Hat sich Lauterbach übernommen?

Karl Lauterbachs Krankenhausreform wirkt wie ein Flickenteppich aus unklaren Gesetzen, politischen Kompromissen und verschobenen Entscheidungen. Läuft dem Gesundheitsminister die Zeit davon? Ein Kommentar zur aktuellen Lage.

Krankenhausreform: Politisches Flickwerk ohne Plan?

Es klingt wie das Pfeifen im düsteren Wald: "Wir haben bisher keine Zeit verloren", behauptete Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in der letzten Woche im Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Stern". Es sei immer geplant gewesen, dass die Klinikreform Anfang 2025 in Kraft trete, und damit sei man nach wie vor in der Zeit.

Leider haben die Kollegen nicht weiter nachgefasst. Es ist eben nicht so, dass die gesamte Krankenhausreform als neues Regelwerk in Form von Gesetzen und Rechtsverordnungen bis Anfang 2025 beschlossene Sache ist und für alle Beteiligten Klarheit über die Umsetzung der Reform besteht.

Denn das hochkomplexe Reformwerk, mit dem der mit rund 100 Milliarden Euro größte Leistungskomplex der Gesundheitsversorgung weitgehend neu aufgestellt wird, besteht aus mehreren Teilen. Der erste Teil, das Krankenhaus-Transparenzgesetz, ist im Frühjahr in Kraft getreten und erwies sich in seinen ersten Umsetzungen in Form des Klinikatlas als Flop. Nach mehreren Neuauflagen ist es still geworden um das Projekt. Ob es in der Praxis einen Nutzen stiftet, indem es tatsächlich von Ärzten und Patienten als Entscheidungshilfe bei der Suche nach einem geeigneten Krankenhaus genutzt wird, weiß man nicht.

Bund-Länder-Streit in die Zukunft verlagert 

Der zweite Reformteil, die Neuordnung der Krankenhausplanung und Finanzierung, ist zwar vom Kabinett beschlossen und liegt nun dem Bundestag zur Entscheidung vor. Allerdings wurde dieses Gesetz – nach langem und nicht entschiedenem Streit mit den Ländern über das Ausmaß an Stringenz für bundeseinheitliche Qualitäts- und Strukturkriterien – so ausgestaltet, dass es nicht der Zustimmung der Länderkammer bedarf. Das heißt: Alle strittigen Punkte wurden in die dem Gesetz folgenden Rechtsverordnungen, die dann allerdings zustimmungsbedürftig sind, verlagert. Ohne diese Rechtsverordnungen bleibt die Reform ein Torso, der nicht funktionstüchtig sein wird.

Ebenfalls dem Bundestag liegt der vom Kabinett beschlossene Gesetzentwurf für die Notfallversorgung vor. Ohne sie und die von ihr erhoffte Entlastung der Krankenhäuser von vermeintlichen Notfällen bliebe die Klinikreform nur Stückwerk. Auch dieser Komplex ist streitanfällig: hinsichtlich der Zahl und der strukturellen Ausstattung der Notfallstandorte und der notwendigen Kooperation zwischen Notfallkliniken und der vertragsärztlichen Versorgung, die große Teile der Notfallversorgung sicherstellen soll. 

Mit der Reform des Rettungswesens und der Schaffung eines eigenständigen Leistungsbereichs "medizinische Rettung" im SGB V fasst der Bundesgesetzgeber ein glühend heißes Eisen der Regional- und Kommunalpolitik an. Denn maßgeblich sind am Rettungsdienst auch die Feuerwehren der Kommunen beteiligt, die als Bestandteil des Katastrophenschutzes hoheitliche Aufgabe der Länder sind. Das Thema ist hochemotional besetzt: "Die Feuerwehr ist sankrosankt!" Diesen Grundsatz habe ich bei einem Ausflug in die Kommunalpolitik vor vielen Jahren lernen müssen, als ich in Frage stellen wollte, ob eine 30.000-Einwohner-Stadt 13 verschiedene Feuerwehren braucht. Konkret geht es bei der medizinischen Rettung einerseits um Planungsrechte, andererseits aber auch ums Geld. Denn bislang stellen Feuerwehren ihre Einsätze zu Gebühren in Rechnung, die kommunale Gebietskörperschaften autonom festsetzen – Tendenz weit überproportional steigend. Das soll wohl nicht so bleiben. Und damit ist der Konflikt auch bei diesem Reformprojekt programmiert.

16 Gesetze auf der Agenda 2024, drei verabschiedet

Insgesamt hat das Bundesgesundheitsministerium in seinem Ausblick 2024 16 Gesetze gelistet, an denen seit Jahresanfang (und schon davor) gearbeitet wurde und noch gearbeitet wird. Davon haben es drei Projekte bis ins Bundesgesetzblatt geschafft: der Klinikatlas (Kliniktransparenz), das allseits gelobte Medizinforschungsgesetz und das umstrittene Cannabisgesetz.

Sechs weitere Projekte sind vom Kabinett beschlossen und liegen dem Bundestag zur Beratung vor: neben großen Teilen der Krankenhausreform auch das Versorgungsgesetz 1 (Entbudgetierung der Hausärzte in Verbindung mit einer Vergütungsreform), die Schaffung einer Digitalagentur, die Errichtung des Bundesinstituts für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) und das Herzgesetz.  Zumindest die beiden letzten sind fachlich höchst umstritten. Und so könnte auch fraglich sein, ob die Abgeordneten den Vorstellungen des Ministers so ohne weiteres folgen werden. 

Für sieben weitere Gesetze – unter anderem zur Entbürokratisierung, mehr Kompetenzen für die Pflege, Apothekenreform und Patientenrechte – wartet das Parlament noch auf Kabinettsbeschlüsse, teilweise sogar auf Referentenentwürfe. Das Megaprojekt der Bundesregierung, die Entbürokratisierung, hat bislang allenfalls Mäuse hervorgebracht, im Gesundheitssektor ist bislang nichts passiert. Trotz konstruktiver Vorarbeiten der Selbstverwaltung, auch der Ärzte, ist bislang unbekannt, was das Ministerium umsetzen will. 

Achtung vor dem Parlament?

Am Ende stellt sich auch die Frage, wie es in unserem Politikbetrieb mit der Achtung vor den Rechten und Pflichten des Parlaments bestellt ist, wenn dieses im letzten Viertel der Legislaturperiode mit mehr als 80 Prozent der zu beratenden und beschließenden Gesetze, teils hoher Komplexität, konfrontiert wird.

Und ein Projekt scheint wohl ganz zu versanden: die Aufarbeitung der Pandemie.  Man möchte wohl, weiß aber nicht wie. Parlamentarier haben in der Vergangenheit in Enquetekommissionen hervorragende Arbeit geleistet. Dafür verrinnt nun die Zeit.
 

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