Krebs als Armutsrisiko –  die Krankheit und ihre Ökonomie

Krebserkrankungen haben zwei sozioökonomische Dimensionen: Sie können bei berufstätigen Menschen beträchtliche finanzielle Einbußen verursachen und der sozioökonomische Status beeinflusst Prognose und Lebenserwartung negativ.

Krebs und finanzielle Belastung

Eine dramatische soziale Entwicklung in den USA Anfang der 2000er Jahre beeinflusste auch die soziökonomische Beurteilung. Jenseits des Atlantiks wurde beobachtet, dass als Folge der demografischen Alterung der Bevölkerung und wachsender Behandlungsmöglichkeiten insbesondere durch teure Innovationen das Ausmaß an krankheitsbedingter Armut bedrohlich wuchs. Damit wurde die These von der "finanziellen Toxizität" von Krebs geboren. Vor Inkrafttreten von Obama-Care ("Affordable Care Act") vor gut zehn Jahren hatten 25 Prozent der an Darmkrebs erkrankten Patienten Schulden von fast 27.000 US-Dollar allein aufgrund ihrer Krankheit aufgenommen. Neben den rein ökonomischen Belastungen, so Dr. Nora Tabea Sibert von der Deutschen Krebsgesellschaft beim Krebskongress in der vergangenen Woche in Berlin, wuchs auch die Angst um die eigene Existenzfähigkeit. 

Monatlicher Einkommensverlust: Häufig mehr als 800 Euro

Nun sind US-amerikanische Verhältnisse – dort sind Versicherungsleistungen nicht selten durch eine Obergrenze gedeckelt und verursachen gerade bei Hochkostenfällen existenzbedrohliche Krisen – nicht auf Europa und schon gar nicht auf Deutschland übertragbar; gleichwohl ist die Sensibilität für die Zusammenhänge von Krebs und sozioökonomischen Status auch hierzulande gewachsen. Dass Krebserkrankungen auch in Deutschland unerwünschte wirtschaftliche Nebenwirkungen haben können, zeigen laut Siebert Erhebungen des NCT Heidelberg (2016/17): Fast ein Viertel der dort befragten Patienten (24 Prozent) hatten als Folge ihrer Erkrankung finanzielle Einbußen von mehr als 1.200 Euro monatlich erlitten, bei weiteren 21 Prozent lagen die Einkommensverluste zwischen 800 und 1.200 Euro. Nur bei 14 Prozent waren sie niedriger als 200 Euro.

Ursächlich dafür sind mehrere Umstände:

Das betrifft einen relevanten Teil der Patienten: jene 35 Prozent, die schon während ihres Arbeitslebens an Krebs erkranken. Eine weitere Befragung von Betroffenen mit einem Durchschnittsalter von 50 Jahren im Jahr 2019 ergab, dass 36 Prozent nicht mehr in ihren Beruf zurückkehrten, 17 Prozent eine Erwerbsminderungsrente erhielten und vier Prozent arbeitslos wurden. 

Die Risiken für vorzeitigen Tod, vorzeitige Verrentung oder auch Arbeitslosigkeit sind umso höher, je niedriger der der sozioökonomische Status (SES) ist, wie Daten der Rentenversicherung für Darmkrebspatienten aus den Jahren 2012 bis 2019 belegen: Beobachtet wurde dabei die weitere Lebensentwicklung über acht Jahre von Patienten, die bei Beginn ihrer Erkrankung 55 Jahre alt waren. Die Zahl der am Ende des Betrachtungszeitraums Gestorbenen war im unteren Drittel des SES doppelt so hoch wie im oberen Drittel (25 zu 13 Prozent). Das schon vor der Erkrankung hohe Ausmaß an Arbeitslosigkeit wächst in der Unterschicht dramatisch und nimmt auch nur geringfügig ab. Sibert schließt daraus: Es besteht noch erheblicher Forschungsbedarf zur Identifikation vulnerabler Gruppen und ihres spezifischen Behandlungsbedarfs insbesondere auch zur Rehabilitation, psychoonkologischen Versorgung und der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess. 

Krebs: Wachsende Bedeutung als Todesursache

Man kann die Betrachtungsweise aber auch umkehren, wie eine Studie von Dr. Jens Hoebel und seinen Kollegen vom Robert Koch-Institut zeigt: Der sozioökonomische Status – oder das Ausmaß an sozioökonomische Deprivation – beeinflusst das Risiko für einen vorzeitigen Tod, besonders ausgeprägt bei Männern. Grundlage der RKI-Studie ist der German Index of Socioeconomic Deprivation, der das Ausmaß an Deprivation in fünf Stufen nach Regionen misst. Dabei zeigt sich ein Süd-Nord- und ein West-Ost-Gefälle mit den höchsten Deprivationsgraden im Nordosten Deutschland. Die Daten dieses Index haben die Forscher mit der regionalisierten Todesursachen-Statistik zusammengespielt. Während bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Todesursache das Ausmaß vorzeitiger Sterblichkeit im Zeitraum von 2000 bis 2020 kräftig sinkt (etwa 35 Prozent), verändert sich dies bei Frauen kaum, bei Männern nur geringfügig. Insbesondere bei Männern zeigt sich ein stärkerer Einfluss des Deprivationsausmaßes auf eine erhöhte vorzeitige Sterblichkeit. Das ist deshalb von großer Bedeutung, weil Krebs als Ursache für die Lebenserwartungslücke insgesamt und vor allem bei Frauen im Unterschied zu anderen Todesursachen eine stark wachsende Bedeutung aufweist.

Weitere Informationen zu Krebs und Psyche

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Quelle:

36. DKK-Kongress 2024