Im Bereich der Gen- und Zelltherapie herrscht viel Bewegung, vor allem in den letzten fünf Jahren konnten zahlreiche neue Erkenntnisse und Innovationen im Forschungsgebiet gewonnen werden. Doch warum ist der Weg vom Labor zur Klinik so lang und mühsam? Vor allem aufgrund vieler beteiligter Stakeholder, die alle unterschiedliche Ziele haben, waren sich die Expertinnen und Experten auf der Veranstaltung vom Tagesspiegel und BIH einig. Nur wenn alle Akteure zusammen agieren, können schwer behandelbare Krankheiten durch neues Wissen therapiert werden. Jedoch ist die cross-sektionale Kooperation innerhalb der Zell- und Gentherapie und noch nicht ausreichend, hält Judith Pirscher, Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), fest. Zusätzlich bestehen zahlreiche Regularien und bürokratische Hürden, die eine schnelle Zulassung erschweren. Wissenschaft, Wirtschaft und Politik müssen für eine rasche medizinische Translation effizient Hand in Hand arbeiten.
Bisher existiert beispielsweise nur für 5% der über 6.000 Seltenen Erkrankungen eine Therapie in Deutschland, weswegen das Ziel ein kreatives Ökosystem für medizinische Innovation ist. Nicht vergessen werden darf hierbei aber, dass es jeweils nur äußerst wenige Betroffene mit einer speziellen Seltenen Erkrankung gibt, in Europa sind dies etwa zwischen 5 und 10 Patienten pro Indikation. Daher sind gerade hier die Kosten für Innovationsentwicklung extrem hoch, zusätzlich dauern Forschung und Entwicklung lange. Insgesamt schneidet Europa sehr gut in der fundamentalen Forschung zu Gen- und Zelltherapie ab, hinkt aber deutlich hinter den USA und China hinterher, was deren Nutzung im klinischen Umfeld angeht, so Prof. Johan van Eldere, KU Leuven.
Aktuelle Erkenntnisse aus der onkologischen Forschung haben das Potential, das Leben von Patientinnen und Patienten deutlich zu verbessern, so Dr. Holger Krönig, Bristol Myers Squibb. So genannte “one-and-done-therapies” könnten der Schlüssel zu Langzeit-Remissionen und möglicher Heilung einiger Krebserkrankungen sein. Des Weiteren wird es laut Krönig in Zukunft möglich sein, Gen- und Zelltherapie auf mehr Indikationen zu erweitern, zum Beispiel Autoimmunerkrankungen wie Lupus. Das Problem seien nicht mangelnde Innovationen, sondern Finanzierung, Gesetzgebung, bürokratische Hürden und Verfügbarkeit. Dem stimmt Prof. Sarah Hedtrich, BIH, zu und appelliert daran, neue Therapien auch im globalen Süden Patientinnen und Patienten verfügbar zu machen. Eine weitere Herausforderung sind die potenziellen Langzeiteffekte von Gen- und Zelltherapien, die aufgrund ihrer Neuheit noch nicht ausreichend untersucht werden konnten.
Einer der großen Hoffnungsträger: die CXCR3alt-CXCL11 Chemokin-Rezeptor-Achse. Denn bisher ist die CAR-T-Zelltherapie nur bei bestimmten Leukämien und Lymphomen effizient. Jedoch befinden sich die meisten Tumoren in solidem Gewebe. Hier setzt CXCR3alt-CXCL11 an, Martí Farrera Sal, BIH, präsentierte vielversprechende Ergebnisse auf der Veranstaltung.
Die Gen-Therapie schlägt beispielsweise sehr gut bei der autosomal-rezessiven kongenitalen Ichthyose (ARCI) an. Mittels CRISPR/Cas9-Gen-Editierung konnten in Untersuchungen die schwerwiegendsten Folgen der Erkrankung – Sepsis und Tod – verhindert werden, hält Gaurav Sadhnani, BIH, fest.
Wie gestaltet sich aber das Bewusstsein hinsichtlich Gen- und Zelltherapie als Behandlungsoption in der zivilen Bevölkerung? Laut einer Civey-Umfrage würde etwa der gleiche Anteil an Menschen einer Zell- als auch einer Gentherapie im Falle einer Krankheit zustimmen. Der Anteil, der eine Gentherapie strikt ablehnt, ist jedoch größer als der, der eine Zelltherapie ablehnt. Ein großer Teil der Befragten ist unschlüssig, was die beiden Therapieformen angeht. Skepsis herrscht vor allem aufgrund mangelnder Information bzw. fehlenden Vertrauens. Das heißt: Nicht nur innerhalb der Ärzteschaft und der Politik muss das Bewusstsein für das Potential von Gen- und Zelltherapie gestärkt werden, sondern auch unter potenziell Betroffenen.
Wie sieht nun die Versorgung von Krebspatienten aus, die von einer Gen- oder Zelltherapie profitieren könnten, ganz konkret in Deutschland aus? Darüber diskutierten Dr. Johannes Bruns, Deutsche Krebsgesellschaft, Dr. Paula Piechotta, MdB, und Thomas Stranzl, Gilead Sciences. Ein großes Problem gibt es, da sind sich die drei einig: die Finanzierung. Angesichts gesellschaftlicher Krisen, die es vor allem in den letzten Jahren zu bewältigen galt, kam es teilweise zu einer Finanzierungsverschiebung, die auch Auswirkungen auf das Gesundheitssystem hatte. Gleichzeitig sind das Potential und der Bedarf nach Gen- bzw. Zelltherapie aber enorm hoch. Stranzl merkt an: 2018 war die CAR-T-Zell-Therapie noch auf 30-40 jährliche Verwendungen pro Jahr in Deutschland ausgelegt. Mittlerweile, fünf Jahre später, werden in Deutschland ca. 1.000 solcher Therapien durchgeführt – Tendenz steigend.
Damit der Bedarf gedeckt werden kann und die Verfügbarkeit dieser Behandlungen auch in ländlichen Gegenden gewährleistet werden kann, müssen bestehende bundesweite Erstattungsrichtlinien regional und lokal einheitlich durchgesetzt werden. Insbesondere muss die Finanzierung geregelt sein, damit Krankenhäuser die relativ neuartige Therapie nicht nur als negativen Kostenfaktor einstufen, sondern diese eine wirkliche Behandlungsalternative darstellt. Erste Erfolge lassen sich bereits verzeichnen: Während es 2018 noch circa 90 Tage dauerte, bis ein Patient eine CAR-T-Zell-Therapie erhielt, nachdem der behandelnde Arzt bzw. die behandelnde Ärztin diese vorschlug, sind es mittlerweile nur noch ca. 30 Tage. Stranzl hält fest:
"Nur eine Multi-Stake-Holder-Allianz zwischen allen Beteiligten – Krankenhäusern, Industrie, Kostenerstattung und Politik – ebnet den Weg für flächendeckende Gen- und Zelltherapie in Deutschland."