"In Deutschland fehlen aktuell 5.000 Hausärzte, es gibt keine vollständige Vergütung erbrachter Leistungen – und dies bei wachsendem Druck auf der Kostenseite und als Folge zunehmender Anforderungen an die Versorgung" – so beschreibt Professor Nicola Buhlinger-Göpfarth, die Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, die aktuelle Lage in der hausärztlichen Versorgung. Dem vor fast drei Jahren postulierten Ziel einer Aufhebung der Budgetierung für die hausärztliche Versorgung im Koalitionsvertrag seien bislang keine konkreten Taten gefolgt.
Dabei hätten Hausärzte hohe Erwartungen an die Politik: Das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz sei die "wichtigste Reform seit der Ära Ulla Schmidt" vor 20 Jahren. Der derzeit vorliegende Gesetzentwurf, in manchen Teilen bereits abgeändert und abgespeckt, sei unbedingt ergänzungsbedürftig, so Buhlinger-Göpfarth zum Start des Deutschen Hausärztetages am Donnerstag und Freitag in Berlin:
In den vergangenen zehn Jahren habe die Zahl der niedergelassenen Ärzte insgesamt um zehn Prozent zugenommen, die Zahl der Hausärzte jedoch nur um drei Prozent. Sie machen aktuell nur noch einen Anteil von 30 Prozent an der gesamten ärztlichen Versorgung aus – und dies widerspreche aller internationaler Expertise. Dringend notwendig zur Förderung der hausärztlichen Versorgung sei daher auch die Umsetzung des Masterplans Medizinstudium 2020, mit dem die Allgemeinmedizin intensiver um Studium verankert wird. Hier machten sich Landespolitiker bislang an der "schleichenden Auszehrung" der Hausarzt-Versorgung schuldig, so Buhlinger-Göpfarth.
Dabei kämen auf die Hausärzte aktuell zunehmende Aufgaben zu: die Sicherstellung der Versorgung auch durch Telemedizin, erweiterte Aufgaben durch die geplante Reform der Notfallversorgung und die Umsetzung der elektronischen Patientenakte, deren Befüllung und die dazu gehörende Beratung von Patienten. Angesichts dessen verhalte sich die Politik so, "als hätten Hausärzte unendliche Ressourcen", so die Verbandschefin.
Um seine Forderungen zu untermauern, hat der Verband die Einschätzung der Bevölkerung zur Lage und Entwicklung der hausärztlichen Versorgung in einer Umfrage Anfang September unter 5.004 Bürgern ab 16 vom Meinungsforschungsinstitut Civey erheben lassen. Sie zeigt existierende Lücken und durch ausgeprägte Furcht vor einer schleichenden Verschlechterung.
Danach hat ein Viertel der Befragten in den letzten zwei Jahren häufig Schwierigkeiten gehabt, einen Termin beim Hausarzt zu erhalten. Bei 56 Prozent war dies (fast) nie der Fall. Gut drei Viertel glaubt, dass dies (meinst eindeutig) schwieriger werden wird. Daher machen sich 58 Prozent Sorgen, dass die hausärztliche Versorgung für sie selbst und ihre Angehörigen in den nächsten fünf Jahren nicht mehr sichergestellt werden kann. Diese Entwicklung kann auch Einfluss auf Wahlergebnisse haben. Insbesondere für die jüngere Gruppe der 30- bis 39-Jährigen ist dies ein entscheidender Aspekt (49 Prozent), weniger für die Älteren über 65 (34 Prozent). Versuche der Hausärzte, zunehmend ihr Praxispersonal durch Delegation in die Arbeit bei der Versorgung einzubinden, finden inzwischen großes Verständnis in der Bevölkerung: Ohne Einschränkung stimmen 17 Prozent zu, weitere 50 Prozent sind damit einverstanden, wenn der Arzt im Zweifel hingezogen werden kann, 31 Prozent lehnen dies jedoch ab.
Als eine Alternativ-Option für eine bessere Versorgung will der Hausärzteverband die hausarztzentrierte Versorgung weiter vorantreiben. Inzwischen seien rund 10 Millionen Versicherte in Paragraf 73-b-Verträge eingeschrieben, zuletzt lag der Zuwachs bei 200.000 Versicherten. Ab Oktober plant der Verband eine "Power-Aktion", um neue Patienten für die HzV zu gewinnen. Gleichwohl sei es notwendig, dass angesichts der wirtschaftlichen Vorteile des Vertragssystems auch Boni für Versicherte möglich sind. Immerhin sei die HzV seit 15 Jahren etabliert und die am besten evaluierte Versorgungsform.
Gleichwohl bleibt die Entbudgetierung in der Regelversorgung das gegenwärtig zentrale Anliegen der Hausärzte. Ko-Verbandschef Dr. Markus Beier widerspricht dabei vehement der Kritik des GKV-Spitzenverbandes: Neben den Stadtstaaten Hamburg und Berlin seien auch die Vergütungen in Baden-Württemberg (85 Prozent Auszahlungsquote) und Brandenburg limitiert. Dies widerspreche den morbiditätsbedingt steigenden Leistungsanforderungen an die Praxen. In Einzelgesprächen mit Kassenvertretern, so Beier, werde dieses Problem durchaus anerkannt.
Überdies, so gibt seine Kollegin Buhlinger-Göpfarth zu bedenken, seien die zusätzlichen Belastungen der Krankenkassen als Folge einer vollständigen Entbudgetierung mit rund 440 Millionen Euro im Vergleich zu den Ausgabenzuwächsen bei Arzneimitteln oder insbesondere Krankenhäusern mit mehreren Milliarden Euro eher gering.