Berotralstat überzeugt als Langzeitprophylaxe in der Behandlung von HAE-Patienten

Erst kürzlich – im Oktober 2024 – präsentierte das Biotech-Unternehmen BioCryst überzeugende Real-World-Daten zur Behandlung der seltenen Erkrankung HAE mittels Berotralstat: Neben einer deutlichen Reduktion der Rate der Schwellungsattacken der HAE-Patienten zeigte sich zudem eine hohe Adhärenzrate.<sup>1</sup>

Das hereditäre Angioödem ist Bradykinin-assoziiert

Das hereditäre Angioödem - kurz HAE – ist eine genetisch bedingte Erkrankung, die durch das Auftreten von Angioödemen gekennzeichnet ist. Die Schwellungsattacken sind Bradykinin-vermittelt und treten rezidivierend in unterschiedlichen Zeitabständen auf. Diese seltene Erkrankung geht mit einer starken Beeinträchtigung der Lebensqualität der betroffenen Patienten einher. Neben der Haut und den Schleimhäuten können auch innere Organe von den Schwellungsattacken betroffen sein.

Seltene Erkrankung mit relativ hoher Neumutationsrate 

Bei der HAE handelt es sich um eine seltene Erkrankung (geschätzte Prävalenz weltweit 1/10.000 bis 50.000).3 Bei den meisten Patienten liegt ein autosomal-dominantem Erbgang vor. Die autosomal-rezessive Vererbung ist eher selten. In 20% der Fälle kann eine Neumutation in einer HAE resultieren.4

Niedriger C1-Esterase-Inhibitor-Serumspiegel nur bei HAE1

Bisher sind drei Formen bekannt: HAE1, HAE2 und HAE-unbekannt. Der Großteil der betroffenen Patienten leidet unter der HAE1 (85 %). Bei Patienten mit HAE1 liegt ein erniedrigter C1-Esterase-Inhibitor-Serumspiegel vor. Im Gegensatz hierzu kann bei HAE2 der Serumspiegel der C1-Esterase-Inhibitor normal bis sogar erhöht sein – die Enzymaktivität ist jedoch verringert. Bei HAE-unbekannt zeigen sich normwertige C1-Esterase-Inhibitor-Serumspiegel sowie keinerlei Beeinträchtigung der Enzymaktivität.4

Bradykinin spielt eine zentrale Rolle bei der HAE

Bradykinin und Kallidin zählen zu den wichtigsten Vertretern der Kinine. Diese sind beteiligt an folgenden Prozessen:

Diese Entstehung von Bradykinin vollzieht sich durch die Abspaltung bestimmter Peptide von Kininogen durch Kallikreine (Peptidasen). C1-Esterase-Inhibitor ist ein wichtiger Inhibitor dieses Bradykinin-Kinin-Systems. Ein Mangel an C1-Esterase-Inhibitor führt zu einem Anstieg an Bradykinin, da die regulierte Freisetzung dieses Peptids nicht mehr in ausreichendem Maß kontrolliert werden kann. Die Bradykinin-vermittelten Angioödeme können im Bereich der Lunge zur Atemnot führen und im Gastrointestinaltrakt u.a. mit krampfartigen Bauchschmerzen einhergehen.6-12

Die deutsche Leitlinie zur Behandlung der HAE wird derzeit bearbeitet

Berotralstat wurde von der Europäischen Kommission im Jahr 2021 zur routinemäßigen Prävention rezidivierender Schwellungsattacken bei HAE für jugendliche (Lebensalter ≥ 12 Jahre) und erwachsene Patienten zugelassen.13 Die deutsche Leitlinie zur Behandlung der HAE mit C1-Inhibitor-Mangel befindet sich aktuell noch in der Überarbeitungsphase.14

Real-World-Daten: Berotralstat als erste orale Prophylaxe wirksam und sicher auch in Europa

Auf dem 7. Bradykinin Symposium in Berlin (05.09.24 - 06.09.24) stellte Biocryst die Zwischenanalyse (n = 56) der APeX-N-Studie vor. Die europäische multizentrische Beobachtungsstudie APeX-N untersucht die Sicherheit, Effektivität und Lebensqualität von Berotralstat (150 mg pro Tag) unter Real-World-Bedingungen. Bei 12,5 % der europäischen HAE-Patienten (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Schweden) traten mildere gastrointestinale Nebenwirkungen auf. Zu einer Schwellungsattacke kam es bei nur einem Patienten – dieser setzte die Therapie jedoch fort.15 Seit dem 12. Februar 2025 haben HAE-Patienten nun auch in Portugal - auf Empfehlung von Infarmed – Zugang zur routinemäßigen Prophylaxe von wiederkehrenden Schwellungsattacken mittels Berotralstat.16

Real-World-Daten aus den USA bestätigen Wirksamkeit: Berotralstat reduziert Schwellungsattacken 

Real-World-Daten zur Behandlung der HAE mittels Berotralstat aus den USA bestätigen die Ergebnisse der Zulassungsstudien. Als prophylaktische Erstlinientherapie (per os einmal täglich) bei HAE konnte Berotralstat dem Großteil der betroffenen Patienten helfen. Die so gewonnenen Real-World-Daten wurden bereits im Februar 2023 von dem Forschungsteam um John Anderson vorgestellt.

