Als Reaktion auf die durch eine außergewöhnlich starke Infektionswelle ausgelöste Überlastung von Kinderärzten und pädiatrischen Krankenhausabteilungen hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am 15.12. ein weitreichendes Maßnahmenpaket auch für die Pädiater in der vertragsärztlichen Versorgung angekündigt.
Danach sollen kurzfristig derzeit geltende Budgets, die sogenannten Regelleistungsvolumina, die sich aus der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung errechnen, aufgehoben werden. Alle erbrachten Leistungen sollen vollständig von den Kassen honoriert werden. Um den Beruf des Kinderarztes attraktiver zu machen, soll das Honorar auch in Zukunft grundsätzlich außerhalb von Budgets finanziert werden.
Um die prekäre Lage auf den Kinderstationen zu entspannen, können Krankenhäuser auch Honorarkräfte einsetzen, die die Krankenkassen voll refinanzieren müssen. Ferner sollen Krankenhäuser planbare Leistungen bei Erwachsenen verschieben können, um Personalkapazitäten für die Pädiatrie freizusetzen.
Mit Blick auf die akuten Lieferengpässe in der Arzneimittelversorgung, insbesondere zur Behandlung von Infektionen und Atemwegserkrankungen bei Kindern, kündigte Lauterbach für diese Woche die Vorlage eines Gesetzes mit kurzfristigen Maßnahmen an. Die akuten Versorgungsengpässe sind primär als Folge einer von der Industrie in diesem Umfang nicht erwarteten Nachfragesteigerung entstanden; der Bedarf liegt weit über dem der Vorjahre. Eine andere Ursache ist, dass es kaum noch Hersteller, insbesondere für spezielle Kinderarzneimittel (Säfte), gibt, weil die Preise nicht mehr die Kosten decken.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, schlug am Wochenende vor, "Flohmärkte" in der Nachbarschaft zu organisieren und diese mit Arzneibeständen aus Hausapotheken zu bestücken. Dabei könnten auch Medikamente jenseits des Haltbarkeitsdatum verwendet werden; dies sei meist ungefährlich.
Lieferengpässe, die seit Jahren immer wieder auftreten und die auch lebenswichtige Arzneimittel wie Antibiotika und Onkologika betreffen, haben im wesentlichen ihre Ursache in einer riskanten Marktkonzentration und gefährlichen Abhängigkeit von sehr wenigen Produzenten von Wirk- und Hilfsstoffen, primär in China, zum Teil auch in Indien. Ausgelöst wurde dieser Konzentrationsprozess durch eine einseitig auf Kosteneinsparungen fokussierte Preispolitik vieler Industrieländer, die eine Kostendeckung nur noch bei extrem hohen Ausbringungsmengen ermöglicht. In Deutschland waren es das 1989 eingeführte Festbetragssystem für patentfreie Wirkstoffe, das mehrfach verschärft wurde, und in den 2000er Jahren die Einführung des Aut-simile-Gebots für Apotheker in Kombination mit einem exzessiven Rabattsystem, in dem nur noch die billigsten Anbieter einen Zuschlag erwarten konnten. Lauterbach: "Die Ökonomisierung ist zu weit gegangen."
Aufgrund der in der vergangenen Woche getroffenen Beschlüsse des Bewertungsausschusses von KBV und GKV-Spitzenverband können Vertragsärzte ab 2023 mit einer gewissen Kompensation der Honorareinbußen als Folge der mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz entfallenden Neupatientenregelung rechnen. Danach werden Terminvermittlung und die rasche Behandlung vermittelter Patienten besser vergütet. Für überweisende Haus- und Kinderärzte gilt: Die Zuschlagsziffern 03008 und 04008 für die Vermittlung eines Facharzttermins werden ab dem 1. Januar von 93 auf 131 Punkte erhöht. Voraussetzung: die Behandlung muss spätestens am vierten Kalendertag nach Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit durch den Haus- oder Kinderarzt begonnen haben. Die Zuschläge für Fachärzte bei vom Haus- oder Kinderarzt vermittelte Fälle betragen 100 Prozent bei Behandlung bis zum vierten Kalendertag nach Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit, 80 Prozent zwischen dem 5. und 14. Kalendertag, 40 Prozent bei Behandlungsbeginn zwischen dem 15. und 35. Kalendertag. Ferner werden die Zuschläge für Patienten angehoben, die durch Terminservicestellen vermittelt werden.
