Best of ASCO & ESMO mit Prof. Jalid Sehouli

In unserer Reihe "Best of Congress mit…" geben Experten exklusive Einblicke in ihre persönlichen Kongress-Highlights. Den Auftakt macht Prof. Jalid Sehouli mit seinen Eindrücken von den diesjährigen ASCO- und ESMO-Kongressen.

Künstliche Intelligenz nimmt zu 

esanum: Prof. Sehouli, was ist Ihre persönliche Auswahl der wichtigsten Daten, Trends und Diskussionen vom ASCO?

Prof. Jalid Sehouli: Zuallererst fällt mir auf, dass das Thema Künstliche Intelligenz (KI) in der Onkologie zunehmend thematisiert und diskutiert wird. Insbesondere in der molekularen Diagnostik spielen digitale HE-Schnitte und bildgebende Verfahren (wie Computertomographie) und automatisierte Algorithmen eine bedeutende Rolle. Diese Technologien ermöglichen es, Prädiktionen und Prognosen zu erstellen, ohne spezifische Tests wie MSI- oder HRD-Tests durchzuführen. Dies ist ein großer Fortschritt, der in Zukunft die Diagnostik und die Auswahl der besten Therapie für Patientinnen präzisieren wird. Derzeit werden diese multimodalen Konzepte an großen Kohorten untersucht, und der ASCO hat dies in allen Tumorerkrankungen deutlich hervorgehoben.

Ein weiteres wichtiges Thema in der gynäkologischen Onkologie ist das Endometriumkarzinom, das aufgrund des Lebensstils zunehmend an Bedeutung gewinnt. ASCO-Daten zeigen, dass diese Krankheit das Mammakarzinom und das Kolonkarzinom in allen Altersklassen und Ethnizitäten, einschließlich der 20- bis 29-Jährigen, überholen könnte, was stark mit Übergewicht korreliert. Dies unterstreicht die Bedeutung von Lebensstiländerungen und Gesundheitsmanagement auch in Deutschland, wo ein Anstieg des Endometriumkarzinoms zu erwarten ist.

Ein bemerkenswerter Beitrag auf dem ASCO war eine Studie zum XPO1-Hemmer Selinexor, die ich bereits beim ESGO präsentiert und jetzt aktualisiert habe. Diese europäische Studie (ENGOT-SIENDO-STUDIE), umgesetzt von NOGGO e.V. in Deutschland, konzentrierte sich auf Patientinnen mit fortgeschrittener Erkrankung oder erstem Rezidiv, die eine Chemotherapie erhielten und in einer Erhaltungstherapie den XPO1-Antikörper einnahmen. Die Ergebnisse zeigten, dass insbesondere Patientinnen mit einem nicht-spezifischen Tumortyp einen deutlichen Vorteil beim progressionsfreien Überleben hatten, was zur Erweiterung der Studie für diese Gruppe führte. Patientinnen mit p53-Wildtyp nach Chemotherapie können hier in das Konzept eingebunden werden.

Das Endometriumkarzinom lässt sich in vier große Typen einteilen: POLE-Mutationen, Mikrosatelliteninstabilität, p53-mutiert,  nicht-spezifische Molekulartypen; weitere Subgruppen werden sicher in den nächsten Jahren dazukommen. Besonders für die letztgenannte Gruppe sind neue Therapiekonzepte notwendig, und die aktuellen Studien (z.B. ENGOT-Siendo) geben hierzu Hoffnung. Sie ist offen für alle Patientinnen, die mindestens zwölf Wochen Chemotherapie erhalten und angesprochen haben. Und die gute Nachricht ist, dass die molekulare Charakterisierung hier auch im Rahmen der Studie übernommen wird.

Zum Ovarialkarzinom ist eine deutsche Studie (ENGOT-AGO-OVAR 2.29) hervorzuheben, die einen Checkpoint-Inhibitor in Kombination mit einer Chemotherapie und einem Angiogenesehemmer bei platinresistentem Ovarialkarzinom prüfte. Obwohl Checkpoint-Inhibitoren bei vielen Tumoren wie dem Endometriumkarzinom, Zervixkarzinom, Kolonkarzinom und Mammakarzinom wirksam sind, zeigte diese Studie keinen Vorteil für das progressionsfreie Überleben. Dies bestätigt frühere Studienergebnisse und schließt die Tür für Checkpoint-Inhibitoren beim Ovarialkarzinom-Rezidiv.

