Prof. Ute-Susann Albert leitet die Abteilung Senologie an der Frauenklinik und Poliklinik am Universitätsklinikum Würzburg. Ihre Spezialgebiete sind die Diagnostik und Behandlung von Brusterkrankungen, onkoplastische Operationen, spezielle gynäkologische Onkologie, Medizinisches Wissensmanagement, Entscheidungsfindung und Leitlinienentwicklung sowie die Versorgungsforschung.
esanum: Frau Prof. Albert, das Mammakarzinom ist selbstverständlich ein großer Themenkomplex auf dem Senologie-Kongress - was gibt es hier Neues zu berichten und zu diskutieren?
Prof. Albert: Wir sind dabei, die S3-Leitlinie Mammakarzinom zu aktualisieren und suchen damit den Schulterschluss zum Querschnittsleitlinien-Programm Onkologie. Wichtig sind hier die aktualisierte S3-Leitlinie Psychoonkologie, die Leitlinie Komplementärmedizin und die Leitlinie Supportivmedizin. Bei der Entwicklung der S3-Leitlinie Mammakarzinom waren in jeder der 30 Arbeitsgruppen Vertreter der Patientenorganisationen eingebunden. Das ist uns sehr wichtig, damit all die Themen auch praxisnah und handhabbar behandelt werden - sowohl für die Ärzte als auch für die Patientinnen und Patienten.
esanum: Welche Rolle spielt denn das Thema Alter?
Prof. Albert: Darum geht es auch in der Session "Mammakarzinom in speziellen Situationen". Da ist hervorzuheben, dass wir einen Altersshift haben. Die Babyboomer gehen jetzt in Rente. Das hat auch Auswirkungen für das Mammakarzinom. Der Anteil der Patientinnen über 65 Jahre wächst. Die Früherkennung von Brustkrebs durch Teilnahme am Mammographiescreening spielt auch mit zunehmendem Lebensalter eine wichtige Rolle. Das Alter muss bei der individuellen Therapiegestaltung beachtet werden - insbesondere bei der Berücksichtigung von Nebenwirkungen und Komorbiditäten, die im Alter naturgemäß eine größere Rolle spielen. Dazu sind gute Assessments notwendig, um die für die einzelne Patientin oder den Patienten bestmögliche Therapie zu finden, sodass ihre Lebensqualität und ihr Überleben verbessert werden. Das heißt, das Abwägen zwischen Schaden und Nutzen spielt im Alter eine viel größere Rolle als bei jungen Patientinnen. Mit den so genannten geriatrischen Assessments kann man die Lebenserwartung auf Grundlage der Komorbiditäten und der persönlichen, physischen, sozialen und mentalen Fitness kalkulieren. Danach können wir gemeinsam mit der Patientin oder dem Patienten die individuelle Krebstherapie ausrichten. Dazu haben wir neue, gute Daten, die in die Aktualisierung der S3-Leitlinie einfließen werden.
Eine wichtige Frage ist, welche Lebenserwartung die Patientin oder der Patient hat. Ausgangspunkt ist der Gesundheitszustand vor der Diagnose Brustkrebs und die nunmehr bestehende Prognose durch die Erkrankung Brustkrebs. Lag beispielsweise bereits ein Herzinfarkt vor, liegen Stents, bedeutet das für unsere Therapieempfehlung, dass keine kardiotoxischen Medikamente eingesetzt werden. Inzwischen liegen ausreichend neue Erkenntnisse vor, äquivalente Behandlungen zu wählen, damit ein gutes Überleben garantiert wird. Es gibt neue Tools, mit denen wir Therapien besser steuern können.
esanum: Wird auch das männliche Mammakarzinom diskutiert?
Prof. Albert: Selbstverständlich. Dazu haben wir aber immer noch zu wenig Daten. 70 000 Frauen erkranken in Deutschland jedes Jahr neu an Brustkrebs, bei den Männern sind es nur 700. Aber auch diese wenigen Männer haben ein Recht auf eine evidenzbasierte Medizin und auf ein gutes Überleben. Wir stellen jetzt die Auswertung der Registerdaten von 30 000 Frauen und 2510 Männern vor, die über einen Zeitraum von 10 Jahren verfolgt worden sind. Das sind neue Erkenntnisse, die wir weiter nutzen können, um die Behandlung und die Lebensqualität von Männern mit Brustkrebs zu verbessern.
esanum: Was unterscheidet die Therapie von Frau und Mann mit Brustkrebs?
Prof. Albert: Es gibt nicht sehr viele Unterschiede. Bei der endokrinen Behandlung der Frau haben wir mehr Optionen. Da haben wir den so genannten Aromatasehemmer. Das geht bei Männern nicht. Zur Behandlung wird Tamoxifen eingesetzt und hierunter haben Männer erheblich andere Nebenwirkungen. Libidoverlust, Potenzschwäche, Fatigue, Schlafstörungen können teils stark ausgeprägt sein. Da die endokrine Behandlung eine Langzeittherapie über fünf Jahre ist, bietet die Komplementärmedizin auch für Männer interessante Therapieoptionen an, um bestimmte Nebenwirkungen abzufangen.
esanum: Eine Session, bei der Sie den Vorsitz haben, beschäftigt sich mit Vitamin D, Omega-3-Fettsäuren - worum geht es dabei?
Prof. Albert: In der Querschnitts-S3-Leitlinie zur Komplementärmedizin beschäftigen wir uns mit der Wirkung von Vitamin D 3, mit Traubensilberkerzen, mit Omega-3-Fettsäuren. Die Leitlinie ist sehr praxisnah und symptomorientiert. Da geht es darum, wie man Osteoporose vorbeugt. Was macht man bei Nebenwirkungen wie Hitzewallungen, bei Fatigue, Übelkeit oder Durchfall. Vitamin D spielt beispielsweise eine ganz wichtige Rolle in der Onkologie - gerade auch für das männliche Mammakarzinom. Dazu gibt es neue Erkenntnisse, die nahelegen, die Blut-Serum-Spiegel regelmäßig zu kontrollieren. Daten zeigen, dass Vitamin D wahrscheinlich das Rückfallrisiko vermindern kann - für beide Geschlechter. Neue Tools, wie etwa die Apps, die wir auf dem Kongress vorstellen, sollen Patientinnen und Patienten ganz konkret helfen, gut in den Alltag zurückzukehren. Hier können sie schnell selbst nachlesen, wie sie mit ihrem Symptom und ihren Nebenwirkungen umgehen können und was ihnen persönlich tatsächlich hilft.