Im Zeitraum vom 16.12.20 bis zum 20.05.22 erhob eine Apotheke die Daten von HAE-Patienten, die für mindestens 120 Tage lang mit Berotralstat (110 oder 150 mg täglich) therapiert wurden. Auf Grundlage von Labortests wurde das Vorliegen einer HAE bestätigt. Die Daten zur Attackenrate wurden von den Mitarbeitern der Apotheke vor jeder weiteren Nachfüllung erhoben. Insgesamt nahmen 213 HAE-Patienten an der Studie teil und erhielten Berotralstat über mindestens 120 Tage. Bei 80 dieser Patienten wurde die Therapie für mehr als 360 Tage fortgeführt. Bei der Auswertung der so gewonnenen Real-World-Daten kamen Anderson J. et al. zu folgenden Ergebnissen: 

Diese Real-World-Daten aus den USA bestätigen, dass Berotralstat eine wirksame langfristige prophylaktische Behandlungsoption für Patienten mit HAE ist.17

Switch auf Berotralstat führt zu niedrigen Raten der Schwellungsattacken

Im April 2024 stellten Riedl, MA. et al. Real-World-Daten zur Sicherheit, zur Wirksamkeit sowie den Auswirkungen auf die Behandlungszufriedenheit von HAE-Patienten vor. Diese waren im Rahmen der internationalen offenen APeX-S-Studie an US-amerikanischen Standorten von injizierbaren Langzeitprophylaktika auf eine orale Berotralstat-Monotherapie (150 mg täglich) umgestellt worden.18

Von den 34 Patienten wechselten 21 von Lanadelumab, 11 von dem subkutanen C1-Esterase-Inhibitor sowie 2 von dem intravenösen C1-Esterase-Inhibitor auf Berotralstat als Monotherapie (150 mg täglich per os). Auch in diesen Real-World-Daten zeigten sich nach dem Switch auf Berotralstat niedrige mittlere monatliche Anfallsraten. Der Median der Anfallsrate lag während der gesamten 12-monatigen Behandlung bei 0 Anfällen pro Monat. Mit Hilfe eines Fragebogens wurde die Behandlungszufriedenheit nach der Umstellung auf Berotralstat erhoben. Berotralstat überzeugte die Patienten insbesondere durch eine deutliche Verbesserung des Komforts.18

Zu den häufigsten unerwünschten Ereignissen (jeweils 11,8 %) unter Berotralstat zählen:

Fazit für die Praxis

Was bringt die Zukunft?

Das Biotech-Unternehmen BioCryst ist ein Pionier in der Behandlung seltener Erkrankungen. Durch die Entwicklung proteinbasierter Therapeutika und Small Molecules konnte BioCryst bereits Patienten mit hereditärem Angioödem helfen. Weitere innovative Medikamente sind in der Pipeline: Am 4. Oktober 2024 begann das Enrollment von Patienten mit Netherton-Syndrom in eine Phase-1-Studie zur Bewertung von BCX17725, einem KLK5-Inhibitor bei der Behandlung dieser seltenen Erkrankung.21,2

Rare Disease Day am 28. Februar 2025 

Seit 2008 findet jedes Jahr Ende Februar der weltweite Tag der seltenen Erkrankungen statt. esanum begleitet den Tag und berichtet nicht nur über aktuelle Themen, sondern auch über mögliche Symptomkomplexe, Diagnostik, Therapieansätze und Orphan Drugs zur Behandlung von seltenen Krankheiten. Weitere Beiträge finden Sie im Themenspecial zum Rare Disease Day. 

