Im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) haben die Forschungsinstitute Institute for Health Care Business und Vebeto unter der Leitung des Krankenhausökonomen Professor Boris Augurzky eine Auswirkungsanalyse der Anfang Dezember vom Bundesgesundheitsministerium vorgeschlagenen Eckpunkte für die Krankenhausreform erarbeitet. Danach ergeben sich gravierende Auswirkungen auf die Patientenströme und somit erhebliche Verlagerungseffekte.
Auf Basis der Qualitätsberichte für 2020, den Notfallstufen nach der G-BA-Richtlinie und einer manuellen Prüfung zur Identifikation von Fachkliniken kommen die Ökonomen zu dem Ergebnis, dass von den derzeit knapp 1.700 Standorten etwas 630 entweder dem neuen Level 1i zugeordnet wären oder keine Zuordnung zu einem Level bekämen, darunter viele Fachkliniken. Das Level 1 würde 830 Kliniken zugeordnet, kombiniert mit dem 30-Minuten-Kriterium würden davon 560 zu 1i-Einrichtungen. Das Level 2 würden 82, das Level 3 150 Kliniken erreichen. Mengenmäßig würden die Level 1n-Kliniken mit 51 Prozent den größten Teil der Fälle versorgen, 38 Prozent entfielen auf Level 1 oder 3-Kliniken und nur 8 Prozent auf 1i-Einrichtungen.
Beispielhaft berechnet wurde auch, wie sich Patientenströme verschieben würden. Die größten Verlagerungen gäbe es in der interventionellen Kardiologie, wo mit einer Verminderung der Standorte von 603 auf 223 mit 56 Prozent der Behandlungsfälle verlagert würden. In der Geburtshilfe mit einer Reduzierung der Standorte von 593 auf 227 würden 52 Prozent der Fälle verschoben. Das Ausmaß ist je nach Bundesland und innerhalb der Bundesländer sehr unterschiedlich.
Die Schlussfolgerung aus Sicht der DKG, so deren Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß:
"Der Vorschlag der Regierungskommission führt zu einem sehr tiefen Eingriff in die Krankenhauslandschaft. Sehr viele Kliniken würden ihren Versorgungsauftrag verlieren oder müssten sehr weitgehend umgestaltet werden."
Notwendig seien deshalb Augenmaß und regional differenzierte Öffnungsklauseln.
Vor dem Hintergrund der mit der Krankenhausstrukturreform notwendigen Investitionen hat der Vorstandsvorsitzende der DAK Gesundheit, Andreas Storm, ein Sondervermögen des Bundes von 100 Milliarden Euro gefordert. Ausgehend von Erfahrungen beim Aufbau Ost und aus der dänischen Krankenhausreform sei ein Transformationskapital erforderlich, das über einen Zeitraum von zehn Jahren eingesetzt werde. Anders als Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach suggeriere, werde die Reform nicht zum Nulltarif zu haben sein.
Tatsächlich investieren die Länder viel zu wenig in Krankenhäuser. Nach neuesten Daten der Bestandsaufnahme zur Krankenhausplanung und Investitionsfinanzierung in den Bundesländern standen dem Investitionsbedarf von 6,7 Milliarden Euro nur 3,3 Milliarden Euro tatsächlich geleisteter Zahlungen der Länder gegenüber. Aufgrund der starken Inflation sieht die DKG für 2022 einen Investitionsbedarf von 8,1 Milliarden Euro.
Auf ein differenziertes Echo sind die Eckpunkte der Regierungskommission zur Reform der Notfallversorgung gestoßen. Besonders scharfe Kritik kommt von der KBV, einigen KVen und Ärzteverbänden an dem Vorschlag, Notfallpraxen an den Integrierten Notfallzentren (INZ), die überwiegend von Vertragsärzten besetzt werden müssten, bereits am frühen Nachmittag zu öffnen. Das werde den Praxen Arbeitspotential entziehen, wird befürchtet. Ebenfalls kritisch gesehen wird die Dominanz der Krankenhäuser in der Frage, wer die Leitung eines INZ haben soll.
Die verschiedenen Bewertungen im Überblick:
Die Bundesärztekammer sieht die Kommissionsvorschläge als Ausgangspunkt für eine sinnvolle Reform. Das gelte vor allem für die Zusammenführung der Notfallnummern 112 und 116 117 bei einer integrierten Leitstelle. Gut sei, dass die Kommission bei Leitstellen und Notfallzentren auf die Vernetzung und Kooperation vorhandener Strukturen setze. Wenig hilfreich sei allerdings die Etablierung einer Facharztbezeichnung Notfallmedizin als längerfristig geplante Voraussetzung für die Leitung von INZ. Dies könne auch mit der von der Bundesärztekammer in Kooperation mit den Fachgesellschaften 2018 etablierten Zusatzqualifikation Klinische Akut- und Notfallmedizin erreicht werden.
Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung sieht in den Vorschlägen der Kommission die Bestätigung dafür, dass die Kooperation der Beteiligten in den letzten Jahren in die richtige Richtung weist. Wichtig sei, die INZ auf Standorte der umfassenden und erweiterten Notfallversorgung zu begrenzen. Zweifel bestehen daran, ob es sinnvoll ist, Bereitschaftspraxen während der üblichen Praxiszeiten zu betreiben. Sinnvoll sei, dass ein einheitliches Terminbuchungssystem eingerichtet werden soll, das auch von INZ zur Weiterleitung von Patienten in die ambulante Versorgung genutzt werden kann. Die Arbeiten der KVen daran schreiten voran. Ein 24/7 verfügbares telemedizinisches Beratungsangebot sei erstmals im Pandemiejahr 2020 eingesetzt worden. Insgesamt sei dies von vier Millionen Patienten genutzt worden, in den letzten zwölf Monaten von monatlich im Schnitt 150.000 Ratsuchenden; Tendenz steigend.
Der Hartmannbund hält die Reform für "eilbedürftig", so dessen stellvertretende Vorsitzende Professor Anke Lesinski-Schiedat. Sie regt an, vor dem Hintergrund der Komplexität der Strukturen und zusammenzuführenden Leistungsbereiche aus Klinik, KV, und Rettungsdienst einen eigenständigen Leistungssektor zu schaffen. Auch der Hartmannbund kritisiert die geplanten Öffnungszeiten der Bereitschaftspraxen.
Der Deutsche Hausärzteverband kritisiert einen selektiven Blick der Reformkommission und mangelnde Berücksichtigung der Wechselwirkungen zu anderen Versorgungsbereichen, insbesondere der hausärztlichen Versorgung, deren Stärke "der beste Schutz gegen eine kollabierende Notfallversorgung" sei. In keinem Fall dürften durch Öffnung von Bereitschaftspraxen Doppelstrukturen entstehen.
Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte begrüßt die Intention, spezielle Notfallversorgungsstrukturen in der Pädiatrie zu schaffen, verweist aber auch darauf, dass der Weg zur nächsten Kinderklinik schon jetzt sehr lang sei. Ergänzend sei auf jeden Fall ein telemedizinisches Notfallangebot notwendig, für das eine angemessene personelle und technische Infrastruktur geschaffen werden müsse.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft begrüßt die Reformpläne insgesamt: Sie hätten das Potential, die Notfallversorgung deutlich zu verbessern. Integrierte Leitstellen (ILS) und Integrierte Notfallzentren zu schaffen, seien Schritte in die richtige Richtung. Besonders positiv sieht die DKG, gestufte Angebote der ILS von der telemedizinischen Beratung über die direkte Vermittlung von Arztterminen bis hin zum Hausbesuch durch einen Arzt oder Pflegedienst vorzuhalten. Positiv äußerte sich auch der Verband der Uniklinika.
Der GKV-Spitzenverband plädiert dafür, dass Krankenhäuser und KVen eine gleichberechtigte medizinische Entscheidungskompetenz für die Integrierten Notfallzentren haben sollen. Die Kommission hatte dagegen empfohlen, die INZ-Leitung bei Nichteinigung zwischen Klinik und KV dem Krankenhaus zu übertragen. Um qualitative Mindeststandards für die Notfallversorgung festzulegen, sei der Gemeinsame Bundesausschuss dafür das geeignete Entscheidungsgremium.
Massive Verärgerung bei der KBV haben Pläne des Bundesgesundheitsministeriums ausgelöst, wie die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach angekündigte Entbudgetierung der Vergütung für die Kinderärzte umgesetzt werden soll. Der einfachste und von der KBV präferierte Weg würde es sein, das Honorar der Pädiater durch eine einmalige Bereinigung aus der MGV herauszunehmen und in die extrabudgetäre Vergütung und damit die Ein-zu-Eins-Honorierung kinderärztlicher Leistungen zu überführen. Nach dem Plan des BMG soll der Bewertungsausschuss bis Ende Mai ein Verfahren beschließen, wie die MGV für den Abschnitt 4.2 des EBM (allgemeine kinder- und jugendärztliche Leistungen) jedes Quartal neu berechnet werden sollen. Das könnte dazu führen, dass das volle Honorar erst mit Verspätung ausgezahlt werden kann. Das BMG rechnet als Folge der neuen Vergütungsregelungen mit Mehrausgaben der GKV von etwa 20 Millionen Euro.
Mit einem von Gesundheitsökonomen und Rechtexperten verfassten Memorandum haben sich der Verein Akkreditierte Labore in der Medizin (ALM) und der Bundesverband der Betreiber medizinischer Versorgungszentren (BBMV) in die teils emotional geführte Debatte um sogenannte iMVZ, also Versorgungszentren, in denen Private Equity Gesellschaften Kapitalgeber sind, eingeschaltet. Hintergrund sind auch Pläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, die gesetzlichen Rahmenbedingungen für MVZ zu präzisieren. Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 6. Januar ist allerdings nur vorgesehen, die Transparenz über Eigentümer und Trägerschaften zu verbessern. Eine berufsrechtliche Regelung, die auf ein Investitionsverbot von Private Equity Gesellschaften abzielt, wie es beispielsweise Bayern fordert, wird hingegen abgelehnt.