Die Regierungskommission für die Erarbeitung von Eckpunkten zur großen Krankenhausreform hat auch den Auftrag, Empfehlungen für eine Reform der Notfallversorgung zu entwickeln. Das hat das Bundesgesundheitsministerium in Reaktion auf Forderungen des "Bündnisses pro Rettungsdienst" klargestellt, das vor dem Hintergrund derzeit teils massiver Engpässe in der Notfallrettung dringend Strukturreformen angemahnt hatte. Eine Hürde stellen allerdings vom Grundgesetz festgelegte Kompetenzen der Länder – etwa für die Feuerwehr und den Rettungsdienst – dar; notwendig sei daher ein enger Austausch mit den Ländern. Die Reform der Notfallversorgung steht seit langem auf der politischen Agenda: bereits im September 2018 hatte der Gesundheitssachverständigenrat ein umfassendes Reformkonzept vorgelegt, das allerdings in den Schubladen des BMG vergraben wurde.
Immer noch werden Zehntausende Patienten mit schweren Erkrankungen in Kliniken behandelt, die dafür nicht hinlänglich ausgestattet sind. Dies geht aus einer Auswertung der Krankenhausbehandlungen von Herzinfarkt, Brust- und Lungenkrebs durch das Wissenschaftliche Institut der Ortskrankenkassen für das Jahr 2020 hervor. Danach wurden von 203.000 Herzinfarkt-Patienten mehr als 14.000 in Krankenhäusern ohne Katheterlabor behandelt. 362 dieser Kliniken hatten jährlich weniger als 25 Infarktpatienten. Dagegen haben Kliniken, die mehr als 240 Infarkte versorgen, alle ein Katheterlabor. Trotz Verbesserungen in den vergangenen Jahren sieht das Institut ebenfalls strukturelle Mängel in der Versorgung von Krebspatienten: So wurde auch 2020 jede fünfte Brustkrebs-Patientin in einer Klinik mit weniger als 25 Fällen pro Jahr behandelt. Weniger als jede zweite Klinik, die Brustkrebspatientinnen versorgt, ist von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifiziert. Sie behandeln fast 15 Prozent aller Fälle. Dabei gibt es erhebliche regionale Unterschiede: In Brandenburg sind 65 Prozent der Krankenhäuser, die Brustkrebs versorgen, nicht zertifiziert, in Berlin sind es alle Kliniken.
Die Zahl der Kinder- und Jugendschutzimpfungen haben zwischen 2012 und 2020 nach Daten des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) kontinuierlich zugenommen. So ist die Zahl der Pertussisimpfungen von 3,1 auf 3,7 Millionen gestiegen, die der Masernimpfungen von 1,2 auf 1,8 Millionen. Ähnliche Trends zeigen sich auch bei Mumps, Röteln- und Varizellenimpfungen. Den größten Anteil an den Impfungen haben Kinderärzte – je nach Impfung zwischen 75 und 93 Prozent –, die Bedeutung von Hausärzten und Gynäkologen ist rückläufig. Nur bei der HPV-Impfung haben Gynäkologen eine Bedeutung. Her nahm die Zahl der Impfungen von 530.000 auf 1,15 Millionen zu.
Die 97 gesetzlichen Krankenkassen haben im dritten Quartal 2022 einen Überschuss von 198 Millionen Euro verbucht. Ihre Finanzreserven beliefen sich auf 10,2 Milliarden Euro, das ist das Doppelte der gesetzlichen Mindestreserve. Im Gesundheitsfonds ist in den ersten drei Quartalen ein Defizit von 2,1 Milliarden Euro aufgelaufen, das aber wegen Verbeitragung von Sonderzahlungen zum Jahresende ausgeglichen wird.
Die Beitragseinnahmen stiegen (ohne Berücksichtigung der Zusatzbeiträge) um 4,4 Prozent. Die Gesamtausgaben der Krankenkassen stiegen dagegen um 4,9 Prozent, die Zahl der Versicherten um 0,3 Prozent. Die Leistungsausgaben wuchsen um 4,8 Prozent; einen Ausreißer gab es bei den Verwaltungskosten mit einem Plus von 9,3 Prozent, der auf Sonderbelastungen für zusätzliche Altersrückstellungen zurückgeführt wird. Unter den Leistungsausgaben stiegen diejenigen für Impfungen (17,9 Prozent) und Reha-Leistungen (13,7 Prozent) überdurchschnittlich. Nicht berücksichtigt sind dabei die Corona-Schutzimpfungen. Der Anstieg der Arzneimittelausgaben lag mit 5,6 Prozent leicht über dem Durchschnitt. Dagegen fielen die Ausgaben für ambulante ärztliche Behandlung und für Krankenhäuser mit 3,5 und 3,3 Prozent unterdurchschnittlich aus.
