Über 21.000 Menschen – Frauen und Männer gleichermaßen – erkranken in Deutschland pro Jahr an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Dass die Krebserkrankung neben dem Mesotheliom die niedrigste Überlebensrate aufweist, lasse sich vor allem darauf zurückführen, dass in 95 % aller Fälle eine aggressive Tumorart im Spiel sei. Ein weiterer großer Nachteil: Der Tumor hat die Möglichkeit, Organgrenzen schnell zu überschreiten und Nachbarorgane sowie Gefäße zu infiltrieren – Leber, Darm, Magen, Gallenblase und Milz sowie wichtige Blutgefäße liegen in unmittelbarer Nähe.
Therapie des Pankreaskarzinoms: Behandlungsansätze im Überblick
Der gefürchtete Ruf des Pankreaskarzinoms, der bis heute noch vorherrscht, sei aber auch auf desolate Operationsergebnisse des letzten Jahrhunderts sowie bis noch vor kurzem fehlende alternative lokale und systemische Behandlungsoptionen zurückzuführen. In der Vergangenheit hatte die Behandlung des Pankreaskarzinoms wenig Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung – Medizinische Fortschritte der letzten Jahre sowie eine stringent interdisziplinäre Behandlung an Pankreaszentren mit modernen multimodalen Behandlungskonzepten haben allerdings dazu geführt, dass sich das Überleben in allen Krankheitsstadien verdoppelt hat.
Standardtherapie des primär resektablen Pankreaskarzinoms stellt laut Prof. Werner die Resektion und adjuvante Chemotherapie nach S3-Leitlinie dar. Für eine potentielle Heilung entscheidend sei hierbei die chirurgische kurative Resektion des Karzinoms (R0-Status), bei der sich die Techniken in den vergangenen Jahren deutlich weiterentwickelt hätten. Aus Sicherheitsgründen sollten Pankreasoperationen präferiert an High-Volume-Zentren durchgeführt werden, dort hätte die Implementierung von schichtengerechten und radikaleren OP-Techniken, etwa der "Artery-First-Approach", dazu geführt, dass Pankreas-OPs immer besser wurden. Laut einer Studie, merkt Werner an, konnte allein durch Chirurgie das Überleben nach kurativer Resektion in den letzten Jahren bei identischer adjuvanter Chemotherapie mit Gemcitabin in der Kontrollgruppe um über 12 Monate verbessert werden. Weitere neue Systemtherapieoptionen, die die Prognose zusätzlich zur Resektion erheblich verbessern: Die adjuvante Therapie mit modifiziertem (m)FOLFIRINOX hat sich bei Patienten mit R0- oder R1-reseziertem Pankreaskarzinom in gutem Allgemeinzustand als Therapie der Wahl etabliert – Mit 54 Monaten und einer 5-Jahres-Überlebensrate von circa 50 Prozent sei das mittlere Gesamtüberleben hier exzellent, so Prof. Werner.
Primär lokal nicht resektable Pankreaskarzinome können wie folgt unterschieden werden:
- anatomisch-technisch (Infiltration von Nachbarorganen oder Gefäßen)
- biologisch (hohe Aggressivität, hoher Tumormarker),
- nicht resektable Tumoren
- Karzinome bei aufgrund von Komorbiditäten nicht operablen Patienten
Entscheidende Überlebensvorteile durch neoadjuvante Therapie
Gemein hat die Therapie von grenzwertig resektablen und den lokal fortgeschrittenen Pankreaskarzinomen laut Werner, dass vor der Operation eine Systemtherapie (neoadjuvante Therapie) durchgeführt wird. Beim nicht sicher R0-resektablen Pankreaskarzinom führe – verglichen mit einer sofortigen Operation – eine neoadjuvante Kurzzeittherapie zu einem signifikanten Überlebensvorteil. Laut aktuellen Studien biete die neoadjuvante Chemotherapie mit entweder Gemcitabin plus Capecitabin oder FOLFIRINOX den größten Überlebensvorteil.
Im Fall des primär irresektablen Pankreaskarzinoms könnten circa 30 Prozent der primär nicht resektablen Tumoren durch intensivierte Kombinationschemotherapie sekundär reseziert werden. Hier seien NAB-Paclitaxel plus Gemcitabin oder mFOLFIRINOX die Konversions-Chemotherapieregime der Wahl, so Prof. Werner. Nach sekundär erfolgter chirurgischer Resektion des Pankreaskarzinoms bestehe nicht nur ein klarer Überlebensvorteil, sondern auch die Chance auf Langzeitüberleben.
