die unerwartet stark gestiegene Zahl der Pflegebedürftigen und Leistungsempfänger in der sozialen Pflegeversicherung. Zusammen mit den erwarteten Erhöhungen der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung von durchschnittlich 0,3 Prozentpunkten steigen die Belastungen der Einkommen durch Gesundheit und Pflege somit um 0,5 Prozentpunkte. Für Besserverdienende ab der Beitragsbemessungsgrenze kommen in allen Sozialversicherungszweigen weitere Belastungen hinzu.
Die dazu notwendige Rechtsverordnung beschloss das Bundeskabinett am Mittwoch, wenige Stunden bevor Bundeskanzler Olaf Scholz Finanzminister Christian Lindner (FDP) entließ und damit das Ende der Ampelkoalition einläutete. Die Beitragsbemessungsgrenze steigt demnach stark um 6,4 Prozent: um 500 Euro auf 8050 Euro in der Rentenversicherung und um 375 Euro auf 6150 Euro in der Kranken-und Pflegeversicherung. Für Besserverdienende erhöhen sich damit die Beitragslasten für Gesundheit und Pflege um rund 106 Euro auf 1273 Euro einschließlich des Arbeitgeberbeitrags. Das Bundeskabinett sprach dazu die Erwartung aus, dass der Bundesrat der Verordnung erst dann zustimmt, wenn er zugleich die geplanten Steuerentlastungen mit der Abmilderung der Progressionslast passieren lässt.