Quellen:
  1. Biocryst Pharmaceuticals. (2023). Biocryst presents new real-world evidence of long-term prophylaxis with berotralstat for hereditary angioedema. Biocryst Pharmaceuticals. Available at: https://ir.biocryst.com/news-releases/news-release-details/biocryst-present-new-real-world-evidence-long-term-prophylaxis
  2. Humangenetik Bonn. (n.d.). Hereditäres Angioödem Typ III. Retrieved from https://www.humangenetics-bonn.de/forschung/forschungsthemen/angiooedem/hereditaeres-angiooedem-typ-iii/
  3. Humangenetik Bonn. (n.d.). Hereditäres Angioödem Typ III. Retrieved from https://www.humangenetics-bonn.de/forschung/forschungsthemen/angiooedem/hereditaeres-angiooedem-typ-iii/
  4. AWMF (2019). S1-Leitlinie: Hereditäres Angioödem durch C1-Inhibitor-Mangel. Retrieved from https://register.awmf.org/assets/guidelines/061-029l_S1_Hereditaeres-Angiooedem-durch-C1-Inhibitor-Mangel_2019-01-abgelaufen.pdf
  5. AWMF (2019). S1-Leitlinie: Hereditäres Angioödem durch C1-Inhibitor-Mangel. Retrieved from https://register.awmf.org/assets/guidelines/061-029l_S1_Hereditaeres-Angiooedem-durch-C1-Inhibitor-Mangel_2019-01-abgelaufen.pdf
  6. IMD Berlin. (n.d.). Diagnostik des hereditären Angioödems. Retrieved from https://www.imd-berlin.de/fachinformationen/diagnostikinformationen/diagnostik-des-hereditaeren-angiooedems
  7. Humangenetik Bonn. (n.d.). Hereditäres Angioödem Typ III. Retrieved from https://www.humangenetics-bonn.de/forschung/forschungsthemen/angiooedem/hereditaeres-angiooedem-typ-iii/
  8. Bader M. (2012). Kinins. Walter de Gruyter GmbH&Co, Berlin/Boston.
  9. Bhat M. et al. (2014). The kallikrein-kinin system in diabetic retinopathy. Prog Drug Res 69:111–143.
  10. Sharma JN. et al. (2016). The role of bradykinin system in type 2 diabetes. J Diabetes Metab 7(3):S1–S3.
  11. Sharma JN. et al. (2014). Recent developments in the regulation of kinins. Springer Cham, Heidelberg/New York/Dordrecht/London.
  12. Springer Medizin. (n.d.). Kallikrein-Kinin-System. In Lexikon der medizinischen Laboratoriumsdiagnostik. Retrieved from https://www.springermedizin.de/emedpedia/detail/lexikon-der-medizinischen-laboratoriumsdiagnostik/kallikrein-kinin-system?epediaDoi=10.1007%2F978-3-662-49054-9_1652
  13. Facharztmagazine, R. Hereditäres Angioödem: EU-Zulassung für Berotralstat. Allergo J 30, 84–85 (2021). 
  14. AWMF. (2019). S1-Leitlinie: Hereditäres Angioödem durch C1-Inhibitor-Mangel. Retrieved from https://register.awmf.org/assets/guidelines/061-029l_S1_Hereditaeres-Angiooedem-durch-C1-Inhibitor-Mangel_2019-01-abgelaufen.pdf
  15. Biocryst Pharmaceuticals. (2023). Biocryst presents new Orladeyo® (berotralstat) data at 7th Bradykinin symposium. Retrieved from https://ir.biocryst.com/news-releases/news-release-details/biocryst-presents-new-orladeyor-berotralstat-data-7th-bradykinin
  16. Biocryst Pharmaceuticals. (2023). Biocryst launches Orladeyo® (berotralstat) in Portugal. Retrieved from https://ir.biocryst.com/news-releases/news-release-details/biocryst-launches-orladeyor-berotralstat-portugal
  17. Anderson, J. et al. (2023). Real-World Outcomes in Patients with Hereditary Angioedema (HAE) Treated with Berotralstat. Journal of Allergy and Clinical Immunology, Volume 151, Issue 2, AB135.
  18. Riedl MA. et al. (2024). Hereditary angioedema outcomes in US patients switched from injectable long-term prophylactic medication to oral berotralstat. Ann Allergy Asthma Immunol. 2024 Apr;132(4):505-511.e1. 
  19. Gelbe Liste. (n.d.). Berotralstat (Orladeyo). Retrieved from https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Berotralstat_56454#Anwendung
  20. Springer Medizin. (2021). Hereditäres Angioödem: EU-Zulassung für Berotralstat. Retrieved from https://www.springermedizin.de/hereditaeres-angiooedem/hereditaeres-angiooedem/hereditaeres-angiooedem-eu-zulassung-fuer-berotralstat/19551986
  21. Biocryst Pharmaceuticals. (n.d.). Pipeline. Retrieved from https://www.biocryst.com/science/pipeline/
  22. Biocryst Pharmaceuticals. (2023). Biocryst begins enrollment in Phase 1 trial evaluating BCX17725. Retrieved from https://ir.biocryst.com/news-releases/news-release-details/biocryst-begins-enrollment-phase-1-trial-evaluating-bcx17725