Personalisierte Therapien beziehungsweise zielgerichtete Immuntherapien seien zur Behandlung des Pankreaskarzinoms leider noch nicht verfügbar. Auch robotergestützte Verfahren seien zur Behandlung der Krebserkrankung nicht geeignet, da nur kleine Tumoren via Robotik entfernt werden. Über die Laparoskopie werde "mehr geredet, als dass sie angewandt wird" – in 80 % aller Fälle werde beim Pankreaskarzinom offen operiert.
Pankreasoperationen: High-Volume-Zentren sind für Behandlungserfolg entscheidend
Werner betont erneut den Wert von High-Volume-Zentren: Pankreasoperationen nach neoadjuvanter Therapie seien komplex und umfassen neben ausgedehnten Gefäßresektionen und -rekonstruktionen auch die Resektion benachbarter Organe.
"Das Gewebe des Pankreas ist besonders zart und empfindlich. Nähte halten darin deshalb oft schlecht. Zudem können durch die Verletzungen des Organs beim Operieren aggressive Enzyme wie Lipasen und Proteasen in die Umgebung austreten, die Heilungsstörungen wie Fisteln verursachen. Durch die Verwachsungen des Tumors mit lebenswichtigen Gefäßen sind starke Blutungen häufig, zudem müssen die angrenzenden Organe oft ebenfalls entfernt werden."
Prof. Dr. med. Jens Werner
Somit seien besonders folgende Kriterien entscheidend für die Überlebensdauer:
- Erfahrung des Operationsteams
- moderne Operations- und Therapiemethoden
- Wahl des Krankenhauses
Mit etwa 10 % sei die Sterblichkeit in Deutschland rund um die OP des Pankreaskarzinoms verglichen mit anderen europäischen Ländern erschreckend hoch – Grund dafür sei vor allem, dass in vielen Kliniken Deutschlands nur wenige Pankreasoperationen durchgeführt werden. In Pankreaszentren hingegen liege die Mortalitätsrate bei unter 5 % – und in High-Volume-Zentren, also Kliniken, die mehr als 50 Eingriffe im Jahr durchführen, bei lediglich 2 bis 4 %.
Da die Therapie äußerst anspruchsvoll ist und bestenfalls nur in speziellen Zentren erfolgen sollte, sei die geplante Krankenhausreform, bei der Kliniken nach Leistungsgruppen eingestuft werden sollen, unbedingt zu begrüßen. Von einer Zentralisierung würden vor allem auch Ältere und sozial schwächere Patienten profitieren – "auch die Oma aus Niederbayern, nicht nur der Privatpatient aus Hamburg", so Prof. Werner.
Prävalenz des Pankreaskarzinoms: Was ist entscheidend?
Welche Faktoren führen also zu einer steigenden Prävalenz des Pankreaskarzinoms und wie ist dieser Entwicklung entgegenzuwirken? Prof. Werner fasst zusammen:
- 50 % aller Fälle werden zu spät – im metastasierenden Stadium – diagnostiziert → hier ergibt sich nur noch selten die Chance, gut zu operieren
- Eine Chemotherapie allein ist nicht ausreichend
- Demographischer Wandel → die Generation der "Babyboomer" kommt in das Alter, in dem primär Krebserkrankungen ausbrechen
- Risiken für Krebserkrankungen nehmen durch Lebensstilfaktoren (Adipositas, Diabetes, Rauchen) zu → besonders jüngere Menschen sind auch immer häufiger von Adipositas betroffen
- Hauptsächliche Todesursache beim Pankreaskarzinom ist Fatigue
- Früherkennung ist für ein positives Outcome entscheidend
- Bei Früherkennung ist die Lebensqualität sogar unter Chemotherapie gut
Professor Dr. med. Jens Werner: Fortschritte bei der Behandlung des Pankreaskarzinoms – medizinische und organisatorische Aspekte; Online-Pressekonferenz anlässlich des 140. Deutschen Kongresses für Chirurgie (DCK): „Gemeinsam lernen und heilen – 151 Jahre DGCH: Aufbruch in kommende Jahrzehnte“; 20.04.2023; 11:00-12:30 Uhr