Zur Bewältigung der Corona-Pandemie – Impfungen, Tests, Ausgleichszahlungen für Krankenhäuser – hat der Bund insgesamt 19,9 Milliarden Euro finanziert, die über die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds ausgezahlt wurden.
In seiner letzten Sitzung im ablaufenden Jahr hat der Gemeinsame Bundesausschuss am 15.12. eine umfangreiche Agenda abgearbeitet – Beschlüsse mit zum Teil hoher Versorgungsrelevanz.
Vor dem Hintergrund der schweren Infektionswelle mit Atemwegserkrankungen, die insbesondere auch Kinder stark betrifft und zur extremen Beanspruchung der Kinderarztpraxen führt, hat der GBA mehrheitlich die mögliche Inanspruchnahme der Kinderuntersuchungen U6 bis U9 flexibilisert. Damit wird sichergestellt, dass diese Untersuchungen auch dann nachgeholt und vergütet werden können, wenn nach bislang geltendem Reglement die Fristen dafür überschritten werden.
Ferner hat der Bundesausschuss eine Modifikation der AU-Richtlinie beschlossen, die es erlaubt, die Arbeitsunfähigkeit bei öffentlich-rechtlicher Pflicht zur Absonderung auch nach einem telefonischen Kontakt durch den Arzt festzustellen und zu bescheinigen.
Erweitert wurden die Indikationen für die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV) um die Multiple Sklerose sowie Knochen- und Weichteiltumoren. Auf Basis definierter Anforderungen können sich ASV-Teams bilden und einen Antrag auf Zulassung bei den Erweiterten Zulassungsausschüssen der Länder stellen. Ferner hat der GBA beschlossen, im nächsten Jahr die Voraussetzungen für die Aufnahme von zwei weiteren Krankheiten in die ASV zu schaffen: zerebrale Anfallsleiden (Epilepsie) und Tumoren des Auges. Die endgültigen Beschlüsse sollen im Dezember 2023 fallen.
Nach kontroverser Debatte wurde mehrheitlich eine neue Regelung der Mindestmenge für Stammzelltransplantationen beschlossen. Galt bislang eine Mindestzahl von insgesamt 40 autologen und allogenen Stammzelltransplantationen pro Krankenhausstandort, so bezieht sich die neue Mindestmenge von 40 Eingriffen ausschließlich auf allogene Stammzelltransplantationen. Der Grund: Dieser Eingriff ist mit deutlich höheren Risiken in Bezug auf Mortalität und Morbidität verbunden.
Nach einer Datensimulation des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen ist dieser Eingriff dann noch an 58 Krankenhausstandorten möglich. Für Patienten bedeutet dies, dass sich die durchschnittliche Anfahrtszeit zum nächsterreichbaren Zentrum um acht auf 38 Minuten erhöht, der Anfahrtsweg wird um acht auf 48 Kilometer länger. Der Bundesausschuss hält diese Erschwernis für vertretbar, da bei der hoch komplexen Leistung der allogenen Stammzelltransplantation eine Zentralisierung einen Gewinn an Behandlungsqualität und Patientensicherheit zu erwarten sei.
Im Rahmen der Nutzenbewertung neuer Wirkstoffe hat der GBA dem COVID-19-Präparat Nirmatrevir/Ritonavir (Paxlovid) einen Anhaltspunkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen zugesprochen. Die Wirkstoffkombination ist seit dem Frühjahr 2022 zur Behandlung von Covid-19-Erkrankungen bei Erwachsenen zugelassen. Ausschlaggebend für die Nutzenbewertung war ein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen zum Vorteil von Paxlovid sowohl hinsichtlich der Gesamtmortalität als auch auf den Verlauf der Morbidität. Ebenfalls signifikante Vorteile zeigten sich hinsichtlich des Bedarfs an intensivmedizinischer Betreuung und der Linderung von Covid-19-Symptomenbis zum Tag 28. Bei längerfristiger Betrachtung bis zum Ende der 24. Woche nach Krankheitsbeginn konnte kein statistisch signifikanter Vorteil von Paxlovid im Vergleich zu Behandlungsalternativen gefunden werden.