Das Reizdarmsyndrom (RDS) gehört zu den häufigsten Diagnosen in der Gastroenterologie und stellt Fachärzte aufgrund seiner unspezifischen Symptome und vielfältigen Ursachen vor besondere Herausforderungen. Im Gespräch erläutert Dr. Keller die Wichtigkeit einer präzisen Differenzialdiagnostik, den Umgang mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten und -allergien sowie neue Erkenntnisse aus der Mucosa-Immunologie, die zukünftige Behandlungsansätze beeinflussen könnten.
Das Reizdarmsyndrom betrifft etwa 5 bis 10 % der Bevölkerung, wobei die Symptome wie Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall oder Verstopfung überaus unspezifisch sind und auch bei anderen gastrointestinalen Erkrankungen vorkommen können. Laut Dr. Keller ist es daher entscheidend, bei der Diagnostik das volle Spektrum möglicher Differenzialdiagnosen in Betracht zu ziehen.
Laut Dr. Keller ist es wichtig, zwischen klassischen RDS-Symptomen und Nahrungsmittelunverträglichkeiten zu differenzieren. Für Laktose- oder Fructoseintoleranzen kommen H2-Atemtests zum Einsatz, um Malabsorptionszeichen zu erkennen. Sie betont jedoch, dass eine Unverträglichkeit nicht ausschließt, dass zusätzlich eine Reizdarmkomponente vorliegt. Dies erfordert bei vielen Patienten eine weiterführende Diagnostik und Anpassung der Therapie.
Obwohl Nahrungsmittelallergien selten sind, sollten sie in speziellen Fällen in Betracht gezogen werden, insbesondere wenn Patienten auf bestimmte Lebensmittel heftig reagieren und nicht nur gastrointestinale, sondern auch systemische Symptome wie Kreislaufprobleme entwickeln. Klassische diagnostische Marker wie Blut- oder Hauttests bieten hierbei nur eingeschränkte Aussagekraft. Oft sind Eliminationsdiäten und Re-Expositionen notwendig, um eine Nahrungsmittelallergie zu bestätigen.
Auch bei funktionellen Erkrankungen wie dem Reizdarmsyndrom zeigen sich in der Forschung subtile pathologische Veränderungen in der Darmschleimhaut. Dr. Keller verweist auf den vermehrten Nachweis von Entzündungszellen in der Mucosa von RDS-Patienten, die zwar nicht für eine klinische Diagnose ausreichen, aber dennoch eine potenzielle Rolle in der Pathophysiologie spielen könnten. Diese Erkenntnisse könnten in Zukunft zu neuen Therapiekonzepten führen, auch wenn derzeit noch keine spezifischen Behandlungen auf Basis dieser Immunveränderungen verfügbar sind.
Ein weiteres häufig diskutiertes Thema bei Patienten mit RDS ist die Histamin-Unverträglichkeit. Dr. Keller bestätigt, dass diese oft überschätzt wird. Die gängigen Tests zur Bestimmung des DAO-Spiegels sind nicht immer aussagekräftig, da der Körper über alternative Abbaumechanismen verfügt. Sie empfiehlt stattdessen eine Auslassdiät mit anschließender Re-Exposition, um eine fundierte Diagnose zu stellen. Bei wiederholten Symptomen nach histaminreicher Kost kann eine histaminarme Diät oder gegebenenfalls der Einsatz von Antihistaminika sinnvoll sein.
Dr. Keller betont, dass eine rationale und effiziente Differenzialdiagnostik beim Reizdarmsyndrom essenziell ist, um unnötige Untersuchungen zu vermeiden. Grundlegende Untersuchungen wie Bluttests, Zöliakie-Screening und Stuhluntersuchungen auf Entzündungsmarker sind unverzichtbar. Bei Patienten mit Durchfall oder Alarmsymptomen sollte immer eine Koloskopie erfolgen, da in über der Hälfte der Fälle eine behandelbare Ursache gefunden werden kann.