In dem Memorandum von ALM und BBMV wird dafür plädiert, den Umweg über den Kauf eines Krankenhauses als Investitionsmöglichkeit abzuschaffen und die direkte Trägerschaft zu ermöglichen. Es gebe keine Anhaltspunkte für eine Anbieterkonzentration oder eine Monopolisierung. Laut Bundesregierung belaufen sich die Versorgungsanteile der iMVZ an der gesamten ärztlichen und zahnärztlichen Versorgung bei höchstens einem Prozent. Regional erreichen diese iMVZ beispielsweise bei Zahnärzten nur in sechs von mehr als 470 Planungsbezirken Versorgungsanteile zwischen 10 und 19 Prozent. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass Kapitalgeberstrukturen die ambulante Versorgung verteuerten oder verschlechterten. Eine Beschränkung der Investitionsmöglichkeiten werde für Ärzte weniger attraktive Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen und sei überdies hinderlich, den Strukturwandel im stationären Bereich durch Ambulantisierung zu fördern. Investitionsbeschränkungen könnten in Konflikt mit der durch Artikel 12 geschützten Berufsfreiheit und dem EU-Recht auf Niederlassungsfreiheit stehen.
Das Bundesgesundheitsministerium hat am 14.02. einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln sowie zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln (ALBVVG) vorgelegt. Neben den Kinderarzneimitteln gilt dies allerdings nur für Krebsmedikamente und Antibiotika und damit nur für 1,1 Prozent der Gesamt-Sortiments an generischen Arzneimitteln. Es soll möglich sein, dass Hersteller ihre Preise für die gesetzlich definierten Arzneimittel um 50 Prozent über dem zuletzt geltenden Festbetrag festsetzen können. Die Maßnahmen sollten für alle Generika gelten, fordert der Branchenverband Pro Generika und weist darauf hin, dass Metformin, eines der am häufigsten bei Diabetes verordneten Arzneimittel, ganz weit oben auf der Liste der Medikamente mit Lieferengpässen stehen. Der AOK-Bundesverband sieht nur einen ersten Schritt für mehr Versorgungssicherheit; es erschließe sich nicht, wie insbesondere nationale ökonomische Ansatzpunkte zur Lösung von globalen Lieferengpässen beitragen sollen. Ungelöst sieht der AOK-Bundesverband auch das Problem, dass es für die Unternehmen immer noch unattraktiv ist, neue Reserveantibiotika zu entwickeln.
Der Gemeinsame Bundesausschuss will in diesem Jahr eine eigene Richtlinie zur Behandlung von Long-COVID-Patienten beschießen, die Früherkennung von Lungenkrebs erstmals als Präventionsmaßnahme einführen und die Früherkennung von Darm- und Brustkrebs auf zusätzliche Altersgruppen erweitern. Das kündigten die zuständigen unparteiischen GBA-Mitglieder Karin Maag und Dr. Monika Lelgemann bei einer Pressekonferenz des Bundesausschusses am Dienstag an.
Noch in diesem Monat soll eine Auftaktkonferenz zur Richtlinie für Long-COVID stattfinden. Das Ziel ist, in den nächsten Monaten die Studienlage zur Diagnostik und Therapie zu erheben, das bestehende Therapieangebot und mögliche Behandlungspfade zu identifizieren. Das komplexe, aber auch diffuse Krankheitsbild erfordere die Einbindung interdisziplinärer Expertise. Arbeitssitzungen sollen im Zwei-Wochen-Rhythmus stattfinden, um im September ein Stellungnahmeverfahren einzuleiten.
Neu eingeführt werden soll ein Screening auf Lungenkrebs für Raucher und ehemalige Raucher, weil Nutzennachweise in Bezug auf eine krankheitsspezifische Mortalität vorliegen. Die Diagnostik erfordert ein Low-Dose-CT sowie eine Bronchoskopie. Dies setzt eine Begutachtung durch das Bundesamt für Strahlenschutz voraus, der eine entsprechende Rechtsverordnung folgen wird; erst danach kann der Bundesausschuss über eine Richtlinie entscheiden.
Gleiches gilt für die Erweiterung des Mammografie-Screenings auf die Altersgruppen der 45- bis 49-jährigen sowie der bis zu 75-jährigen Frauen. Für die älteren Frauen wird die Strahlenschutz-Begutachtung und die entsprechende Rechtsverordnung in Kürze erwartet, für die jüngeren Frauen wird sich das Entscheidungsverfahren noch einige Zeit hinziehen, so Lelgemann.
Zu weiteren Optimierung des Darmkrebs-Screenings, bei dem Deutschland im EU-Vergleich gut abschneidet, will der Bundesausschuss in Kooperation mit Hausärzten, Gynäkologen und Urologen auf eine gezieltere Nutzung immunologischer Tests hinwirken.