In der Primärsituation warten wir noch auf Ergebnisse der belgischen Studie ENGOT-Ov43, die eine Kombination von Checkpoint- und anderen Inhibitoren untersucht. Diese könnte ähnlich wie die DUO-O-Studie, die beim letzten ESMO und ASCO präsentiert wurde, zeigen, ob dieser Ansatz bei HRD-negativen Patientinnen in der Primärsituation wirksam ist.

Beim Zervixkarzinom überzeugte eine Studie bei Hochrisikopatienten in der frühen oder Erstbehandlung, dass eine Chemotherapie, gefolgt von einer Radio-Chemotherapie, keinen Vorteil für das progressionsfreie Gesamtüberleben bietet. Das bedeutet, dass eine sequenzielle Radio-Chemotherapie mit oder ohne zusätzliche Chemotherapie weder die Lokalrezidive noch die Fernmetastasen reduziert.

Feinjustierung bei molekularer Diagnostik notwendig 

esanum: Und gab es auch einen Flop, Prof. Sehouli?

Prof. Jalid Sehouli: Hier möchte ich eine französische Studie hervorheben, die den Stellenwert der Lymphknotenoperationen nach neoadjuvanter Chemotherapie untersucht hat. Für mich ist dies eine unnötige Studie, und zwar aus folgenden Gründen: In der Neoadjuvanz beim Ovarialkarzinom gibt es nur wenige Studien zu hoch fortgeschrittenen Tumoren. Diese Studie sollte zeigen, dass die Intervalloperation besser ist als die primäre Operation, also eine ohne vorherige Chemotherapie. Leider wurde dies oft falsch interpretiert, da es sich eigentlich um Überlegenheitsstudien handelte, die keinen Unterschied nachweisen konnten.

Trotzdem gibt es Patienten, bei denen wir keine Operationen von vier, sechs, acht oder zehn Stunden durchführen können. Die kürzlich vorgestellte französische Studie untersuchte, ob die Entfernung der Lymphknoten bei der Intervalloperation nach drei Monaten einen Einfluss auf das progressionsfreie Überleben hat. Diese Studie halte ich für nutzlos. Die Grundlage aller Studien in der Neoadjuvanz zeigt, dass ausgedehnte Operationen nicht sinnvoll sind, insbesondere da wir in Deutschland bereits eine Leitstudie zur Primärsituation durchgeführt haben. Ich bin ein Befürworter von Studien, aber es ergibt keinen Sinn, Studien zu konzipieren, nur um ein vorab bekanntes Ergebnis zu präsentieren. Es ist wichtig, dass wir Studien auch kritisch betrachten dürfen. 

esanum: Können Sie uns schon einen Ausblick geben auf besondere Sessions auf dem ESMO in Florenz?

Prof. Jalid Sehouli: Eine Session zur DESKTOP-III-Studie, die zeigt, dass das Überleben beim ersten Rezidiv und makroskopischer Tumorfreiheit in onkologischen Zentren beeinflusst werden kann. In der Diskussion stellte sich die Frage, welchen Stellenwert eine solche Behandlung hat, insbesondere wenn Patienten bereits eine Chemotherapie oder eine Therapie mit PARP-Inhibitoren erhalten haben. Dies unterstreicht erneut die Bedeutung der Behandlung in spezialisierten onkologischen Zentren. Auch die Studie aus der Qualitätssicherungsstudie (QS-OVAR), präsentiert von Professor Dr. Felix Hilpert aus Hamburg unterstreicht, wie wichtig die Qualität auch bei fragilen und älteren Patientinnen ist. 

Zudem gab es zahlreiche Sessions zu Themen wie Endometriumkarzinom, seltenen Tumoren und der Frage, wer in der Erstbehandlung von einer Erhaltungstherapie profitiert. Diskutiert wurde beispielsweise, ob nur Patienten mit HRD-Positivität davon profitieren und wie man mit HRD-Tests insgesamt verfährt.

Professor Dr. Elena Braicu aus der Berliner Charité betonte in ihrer Session, dass alle Patienten eine Erhaltungstherapie benötigen, aber nicht alle dieselbe. Dies erfordert eine weitere Feinjustierung der molekularen Diagnostik und die Auswertung der laufenden randomisierten Studien, um die beste Strategie für die individuelle Patientin identifizieren zu können.

Weitere Informationen zu den Studien unter: https://studienportal-gyn.de/ und www.noggo.de.